Einkaufen im Vergnügungspark

(c) FABRY Clemens
  • Drucken

Immer mehr Menschen gehen zum Einkaufen nicht mehr in Geschäfte, sondern ins Internet. Der Kampf um Kunden wird zur Überlebensfrage. Shopping Malls versuchen nun vorzumachen, wie man aus der Misere kommt.

Eigentlich müsste die SCS tot sein. Leer, ausgestorben. Ein weiterer Grabstein auf dem virtuellen Friedhof deadmalls.com. Sie entspricht keiner der Anforderungen, die man an ein modernes Einkaufszentrum stellt: Sie ist nicht lichtdurchflutet, nicht architektonisch interessant, sie ist nicht großzügig gestaltet, bietet keine Kunst und wohl – nein, wohl fühlt man sich auch nicht, wenn man hier an einem Samstag, noch dazu vielleicht vor Weihnachten, einkaufen geht.

Trotzdem hat die Shopping City Süd jedes Jahr mehr als 20 Millionen Kunden, die 2009 in den 330 Geschäften 625 Millionen Euro ausgaben. Die Firmen stehen Schlange, um eines der Geschäfte mieten zu dürfen, und die Kunden stehen wiederum Schlange, um eines der Geschäft besuchen zu dürfen. Die SCS ist ein Phänomen, und dennoch: „Man könnte mehr aus ihr herausholen“, meint Marcus Wild. „Etwa doppelt so viel.“

Wild kann das leicht sagen, weil er mit dem Europark in Salzburg ein lichtdurchflutetes, architektonisch interessantes, großzügig gebautes Einkaufszentrum besitzt, das die SCS jedes einzelne ihrer 35 Geschäftsjahre spüren lässt. 9150 Euro setzt der Europark pro Quadratmeter und Jahr um, in der SCS sind es knapp 3700. Damit ist die Salzburger Mall ein einsamer Leuchtturm im Meer der verlorenen Kunden, die sich überall auf der Welt von den Geschäften abwenden, und immer öfter lieber im Internet einkaufen gehen.

Der Trend lässt sich in Zahlen ausdrücken: 2010 wurden laut Marktforscher RegioPlan 180 Shoppingcenter in elf EU-Ländern aufgelassen, die Fertigstellung von 400 Projekten verschoben. „Auf uns“, meint Ermine Amies, Geschäftsführerin von ICSC, einem weltweiten Zusammenschluss von Einkaufszentren mit Sitz in London, „warten enorme Herausforderungen.“

In Zeiten, in denen jeder von zu Hause aus über Webseiten wie geizhals.at Preise vergleichen und die billigste Ware überall in Europa bestellen kann, haben Einkaufszentren nicht mehr andere Malls oder Einkaufsstraßen als Konkurrenten. Der gemeinsame Feind aller Geschäfte mit realer Verkaufsfläche sind Internetshops, die keine teuren Mieten für attraktive Standorte bezahlen müssen, keine Logistikprobleme mit Lager und Anlieferung haben und vor allem nicht Dutzende Mitarbeiter in verschiedenen Abteilungen beschäftigen müssen, die mehr oder weniger freundlich Kunden bedienen.


London als Testgebiet. Noch werden in Österreich zwar 30 Prozent aller Waren in Einkaufszentren gekauft und nur acht bis neun Prozent über das Internet. Die Zukunft ist aber klar. „Wenn es nur um das Verkaufen geht, haben wir das Nachsehen“, meint Wild, Geschäftsführer der Spar European Shopping Centers, die 24 Zentren in Europa betreiben (13 davon in Österreich), und Vorsitzender der Shoopingmall-Vereinigung ICSC. „Wir müssen das Einkaufen zu einem Gesamterlebnis machen, man muss dem Kunden mehr bieten als Ware.“

Damit tun sich große Zentren leichter als einzelne Geschäfte – und das könnte einen Trend zurück zu den Malls bringen. Zu der gesunkenen Zahl an Einkaufszentren in den Krisenjahren kam laut RegioPlan nämlich auch, dass die bestehenden im Kampf um Kunden qualitativ verbessert wurden, und damit die Umsätze in vielen Fällen halten oder sogar steigern konnten.

Wie man auch in Zukunft Menschen in Geschäfte bringt, kann man in London sehen, das für viele Firmen der Testmarkt vor dem Sprung nach Kontinentaleuropa ist. Zwei Extreme machen es vor: hier Abercrombie & Fitch, dort Primark. Beides Modegeschäfte, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

„Wir setzen auf die Jungen, die 18- bis 24-Jährigen“, schreit Nick Tate, und er muss das, weil man in dem Geschäft in Burlington Gardens kaum sein eigenes Wort versteht. Aus Lautsprechern dröhnt Musik, auf einem Balkon tanzen zwei Verkäufer, das Geschäft ist dunkel, nur die Ware ist angeleuchtet, und es riecht überall nach Zimt. Das sind die Ingredienzen, die eine Abercrombie & Fitch-Filiale ausmachen.

