Oft tödlich: Sorgloser Umgang mit Arzneimitteln

(c) Erwin Wodicka
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Arzneimittelbedingte Sterbefälle stehen bereits an fünfter Stelle aller Todesursachen. Über die Wechselwirkungen zwischen einzelnen Medikamenten ist auch das medizinische Personal häufig zu wenig informiert.

Lebensretter und Killer: So wertvoll Medikamente sind, falsch eingesetzt töten sie viel mehr Menschen, als der Allgemeinbevölkerung und Medizinerkreisen bewusst ist. „Arzneimittelbedingte Sterbefälle stehen bereits an fünfter Stelle aller Todesursachen“, betonte Univ.-Prof. Dr. Eckhard Beubler, ehemaliger Vorstand des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität Graz, in seinem Vortrag „Die Blutung und andere gefährliche Arzneimittel-Wechselwirkungen“ auf der 44. wissenschaftlichen Fortbildungswoche der Österreichischen Apothekerkammer in Saalfelden.

Letale Kombination im Spital

Im Rahmen einer schwedischen Studie wurden von 11.000 Todesfällen 1574 nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und genau untersucht. Ergebnis: 49 dieser Patienten starben direkt an einer unerwünschten Arzneimittel-Nebenwirkung, 74 Prozent davon an inneren Blutungen. „Auf Österreich umgelegt, würde das bedeuten, dass hierzulande täglich sechs Menschen an einer solchen Nebenwirkung sterben.“

Die gefährlichste Arzneimittelnebenwirkung ist also die Blutung. Und leider gar nicht selten ereignet sich folgendes Szenarium: Ein Patient, der Marcoumar (zur Hemmung der Blutgerinnung) nimmt, kommt ins Spital und erhält Voltaren gegen Schmerzen. „Das sollte nicht passieren, denn diese Medikamentenkombination endet oft tödlich infolge innerer Blutungen“, kritisiert Beubler. Der Pathologe stellt dann nur fest, dass der Patient an eben dieser Blutung verstorben ist, aber woher diese stammt, wird nicht überprüft. „Niemand weiß, wie viele Menschen an dieser Arzneimittel-Wechselwirkung sterben“, erwähnt Beubler und rät: „Marcoumarisierten Patienten sollte man statt Voltaren besser einen Cox-2-Hemmer gegen Schmerzen geben, das ist ungefährlich.“

In Fachkreisen wenig bekannt

Gefährlichen Medikamenten-Interaktionen scheinen aber einige Ärzte wenig Beachtung zu schenken. So ist in Fachkreisen oft kaum bekannt, dass eine starke Wechselwirkung zwischen Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI; extrem häufig als Magenschutz zu anderen Medikamenten verabreicht) und Cumarinen (im Marcoumar enthalten) besteht. Beubler: „PPI hemmen den Abbau von Cumarin, die Gefahr einer Blutung steigt dramatisch.“

Werden Cumarine zusammen mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR; Präparate mit schmerzlindernder, entzündungshemmender und fiebersenkender Potenz; etwa Ibuprofen, Parkemed, Voltaren) verabreicht, steigt das relative Risiko einer Blutung um den Faktor 13,5. Zur tödlichen Mischung kann auch die gleichzeitige Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin) und Citalopram (ist im Antidepressivum Cipramil enthalten) werden. Die Kombination von Aspirin und Ibuprofen kann ebenfalls letal ausgehen. „Nimmt man hingegen das Ibuprofen zwei Stunden später, gibt es keine Probleme.“

Herzinfarktrisiko stark erhöht

Eine problematische, aber nicht selten verordnete oder im Spital verabreichte Kombination ist Clopidogrel (Arzneistoff, der die Thrombozytenaggregation hemmt und zur Prävention von Blutgerinnseln verwendet wird; z. B. Plavix) und einem PPI. „Das erhöht das Herzinfarktrisiko um 30 Prozent“, warnt Beubler. Gewarnt wird auch vor dem Cocktail aus PPI und Benzodiazepinen (Medikamente, die vor allem als Beruhigungsmittel, Schlafmittel und Angstlöser eingesetzt werden; auch Valium, etwa in Psychopax-Tropfen, gehört dazu).

