Wie Yoga Ihren Körper ruinieren kann

Yoga Ihren Koerper ruinieren
Yoga Ihren Koerper ruinieren(c) EPA (Gero Breloer)
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Yoga gilt als wahrer Segen für die Menschheit: Mittel zur Entspannung, Jungbrunnen und Antwort auf Gesundheitsprobleme aller Art. Doch Yoga kann nicht nur heilen,Yoga kann auch schaden.

An einem kalten Samstag im Jahr 2009 hielt Glenn Black eine Masterclass im Sankalpah Yoga in Manhattan. Black war fast vier Jahrzehnte Yogalehrer, mit Prominenten und bekannten Gurus unter seinen treuen Anhängern. Er ist bekannt für seine Strenge und seinen bodenständigen Stil. Aber das war nicht der Grund, warum ich ihn aufgesucht habe. Black, wurde mir gesagt, sei der Mann, mit dem man sprechen sollte, wenn man nicht über die Segen von Yoga reden wollte, sondern über die Schäden, die es anrichten kann.

Viele seiner Kunden kommen zu ihm wegen Körperarbeit und Rehabilitation nach Yogaverletzungen. So war es auch bei mir. In meinen Dreißigern hatte ich es geschafft, mir einen Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule zuzuziehen. Die Schmerzattacken ließen sich am besten durch eine Reihe von Yogastellungen und Bauchmuskelübungen verhindern. Dann, 2007, machte ich eine Übung, die als Mittel gegen viele Krankheiten gilt („extended side angle“), als mein Rücken nachgab. Und mit ihm auch mein Glaube, naiv im Nachhinein, dass Yoga nur ein Quell der Heilung und nie des Schmerzes sei.

Blacks Lehrmethode hatte etwas von Freistil: Er ließ uns Stellungen halten, unterrichtete aber keine Inversionen und nur wenige klassische Figuren. Ständig erinnerte er uns daran, auf unsere Schmerzgrenze zu achten. „Ich mache es so schwer wie möglich“, sagte er der Gruppe. „Es liegt an euch, es für euch selbst leichter zu machen.“ Warum, erläuterte er an einem warnenden Beispiel. In Indien habe er einen Yogi bei einer Wirbelsäulendrehung gesehen – und ungläubig beobachtet, wie drei Rippen des Mannes brachen: pop, pop, pop.

Nach dem Kurs fragte ich Black über die Art und Weise, wie er Yoga unterrichtete. Er gab mir die Antwort, die man von jedem Yogalehrer erwarten würde: dass die bewusste Arbeit wichtiger sei als durch Übungen zu hetzen. Dann aber sagte er etwas deutlich Radikaleres: Er sei zu der Ansicht gelangt, dass „die große Mehrheit“ mit Yoga überhaupt aufhören sollte. Weil die Wahrscheinlichkeit für Verletzungen einfach zu groß sei. „Yoga ist für Leute in guter körperlicher Verfassung. Man kann es auch therapeutisch einsetzen. Es mag kontroversiell sein, das zu sagen, aber es eignet sich wirklich nicht für allgemeine Kurse.“

Laut Black hat eine Reihe von Faktoren dazu beigetragen, das Risiko durch Yoga zu erhöhen. Der wichtigste ist die demografische Veränderung. Indische Yogis saßen auch im täglichen Leben viel auf ihren Fersen oder im Schneidersitz. Die Yogaübungen oder Asanas entwickelten sich aus diesen Haltungen. Heute kommen Stadtmenschen, die den ganzen Tag auf einem Sessel verbringen, ein paar Mal in der Woche in ein Studio und verrenken sich in schwierigen Übungen, trotz ihres Mangels an Gelenkigkeit oder anderer körperlicher Probleme. Viele sehen in Yoga eine sanfte Alternative zu anstrengenden Sportarten oder für Rehabilitation nach Verletzungen.

