Kampf gegen Diabetes nach dem Vorbild der Natur

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Das Biotechunternehmen 55pharma will einen völlig neuen Diabeteswirkstoff etablieren. Die Substanz ist Pflanzen abgeschaut, die in Ostasien seit Jahrhunderten zur Behandlung von Altersdiabetes verwendet werden.

Vorbild ist die Natur: Die Substanz, die das Tullner Biotechunternehmen 55pharma derzeit einer intensiven vorklinischen Prüfung unterzieht, ist der Natur abgeschaut – konkret Pflanzen, die in Ostasien seit Jahrhunderten zur Behandlung von Altersdiabetes („Typ-2“-Diabetes) verwendet werden. Dieser Pflanzeninhaltsstoff wurde im Labor synthetisiert und leicht abgewandelt, er repräsentiert eine völlig neue Klasse von Diabetesmedikamenten.

Über welchen Mechanismus er im Körper wirkt, ist noch nicht im Detail bekannt. Das Molekül regt jedenfalls die Bauchspeicheldrüse zur Produktion von Insulin an – aber in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzuckerspiegel. In allen bisherigen Versuchen zeigte sich, dass es genauso gut wirkt wie die derzeit auf dem Markt befindlichen Medikamente, die aber teilweise starke Nebenwirkungen haben.

Die Effektivität und Verträglichkeit ist an sich keine große Überraschung – denn diese waren ja vom natürlichen Vorbild bekannt. „Wir nutzen den alten Erfahrungsschatz“, sagt der Gründer und Chef von 55pharma, Leonhardt Bauer. Das ist bei der herkömmlichen Art der Medikamentenentwicklung völlig anders: Dort sucht man aus tausenden Kandidaten jenes Molekül heraus, das eine bestimmte Aktivität im Reagenzglas zeigt.


150 Varianten getestet. Die zehn Mitarbeiter von 55pharma haben in den letzten Jahren Chemie und Pharmakologie des Wirkstoffes erforscht – dabei wurden nicht weniger als 150 Varianten des Moleküls auf Herz und Nieren getestet und die optimale Substanz für die Weiterentwicklung zu einem marktfähigen Medikament ermittelt. Klappt alles nach Plan, dann soll der Wirkstoff nächstes Jahr erstmals am Menschen getestet werden. Den zusätzlichen Kapitalbedarf dafür beziffert Bauer mit zumindest eineinhalb Millionen Euro.

Eigentlich wollte man schon vor einem Jahr die klinischen Tests starten – doch wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise ging alles langsamer als geplant. Bauer: „Wir hatten genug zum Überleben, mussten aber auf Sparflamme arbeiten.“ 55pharma hat bisher rund sieben Millionen Euro in die Forschung investiert, mehr als die Hälfte davon kam aus öffentlichen Förderungen (AWS, FFG, Land NÖ, ZIT), der Rest stammt überwiegend von „Business Angels“. Das sind betuchte Unternehmer, die Start-ups mit Kapital und Know-how unterstützen.

55pharma will das Medikament bis in die zweite klinische Phasen (von drei) selbst weiterentwickeln. Für die abschließenden Prüfungen vor der Marktzulassung ist an einen Verkauf an einen Pharmakonzern gedacht – der finanzielle Aufwand dafür ist für ein Biotechunternehmen zu groß. Dann will sich das Unternehmen anderen möglichen Wirkstoffen zuwenden – so wie es der Firmenname andeutet: dass aus 50 Entwicklungskandidaten aus der Natur fünf Medikamente auf den Markt gebracht werden sollen.

LEXIKON

Typ-II-Diabetes,
landläufig „Altersdiabetes“ genannt, ist die Folge eines gestörten Insulinhaushalts. Die Bauchspeicheldrüse produziert dabei zwar weiterhin Insulin, doch dieses wirkt aus bisher ungeklärten Gründen nicht mehr so wie bei gesunden Menschen.

Dadurch steigt der Blutzuckerspiegel an– mit weitreichenden gesundheitlichen Folgen wie Gefäß-, Nerven-, Augen- oder Nierenschäden bis hin zu schlecht heilenden Wunden („diabe-tischer Fuß“).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2011)

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