„Wir wollen anders sein“, brüllt Tate. Das sieht man schon draußen, weil man nichts sieht: Kein Schild weist darauf hin, dass hier eine Filiale von A&F ist. Die Menschentrauben vor dem Geschäft lassen hinter den Säulen am ehesten eine Disco vermuten. Passend dazu steht ein junges, durchtrainiertes Modell mit nacktem Oberkörper beim Eingang, das sich mit weiblichen, teils auch männlichen Kunden ablichten lässt.

Abercrombie & Fitch haben sich mit diesem Verkaufskonzept zur Must-have-Marke der Jugendlichen gemacht, und das bei durchwegs stolzen Preisen: Ein simples Hemd kostet hier 72 Euro, ein Pullover 97 Euro, für eine Jeans kann man auch 200 Euro zahlen. Ein solches Geschäft ist ein Magnet für jede Mall. Das zeigt Frankfurts Einkaufszentrum MyZeil, wo die A&F-Ablegermarke „Hollister“ eine Filiale hat. Nach der Eröffnung 2009 musste man den Zugang regeln, schon nach zehn Tagen hatte man eine Million Besucher gezählt.

Auf die Zahl kommt Primark leicht, auch wenn man hier nicht Kunden zählt, sondern verkaufte Waren. Die Firma bietet Billigstmode an der noblen Adresse Oxford Street an, ab Ende 2012 möglicherweise auch in Österreich. Das teuerste Kleidungsstück ist ein Kaschmirpullover für 45 Britische Pfund (etwa 51Euro). T-Shirts gibt's hier für zwei Pfund, Jeans kosten zehn, Hemden fünf Pfund. „4000 Stück“, sagt Thomas Meager und hält ein Hemd hoch. Der Geschäftsleiter rechnet nur in verkauften Stück pro Woche. 5000 sind es von einem Kleid, 2500 von einer Stofftasche, von einem simplen weißen T-Shirt gehen 10.000 pro Woche über den Ladentisch, und erst die Schuhe: 80.000 Paar verkauft man innerhalb von sieben Tagen.

Das geht nur mit einer ausgeklügelten Logistik, weil die Lagerflächen klein sind. „Wenn wir sehen, dass etwas nicht geht, können wir den Lkw schon bei der Anlieferung stoppen“, erklärt Meager. 200.000 Kleidungsstücke werden auf den 7000 Quadratmetern angeboten, 1600 Mitarbeiter arbeiten auch nach den Öffnungszeiten (7.30 bis 22 Uhr) daran, Ordnung und System in das Geschäft zu bringen.


Wohlfühlkunden.
Über eine solche Filiale würde die Westfield Mall in Kensington die Nase rümpfen wie ein englischer Lord über aromatisierten Packerltee. Das Zentrum vermittelt auf 190.000 Quadratmetern all das, was Wild als „Maßstab für ein Einkaufszentrum“ bezeichnet. Und der lässt sich relativ leicht definieren: Ein paar „Anchors“, also große Geschäfte, die Kunden bringen. In London sind das unter anderem Hollister und Marks & Spencer, in Österreich H&M, Peek & Cloppenburg oder Media Markt. Dazu ein paar exklusivere Firmen, auf jeden Fall ein Kino, das die Mall zum Treffpunkt macht und eine abwechslungsreiche Gastronomie. „In unsere Restaurants geht man auch dann essen, wenn man gar nicht einkaufen will“, erklärt Laura Passam von der Marketing Abteilung von Westfield. Deshalb ist Plastikbesteck hier tabu.

Gute Shoppingcenter sollen das sein, was früher einmal der Dorfwirt war: Begegnungsstätten. Statt ins Gasthaus geht man in die Mall; statt eines sonntäglichen Ausflugs isst man – zumindest dank Sonntagsöffnung in Großbritannien – in der Gastroabteilung, bevor man ins Kino geht, und dazwischen kauft man vielleicht noch etwas ein. „Der Kunde muss sich rundum wohl fühlen, dann macht man auch Verkäufe”, glaubt Wild.

Den größten Unsicherheitsfaktor scheinen freilich alle Marketingexperten zu ignorieren: Die Person, die hinter dem Ladentisch steht. Sie freundlicher zu machen, ist zumindest in Österreich eine weitaus größere Herausforderung als eine luftige Architektur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.