Stadtplanung: Bregenz erfindet sich (komplett) neu

(c) Clemens Fabry
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In den nächsten vier Jahren entsteht in Bregenz ein ganz neuer Stadtteil mit einem neuen Bahnhof. Der Jetzige ist noch keine 30 Jahre alt. Das Konzept beinhaltet auch ein Einkaufszentrum.

Sind die Vorarlberger größenwahnsinnig geworden? Eine seltsame Frage, die in folgendem Zusammenhang doch gestellt werden darf: Da ist der Bahnhof der Landeshauptstadt keine 30 Jahre alt, aber aufgrund einiger Schönheitsfehler wird selbiger nun bis auf die Grundmauern abgerissen. Gut, es gibt Erholungszimmer für ÖBB-Personal, die nie benutzt werden. Die große Zollabfertigungshalle hat auch lange Zeit niemand betreten. Dass es regelmäßig von der Decke tropft, ist auch nicht neu. Und ja, ein Wunderwerk der Ästhetik war der Bahnhof auch nie.

Seit Mittwoch hat Vorarlberg nicht nur den neuen Landeshauptmann Markus Wallner (VP) – Ende 2012 wird auch der Bahnhof neu gebaut. Dabei ist die Neugestaltung dieses Areals nur ein Bruchteil dessen, was auf die Landeshauptstadt zukommt. In anderen Worten: Wer heuer in Bregenz war und in vier Jahren wieder hinfahren möchte, wird die Stadt nicht wiedererkennen.

Nach den Plänen des Dornbirner Architekturduos Oskar Leo Kaufmann und Albert Rüf soll ein Turm den Mittelpunkt des neuen Bahnhofs bilden. Das Konzept beinhaltet ein Einkaufszentrum, der Bahnhofsvorplatz mit den Busterminals wird ebenfalls neu gestaltet. Direkt an das neue Bahnhofsareal wird die „Seestadt“ angrenzen – ein komplett neuer Stadtteil, der innerhalb der nächsten vier Jahre aus dem Boden gestampft wird: 20.000 Quadratmeter Handel, Gastronomie und Wohnungen. Spatenstich ist ebenfalls Herbst 2012. Noch befindet sich hier zwischen Bahnhof und Innenstadt der schmucklose Parkplatz. Ein Zustand, der Investoren lange Zeit den Schlaf geraubt hat, war doch dieses Areal der begehrteste Baugrund der Stadt. Der nunmehrige Eigentümer, Seestadt GmbH, ist ein Konsortium aus Privatpersonen, Hypo Landesbank und Prisma Holding AG. Sie werden das Projekt – die Kosten belaufen sich auf 90 Millionen Euro – finanzieren.

Eine Tiefgarage, keine Bürgerproteste

Die neue Seestadt soll „abfließende Kaufkraft aufhalten“, wie Projektbetreiber Bernhard Ölz meint. In Vorarlberg gilt: spazieren am Bregenzer Seeufer, einkaufen in Dornbirn. Dabei scheint Nachfrage vorhanden: Rund 30 Geschäfte können in der Seestadt eröffnen, 150 Interessenten gibt es, so Ölz.

Befürchtungen, dass auch die Seestadt in 30 Jahren Geschichte sein wird, gibt es offenbar keine. Von einem nachhaltigen Konzept ist die Rede – und davon, dass der Konsument simple Wünsche hat: „Er will ein gutes Sortiment, und er will gut parken können.“ Letzteres soll mit einer Tiefgarage unter der Seestadt erfüllt werden; offen ist derzeit nur, ob sie ein- oder zweistöckig wird.

Nun könnte man meinen, dass von einer Tiefgarage (oder einem neuen Stadtteil) eine Bürgerinitiative auch nicht weit weg ist. In diesem Fall gab es aber keine Proteste, die Anrainer wollten lediglich einen direkten Weg zum Seeufer haben. Weil die Bahngleise aber dazwischenliegen, haben die Architekten (Aicher Architekten, Zechner & Zechner, Elmar Ludescher, Phillip Lutz) die „Seespange“ – eine Brücke – entworfen. Sie soll künftig auch die Urlauber zur Uferpromenade und zu den sommerlichen Spielen auf dem See bringen. Überhaupt sind die Festspielgäste ein sensibles Thema; der jetzige Bahnhof (samt Umgebung) sei kaum eine geeignete Visitenkarte für die Stadt, heißt es hier. Die Neugestaltung von Bregenz ist sicherlich auch ihnen geschuldet.

Was noch auffällt: Wenn sich Bregenz neu erfindet, bleibt alles in der Familie. Die Investoren sind aus Vorarlberg, so auch fast alle Architekten.

Wieder ein Abriss

Das neue Design von Bregenz hört mit der Seestadt nicht auf. In der Innenstadt wird im nächsten Jahr der Kornmarktplatz umgestaltet; derzeit wird hier das Vorarlberger Landesmuseum neu gebaut. Das alte Gebäude aus der Jahrhundertwende war zu klein für die Sammlung, also wurde es abgerissen. Dass in den 1950er-Jahren die Fassade des alten Museums abgeschlagen wurde – oder „verschandelt“, wie der Bregenzer Bürgermeister Markus Linhart (VP) sagt – hat dem Denkmalamt die Erlaubnis für den Abriss erleichtert. Nur die alte Bezirkshauptmannschaft, die an das Museum angrenzte, wurde denkmalgeschützt. Das neue Museum (Entwurf des Bregenzer Architekturbüros Cukrowicz Nachbaur) stülpt sich daher über die alte Bezirkshauptmannschaft.

Auf dem Kornmarktplatz selbst werde es mehr Sitzgelegenheiten und Baumgruppen geben, sagt Linhart. Die Gegend – hier befindet sich auch das Kunsthaus Bregenz – wird autofreie Zone; diskutiert werde allerdings darüber, ob der Stadtbus durchfahren darf oder nicht. Die Kosten von über 1,8 Millionen Euro teilen sich Stadt und Land. Bleibt eigentlich nur noch der Leutbühel, ein paar Gehminuten vom Kornmarktplatz entfernt und ein ebenfalls größerer, belebter Innenstadtraum. Ja, es gebe Überlegungen, auch diesen Platz umzugestalten, sagt Linhart. Details gebe es noch keine.

Ganz ohne Aufmucken aber läuft selbst in Bregenz nicht alles. Als vor zwei Jahren der Hafen umgestaltet wurde, regte sich Widerstand. Anlass war die „Welle“, ein Gebäude aus Glas, in dem die Schiffspassagiere nach einer Bodenseerundfahrt absteigen sollten. Nach langem Hin und Her hat sich bei einer Volksabstimmung aber herausgestellt, was die Bregenzer wirklich von diesem Neubau halten: Zwei Drittel waren dafür.

Auf einen Blick

Bregenz neu. Gleich mehrere Projekte werden im nächsten Jahr in der Vorarlberger Landeshauptstadt realisiert: Im Herbst wird der jetzige Bahnhof abgerissen, um einem Neubau Platz zu schaffen. Zeitgleich beginnen die Bauarbeiten an der „Seestadt“, einem neuen Stadtteil, der komplett neu errichtet wird (grenzt an das Bahnhofsareal). Die Seestadt soll ein Mix aus Wohnungen, Handel und Gastronomie sein. Die Bauarbeiten auf dem Kornmarktplatz in der Innenstadt gehen im nächsten Jahr in die letzte Runde: das neue Vorarlberger Landesmuseum wird fertiggestellt, der ganze Platz rundherum wird autofrei und umgestaltet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2011)

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