Beletage am kurzen Boulevard

Häusergeschichten. Im Angesicht der Rossauer Kaserne nimmt eine frühere Bankimmobilie wieder die Form eines noblen Wohnhauses an.

Dass ein reines Bürohaus in Wien zu einem reinen Wohnhaus umgebaut wird, geschieht in den vergangenen Jahren, da der Büromarkt schwächelt, öfter. Auch in einem gründerzeitlichen Umfeld wie jenem der Ringstraße und der einstigen Lastenstraße, wo viele repräsentative Flächen existieren. Nun findet das Gebäude in der Kolingasse 19/Ecke Schlickplatz 3 zu seiner ursprünglichen Nutzung zurück: Anfangs diente das Gebäude dem Bergwerksbesitzer Johann Müller als nobles Domizil. Später befand sich das Objekt im Besitz der Familien Liechtenstein. Belegt ist etwa auch, dass im Mezzanin dieses hochgründerzeitlichen Hauses der Begründer der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik, Rudolf Steiner, eine Zeitlang (um 1890) gewohnt hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich hier schließlich der Sitz der österreichischen Hochschülerschaft und des Studios der Hochschulen, ein Theater, dessen Ensemble Schauspieler wie Helmut Qualtinger oder Bibiana Zeller angehörten. Zuletzt hatte die Volksbank – neben mehreren Standorten in dem Karree zwischen Maria-Theresien-Straße und der Rossauer Kaserne – auch dieses Objekt inne, bis man sich von dem Immobilienpaket trennte: Seit zwei Jahren wird das Gebäude von 6b47 Real Estate Investors zu einem Wohnhaus mit exklusiveren Apartments („Living Kolin“) entwickelt und voraussichtlich gegen Ende 2016 bezugsfertig sein.
Als 1872 das von Franz Prokop geplante Haus errichtet wurde, hatte der Wiener Bauboom richtig an Fahrt gewonnen, Architektur durfte im großen Stil am ehemaligen Glacis repräsentieren. Üppiger Fassadendekor ließ die großformatigen Miethauskisten noch nobler erscheinen. Der Sockelzone von Kolingasse 19 sind Zitate von massiven Rustikamauern vorgeblendet. Monumentalität vermitteln zudem eine Attika über dem Gesims, hohe Säulen und Kariatyden vor den oberen Geschoßen, ein Mittelrisalit gliedert den Bau stark. Von den großen Raumhöhen (bis vier Meter) werden die 25 Wohnungen profitieren.
Die Rossauer Kaserne, die diese städtische Situation dominiert, stand bereits ab 1869. Die Kolingasse läuft direkt auf sie zu, eine Art zu kurz geratener Boulevard mit Seitenstraßen und Platanenreihen. Dadurch wirkt die Lage ruhig und beschaulich. Diese Allee und der Schlickplatz sind noch ein Überbleibsel des früheren Defilierraums der Kaserne, später wurden die Flächen in der Kolingasse auch für den Marktbetrieb genutzt.

Rückbauen und freimachen

Der Umbau wird ein Rückbau zur einst intendierten Form. Für die Büros wurde jeder Zentimeter genutzt, Räume wurden unterteilt, Decken abgehängt, das Entree durch Einbauten stark verkleinert und um seine Wirkung gebracht. Das alles ist bereits entfernt worden. Das Foyer wird wieder zweigeschoßig, zusätzliches Licht kommt durch ein zentrales Stiegenhaus herein. In den Regelgeschoßen entstehen Wohnungen von großzügigem Zuschnitt (115 bis 416 m2 Gesamtnutzfläche), wobei sich die Beletage mit kleinen Balkonen im zweiten Geschoß befindet. Das Dachgeschoß wird durch einen komplett neuen Aufbau ersetzt, darin sollen zwei exklusive Wohnungen mit zum Teil über sechs Metern Raumhöhe entstehen. Im Keller werden Autostellflächen (Multiparker) eingerichtet. Das Haus wird mit Freiflächen nachgerüstet, der Innenhof lässt es zu, dass Balkone eingebaut werden. Mit Wohnraumlüftung und Dreifachverglasung in den Kastenfenstern wird das Haus technisch auf heutigen Stand gebracht. Und weil es in der Kolingasse – also im neunten Bezirk – steht, liegen die Wohnungspreise auch etwas unter jenen im ersten.

Zur Lage

Grätzel: In der zweiten Reihe hinter
dem Schottenring wurden die Gebäude meist zum Wohnen genutzt. In der Erdgeschoßzone befanden sich früher auch Geschäfte und Handwerksbetriebe. Das Grätzel zwischen Rossauer Kaserne und Währinger Straße ist ein beliebter Bürostandort.
Kolingasse 19: Bis gegen Ende 2016 entsteht dort das exklusive Wohnhaus-Projekt Living Kolin von 6b47. Planung: HOT Architektur sowie Cserni Architektur. www.living-kolin.at

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