Doch die Popularität von Yoga ist geradezu explodiert: von vier Millionen Amerikanern im Jahr 2001 auf geschätzte 20 Millionen 2011. Das bedeutet, dass es mittlerweile zahlreiche Studios gibt, in denen viele Lehrer nicht die Ausbildung haben, um Verletzungsgefahren zu erkennen. „In vielen Yogaschulen geht es heute vor allem darum, die Leute immer weiter zu fordern“, sagte Black. „Sie können sich das nicht vorstellen – Lehrer, die auf Leute draufspringen, stoßen, ziehen und sagen: ,Das sollten Sie mittlerweile aber können.‘ Da geht es vor allem um das Ego.“

Auch Lehrer verletzen sich. Ich fragte ihn nach den schlimmsten Verletzungen, die er gesehen hatte. Er nannte bekannte Yogalehrer, die die Übung „Downward Dog“, bei der der Körper ein umgekehrtes V bildet, so extrem ausführten, dass ihre Achillessehnen rissen. „Das ist Ego“, sagte er. „Dabei ist der Sinn von Yoga, Ego loszuwerden.“ Er habe auch „ziemlich grauenhafte Hüften“ gesehen. „Eine der berühmtesten Lehrerinnen Amerikas hatte null Bewegung in ihren Hüftgelenken“, erzählte Black. „Die Gelenke waren so degeneriert, dass sie künstliche Hüftgelenke brauchte.“ Ich fragte ihn, ob sie noch immer unterrichtete. „Ohja“, antwortete Black. „Es gibt auch Yogalehrer, deren Rücken so geschädigt ist, dass sie nur noch im Liegen lehren können. Das wäre mir so peinlich.“

Unter überzeugten Yogis – von den Gurus bis zu den Gefolgsleuten mit ihren ewig zusammengerollten Matten unterm Arm – gilt Yoga fast als Wundermittel für Erneuerung und Heilung. Sie feiern seine Fähigkeit zu beruhigen, zu energetisieren und zu stärken. Und vieles davon scheint richtig zu sein: Yoga kann den Blutdruck senken, chemische Stoffe als Antidepressiva wirken lassen und sogar den Sex verbessern.

Aber über einen Punkt hat die Yogagemeinde sehr lange geschwiegen: über das Potenzial, grauenhafte Schmerzen zu verursachen. „Richtiges Yoga ist so sicher wie Muttermilch“, erklärte Swami Gitananda, ein Guru, der zehn Welttourneen absolviert und Ashrams auf mehreren Kontinenten gegründet hatte.

Gefährliche Positionen. Aber medizinische Indizien unterstützen Blacks Behauptung, dass eine Reihe oft gelehrter Yogapositionen für viele Menschen von Natur aus riskant ist. Die ersten Berichte über Yogaverletzungen erschienen vor Jahrzehnten in einigen der anerkanntesten medizinischen Fachmagazine. Die Probleme reichten von relativ leichten Verletzungen bis zu bleibenden Behinderungen.

1972 publizierte ein bekannter Neurophysiologe aus Oxford, Ritchie Russell, einen Artikel in „The British Medical Journal“, in dem er behauptete, dass – selten aber doch – manche Yogastellungen sogar bei relativ jungen, gesunden Menschen Schlaganfälle verursachen können. Russell fand heraus, dass Hirnschäden nicht nur durch ein direktes Schädeltrauma entstehen können, sondern auch durch schnelle Bewegungen oder exzessive Dehnungen des Nackens, wie sie beim Peitschenschlag-Syndrom vorkommen – oder in bestimmten Yogafiguren. Normalerweise kann sich der Nacken 75 Grad nach hinten, 40 Grad nach vorne und 45 Grad auf die Seiten strecken sowie sich zirka 50 Grad um die eigene Achse drehen. Yogis bewegen ihre Wirbel normalerweise viel weiter. Ein fortgeschrittener Schüler kann seinen Hals leicht 90 Grad drehen – fast zweimal so weit wie normalerweise.

Cobra und Kerze. Diese Hyperdehnung des Halses wurde von erfahrenen Yogis propagiert. B.K.S. Iyengar betonte, dass der Kopf in der „Cobra“-Stellung „so weit wie möglich“ zurückgebogen werden sollte und bestand darauf, dass im Schulterstand (auch „Kerze“ genannt, Anm.), Kopf und Körper im rechten Winkel zueinander stehen müssten: „Der Körper sollte in einer geraden Linie sein, senkrecht zum Boden.“ Er nannte die Stellung, die die Schilddrüse stimulieren soll, „eine der großen Wohltaten, die unsere alten Weisen der Menschheit hinterließen“.

