Röntgen & Co.: Strahlendosis oft unterschätzt

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Nutzlose Doppeluntersuchungen könnte ein Röntgenpass verhindern. In den letzten Jahren ist die Strahlenexposition in vielen Ländern Europas gestiegen, vor allem durch Computertomografie.

Man könnte es schon als „Röntgenshopping“ bezeichnen: Der praktische Arzt schickt einen Patienten für die Erstellung einer Diagnose zum Radiologen. Dem Facharzt genügt der Befund nicht, er will von seinem Röntgenologen des Vertrauens weitere Bilder. Der Patient kommt mit einem Bildkonvolut zur Behandlung ins Spital und dort wird nochmals durchleuchtet. „Sicherheit ist gut, aber so viel ist sicher nicht gut.“ Deshalb plädiert Strahlenschutzexperte Gunnar Brix, Abteilung für medizinischen und beruflichen Strahlenschutz, Professor für Medizinische Physik der Universität München, für einen Röntgenpass. Der gibt – ähnlich wie ein Impfausweis – Auskunft, welche Untersuchungen bereits durchgeführt wurden. „Dieses Dokument soll dazu beitragen, nutzlose Doppeluntersuchungen zu vermeiden.“

Keineswegs nebenwirkungsarm

So nebenwirkungsarm ist die Strahlenbelastung nämlich keineswegs. In den letzten Jahren ist die Strahlenexposition in den meisten europäischen Ländern um etwa fünf Prozent angestiegen. Das wurde auf der letzten Dreiländertagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Gesellschaft für Medizinische Physik in Wien bekannt gegeben. Dieser starke Anstieg ist vor allem dem häufigen Einsatz der Computertomografie (CT) zuzuschreiben.

Risikobewertung sehr individuell

„Die damit verursachte Strahlendosis wird sowohl von den niedergelassenen als auch von den Spitalsärzten häufig erheblich unterschätzt“, warnt der Strahlenexperte. „Der Patient sollte auch selbst kritisch hinterfragen, ob ein CT wirklich erforderlich ist oder ob nicht auch eine Ultraschall- oder eine Magnetresonanzuntersuchung die gewünschte Information ohne eine Strahlenbelastung erbringt.“ Für Österreich gibt es eine Orientierungshilfe für Radiologie, welche bildgebenden Verfahren für den jeweiligen Fall angewendet werden sollen.

Tatsache ist jedenfalls, dass durch Strahlenexposition Krebserkrankungen ausgelöst werden können. Die Latenzzeit von zehn bis 20 Jahren ist allerdings sehr lang, sodass viele ältere oder kranke Menschen schon früher sterben. „Eine realistische Bewertung der mit Röntgenstrahlen verbundenen Risken ist jedoch nur ganz individuell für den einzelnen Patienten möglich“, fasst der Experte zusammen.

Die medizinische Anwendung von Strahlen steht zwar im Spannungsfeld zwischen Nutzen und Risiko, „aber der Nutzen ist dank der technischen Weiterentwicklung und der Qualitätssicherung unvergleichlich größer. Die moderne Hightechmedizin macht den Medizinphysiker zu einem wichtigen Partner des Arztes“, sagt Werner Schmidt, Institut für Radioonkologie im SMZ-Ost Wien. Die Ausbildung dauert acht Jahre: Einem abgeschlossenen Physikstudium folgt eine postuniversitäre medizinische Spezialausbildung. Mit diesem profunden Fachwissen können die Bildgebungen schnell und richtig erstellt werden und liefern die wichtigen Voraussetzungen für Diagnose und Therapie, sei es CT, Magnetresonanztomografie (MRT), Positronen-Emissionstomografie oder eine Kombination verschiedener Techniken. So ist es mithilfe einer computerunterstützten Therapieplanung möglich, individuell für jeden Patienten eine räumlich optimale Strahlentherapie zu ermöglichen, um so einen Tumor voll zu erreichen, aber gesundes Gewebe zu schonen. „Auch Veränderungen der umliegenden Organe, etwa durch Gewichtsverlust oder der wechselnden Füllung von Darm und Harnblase, können mit der neuen Technik berücksichtigt werden“, betont Dietmar Georg, Leiter der Abteilung für Medizinische Strahlenphysik der Universität Wien. Darüber hinaus ermöglichen die neuen Technologien eine wesentliche Verkürzung der Strahlenanwendung von 15 auf etwa drei bis vier Minuten. Auch dadurch wird die Therapie sicherer und nebenwirkungsärmer.

Neue Entwicklungen

Eine derzeit in Entwicklung befindliche Technologie betrifft die biologische Optimierung der Strahlenanwendung. Sie beruht darauf, dass je nach Tumorgewebe verschiedene Strahlendosen angewendet werden. Biologisch aggressive, strahlenresistente Tumorareale können mit dieser Technik dargestellt und mit höheren Dosen bestrahlt werden. Dieses sogenannte „Dose Painting“ könnte in einigen Jahren bereits angewendet werden.

Auf einen Blick

Nutzlos und nicht unschädlich
sind radiologische Doppel-
und Dreifachuntersuchungen.

Unterschätzt: Die damit verbundene Strahlenbelastung wird sowohl von niedergelassenen Ärzten als auch von Spitalsärzten häufig erheblich unterschätzt.

Bei der Strahlentherapie ist der Nutzen dank technischer Weiterentwicklung viel größer als das Risiko. Eine computerunterstützte Therapieplanung ermöglicht eine räumlich optimale Strahlen-therapie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2012)

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