„PPI hemmen den Abbau von Valium und anderen Benzodiazepinen. Wer beides am Abend nimmt, ist nächsten Tag ganz ferngesteuert, die Sturzgefahr steigt stark.“ Und wenn sich dann vor allem ältere Personen bei einem Sturz einen Oberschenkelhalsbruch zuziehen, spricht kaum ein Arzt über eine Medikamenten-Wechselwirkung.

„Das wird fast immer auf die Ungeschicklichkeit des Alters zurückgeführt“, weiß Beubler und schildert eines seiner vielen Erlebnisse: „Eine Frau hatte mit Valium einen Selbstmordversuch verübt. Sie kam auf die Intensivstation eines Krankenhauses, und der dortige Vorstand hat mich verzweifelt angerufen und gemeint, diese Frau werde seit 14 Tagen nicht und nicht munter, er wisse nicht mehr, was er tun solle.“ Beubler löste das Rätsel: Die Patientin hatte auch PPI erhalten, das viele Valium konnte nicht abgebaut werden, und die Frau schlief und schlief ...

Wenig bekannt ist auch eine Nebenwirkung der Antidepressiva SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer): Sie sind auch Thrombozytenaggregationshemmer (Medikamente, welche die Verklumpung von Blutplättchen hemmen; dazu gehören auch ASS und Clopidogrel). „In Kombination etwa mit Aspirin, Marcoumar oder den Schmerzmitteln Ibuprofen, Voltaren oder Parkemed erhöhen diese Antidepressiva die Blutungsgefahr signifikant.“

Das unbekannte Syndrom

SSRI haben noch einen Haken, wenn sie mit Triptan (Migränemittel) oder Opiaten genommen werden: Das kann das Serotonin-Syndrom auslösen. Die Symptome reichen von Schweißausbrüchen über Fieber, Schüttelfrost, Durchfall, Zittern, Verwirrung und Übelkeit bis zu Blutdruckanstieg und Nierenschädigung. Normalerweise verschwinden die Nebenwirkungen mit dem Absetzen der Medikamente wieder, in seltenen Fällen aber kann das Serotonin-Syndrom letal enden. „Einer US-Studie zufolge haben 80 Prozent der Ärzte noch nie etwas vom Serotonin-Syndrom gehört“, erwähnt Beubler. Daher wird es – auch hierzulande – äußerst selten diagnostiziert.

Keiner sucht die Todesursache

Vergessen werden häufig leider auch die dramatischen Folgen einer Polypragmasie (Einnahme von sechs und mehr verschiedenen Medikamenten am Tag), die vor allem bei älteren Personen nahezu an der Tagesordnung ist. Der eine Arzt verschreibt diese drei Arzneimittel, der nächste noch zwei dazu, ein dritter Facharzt weitere zwei – und mit jedem weiteren Medikament steigt die Gefahr der (tödlichen) Wechselwirkungen enorm an. Umso mehr, als die Nieren- und Leberfunktion und damit der Medikamentenabbau im höheren Alter häufig reduziert sind.

Und dann stirbt ein 80-Jähriger plötzlich. Und keiner sucht die Todesursache in einer Arzneimittel-Interaktion. Ursache war dann halt das Alter, das Herz, innere Blutungen. „Ich kannte einen Patienten, dem wurden tatsächlich 36 verschiedene Arzneimittel verschrieben“, erzählt Beubler, „der ist wahrscheinlich nur noch deshalb am Leben, weil er nicht alle Medikamente genommen hat.“

Auf einen Blick

Wechselwirkungen: VieleMedikamente interagierenuntereinander – diese Wechselwirkungen können schwerste innere Blutungen hervorrufen und sogar tödlich sein.

Polypragmasie: Je mehr Medikamente man nimmt, desto größer ist die Gefahr. Ärzte sollten also bei Verschreibungen verantwortungsbewusster agieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2011)

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