Russell warnte, dass extreme Bewegungen von Kopf und Nacken die Wirbelarterie verletzen sowie Blutgerinnsel, Schwellungen und Verengungen hervorrufen und schließlich verheerende Schäden im Gehirn anrichten könnten. Die Arteria basilaris (Gehirnarterie), die aus den beiden Wirbelarterien entsteht und einen weiten Bogen an der Gehirnbasis beschreibt, gab besonderen Grund zur Sorge. Wird die Durchblutung der Gehirnarterie gestört, kann das zu verschiedensten Formen von Schlaganfällen führen. Diese Varianten beeinträchtigen zwar selten Sprache und Denken, können aber die zentrale Maschinerie des Körpers schädigen und manchmal sogar zum Tod führen. Der Großteil solcher Gehirnschlag-Patienten gewinnt alle wichtigen Körperfunktionen zurück. Aber manchmal bleiben Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen und Probleme in der Feinmotorik über Jahre.

Diese Fälle mögen höchst selten erscheinen, aber Umfragen der Consumer Product Safety Commission haben gezeigt, dass die Zahl der Notfallaufnahmen in Zusammenhang mit Yoga nach Jahren mit langsamem Anstieg rapide zunehmen. Sie stiegen von 13 im Jahr 2000 auf 20 im Jahr 2001. 2002 stiegen sie auf über das Doppelte auf 46. Diese Untersuchungen bezogen sich eher auf Stichproben als auf gründliche Berichte und zeigten eher Trends als ein Gesamtbild, aber die Spitze war dennoch signifikant. Nur ein kleiner Teil der Verletzten landet in den Notaufnahmen der Spitäler. Viele der Betroffenen mit leichteren Yogaverletzungen gehen zu ihrem Hausarzt, Chiropraktiker oder anderen Therapeuten.

Vorsicht mit Wärme! Ungefähr um diese Zeit tauchten die ersten Berichte von Yoga-bezogenen Verletzungen in den Medien auf. Wie „The Times“ berichtete, fanden Gesundheitsexperten heraus, dass die durchdringende Hitze von Bikram Yoga das Risiko von Überdehnung, Muskelverletzungen und Knorpelrissen erhöhen könnte. Ein Spezialist stellte fest, dass Bänder ihre ursprüngliche Form nicht mehr annahmen, wenn sie einmal überstreckt worden waren, wodurch sich das Risiko von Zerrungen, Verstauchungen und Dislozierungen steigerte.

2009 veröffentlichte ein New Yorker Team des College of Physicians and Surgeons der Columbia University eine ehrgeizige weltweite Untersuchung von Yogalehrern, Therapeuten und Ärzten. Die Antworten auf die zentrale Frage – „Was waren die schwersten Yoga-bezogenen Verletzungen, die Sie gesehen haben?“ – ergaben, dass die größte Anzahl der Schädigungen (231) mit der Lendenwirbelsäule zu tun hatte. Die anderen Problemzonen waren, in absteigender Reihenfolge: Schulter (219), Knie (174) und Nacken (110). Dann kam Schlaganfall. In vier Fällen dürften die extremen Beugungen und Drehungen von Yoga zu einer Form von Hirnschaden geführt haben. Die Zahlen waren nicht alarmierend, aber die Anerkennung des Risikos – fast vier Jahrzehnte, nachdem Russell seine Warnung ausgesprochen hatte – zeigte eine deutliche Veränderung in der Wahrnehmung der mit Yoga verbundenen Gefahren.

Erste Reformen.
In den vergangenen Jahren haben Reformer in der Yogagemeinde das Thema vermehrt aufgegriffen. Carol Krucoff, eine Yogalehrerin und Therapeutin im Integrative Medicine Center der Duke University in North Carolina, machte 2003 ihren persönlichen Kampf öffentlich. Eines Tages wurde sie fürs Fernsehen gefilmt und gebeten, noch mehr zu geben. Sie hob einen Fuß, fasste ihren großen Zeh und streckte ihr Bein aus. Plötzlich hörte sie ein „Plop“ an der Rückseite des Oberschenkels. Am nächsten Tag konnte sie kaum gehen. Krucoff brauchte Physiotherapie und ein Jahr Erholung, bis sie ihr Bein vollständig strecken konnte.

Die Chefredakteurin des „Yoga Journal“, Kaitlin Quistgaard, beschrieb, wie sie eine bereits einmal gerissene Rotatorenmanschette in der Schulter in einer Yogastunde neuerlich verletzte. „Ich habe die Erfahrung gemacht, wie Yoga heilen kann“, schrieb sie. „Aber auch, wie Yoga schaden kann – und ich habe dasselbe von vielen anderen Yogis gehört.“

Einer der umtriebigsten Reformer ist Roger Cole, ein Iyengar-Lehrer mit einem Psychologie-Abschluss von Stanford und der University of California, San Francisco. Cole hat viel für das „Yoga Journal“ geschrieben und hält Vorträge über Yogasicherheit am American College of Sports Medicine. In einer seiner Kolumnen beschäftigte er sich mit der Frage, wie man die Beugung des Nackens bei der Kerze reduzieren könnte, indem man die Schultern auf eine zusammengefaltete Decke legt und den Kopf dahinter absenkt. Das verbessert den Winkel zwischen Kopf und Rumpf von 90 auf vielleicht 110 Grad. Cole zählte auch die Gefahren einer Kerze ohne Hilfsmittel auf: Muskelzerrungen, überdehnte Bänder und Bandscheibenverletzungen im Bereich der Halswirbelsäule.

Heimtückischer Kopfstand. Aber Anpassungen sind nicht immer die Antwort. Timothy McCall, Arzt und medizinischer Redakteur des „Yoga Journal“, nannte den Kopfstand zu gefährlich für normale Yogaklassen. Seine Warnung stammte zum Teil aus eigener Erfahrung. Er kam zu dem Schluss, dass der Kopfstand bei ihm zu einem Karpaltunnel-Syndrom geführt hatte, das entsteht, wenn die Nerven, die vom Nacken in die Arme führen, zusammengedrückt werden. Das führte zu Gefühlsstörungen in der rechten Hand. McCall führte die Stellung nicht mehr aus und seine Symptome verschwanden. Die Figur könne auch noch andere Schäden verursachen, darunter degenerative Arthritis der Halswirbelsäule und Risse in der Retina (wegen des erhöhten Augendrucks während der Übung). „Leider“, schloss McCall, „können die negativen Effekte des Kopfstands heimtückisch sein.“

Glenn Blacks Operation. Fast ein Jahr, nachdem ich Glenn Black zum ersten Mal in seiner Meisterklasse in Manhattan getroffen hatte, bekam ich ein E-Mail von ihm, in dem stand, dass er an der Wirbelsäule operiert worden sei. „Es war ein Erfolg“, schrieb Black. „Die Erholung ist langsam und schmerzhaft. Rufen Sie an, wenn Sie Lust haben.“

Die Schädigung, sagte Black, hatte ihre Ursache in vier Jahrzehnten extremer Rückenbeugungen und Drehungen. Er hatte Spinalkanalstenose – eine Erkrankung, bei der sich die Öffnungen zwischen den Wirbeln verengen, auf die Nerven drücken und unvorstellbare Schmerzen hervorrufen. Black sagte, er habe schon vor 20 Jahren ein Problem gespürt, wenn er sich aus der Kerze oder dem Pflug aufrichtete. Vor zwei Jahren aber wurden die Schmerzen extrem. Ein Chirurg meinte, dass er ohne Behandlungen irgendwann nicht mehr würde gehen können. Die Operation dauerte fünf Stunden. Black wird sich wieder erholen, muss aber jede Belastung der Lendenwirbelsäule vermeiden. Sein Bewegungsspektrum wird nie mehr dasselbe sein.

Black ist einer der vorsichtigsten Yoga-Praktizierenden, die ich kenne. Als ich zum ersten Mal mit ihm sprach, erklärte er, dass er sich nie beim Yoga verletzt hätte oder, so weit er wusste, dafür verantwortlich gewesen wäre, dass sich einer seiner Schüler wehgetan hätte. Ich fragte ihn, ob seine Verletzung etwas mit dem Alter zu tun haben könnte. Nein, meinte er. Das war Yoga. „Manchmal muss man die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten, um zu erkennen, ob etwas davon in Zukunft vielleicht schlecht für einen sein könnte.“

Diese Botschaft nahm Black vor Kurzem zu einer Konferenz mit. Aber seine Warnungen stießen auf taube Ohren. „Ich war ein bisschen leidenschaftlicher als normalerweise“, erinnerte er sich. „Meine Botschaft war, dass Asana kein Allheilmittel ist. Wenn Ego oder Besessenheit dabei sind, wird das irgendwann zu Problemen führen. Viele Menschen aber wollen das gar nicht hören.“

Der Text erschien auch Anfang Jänner in der „New York Times“. Übersetzt und gekürzt von Doris Kraus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2012)

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