Visual Computing: Planung und Darstellung von Architektur

(c) DAVE / Fraunhofer_TU Graz
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Fantasiestützen in 3-D: Moderne Software kann Architekten das Leben erleichtern – und eröffnet neue Raumerfahrungen.

„Die Kraft des freien Denkens wird stark überschätzt. Ohne äußere Hilfsmittel sind Erinnerungs- und Denkvermögen stark eingeschränkt. Es sind die Dinge, die uns schlau machen“, huldigt der amerikanische Architekt Paul Laseau in seinem Werk „Graphic Thinking for Architects and Designers“ jenen Gegenstände, ohne die Planung und Darstellung von Architektur nicht möglich wären: Wurden Ideen in Form von Skizzen und Zeichnungen vor noch nicht allzu langer Zeit mit Bleistift zu Papier gebracht oder in mühevoller Arbeit zu miniaturisierter Papier- und Kartonarchitektur gefertigt, unterstützen heute moderne Softwareprogramme den Anwender beim Design- und Visualisierungsprozess.

„Sie werden in Zukunft gänzlich neue Räume eröffnen“, erklärt Eva Eggeling, Leiterin des Grazer Geschäftsbereichs „Visual Computing“ der Fraunhofer Austria Research GmbH.

Modellieren im Baukasten

Innerhalb des Get-together „Bauen auf Fraunhofer“ an der TU Graz Anfang Oktober wurden den Anwesenden aus Wirtschaft, Industrie und Forschung innovative Entwicklungen in den Bereichen grafische Datenverarbeitung und virtuelle Realität vorgestellt. Ein Forschungsbereich beschäftigt sich mit der „Generativen Modellierung“. Das Programm „House-Modeler“, das die generative Modellierungsprache (GML) bereits erfolgreich einsetzt, definiert Objekte nicht in 3-D-Oberflächen, sondern durch deren Form und Funktion – eine Art variables Baukastensystem also, das den Entwicklungsprozess erheblich vereinfachen soll. Denn bisher galt: „Geometrische Modelle werden von gängigen Modellierwerkzeugen wie CAD in Grundbausteinen wie etwa Dreiecken oder Unterteilungsflächen gespeichert, mit denen der Architekt sein Konstruktionsmodell beschreibt. Gerade bei nachträglichen Änderungen erweist sich das als nicht sehr arbeitsökonomisch“, erklärt Eggeling. Ändert sich zum Beispiel die Größe einer Fensterbank, muss jedes einzelne Fenster nachbearbeitet werden, was bei größeren Projekten zu einem Sisyphos-Unterfangen wird. Noch dazu gehen wichtige Metainformationen im Planungsprozess verloren.

Weitere Software-Tools sind für industrielle Anwendungen wie Maschinenbau oder Automobilindustrie angedacht, bei denen so komplexe Geometrien wie etwa Kotflügel in hoher Detailgüte realisiert werden müssen.

Andere Bereiche der Simulation und Visualisierung entführen in virtuelle Realitäten. Im Projektionsraum Dave ermöglichen ein spezielles Trackingsystem und insgesamt acht Videoprojektoren den vollen 3-D-Eindruck: Man bewegt sich durch die Visualisierung eines Wohngebäudes, macht eine Sitzprobe auf dem neuen Sofa oder wird zum Sandkorn im Inneren eines Motors. Ein Joystick erlaubt die Fortbewegung und die Interaktion mit Gegenständen. Produkt- und Architekturpräsentationen oder Infotainment bekämen dadurch eine neuartige Projektionsfläche und wären so zukünftig bereits in frühen Entwicklungsstadien (be)greifbar. Das Akronym Dave steht übrigens für „Definitely Affordable Virtual Environment“.

Navigieren und planen

In einem anderen Projekt in Zusammenarbeit mit dem Möbelhersteller Bene ist eine vom iPad oder iPhone bekannte Bedienoberfläche auf beziehungsweise in den Tisch gekommen: Der Multi-Touch-Table soll eine einfache und intuitive Navigation und Interaktion in 3-D-Welten ermöglichen. Das optisch ansprechende Full-HD-System, das ganze 30 Fingerbewegungen gleichzeitig erkennen kann, eignet sich für die Tourismus- und Städteplanung, oder bietet Museen und anderen Kultureinrichtungen die Möglichkeit, die Besucher dreidimensional durch Ausstellungen zu führen.

Mit den Vorurteilen, „dass Computer abstrakt und unsinnlich seien oder Medien keinerlei Einfluss auf unsere Raumerfahrung hätten“, räumte Urs Hirschberg, Dekan des Instituts für Architektur und Medien der TU Graz, in einem Vortrag über Augmented Architecture auf. Eine Architektur erweitert durch den Einsatz neuer Technologien und Medien auch unsere Sicht auf Raumerfahrungen und Bauweisen und lotet die Grenzen des Machbaren stets aufs Neue aus.

Viele der vorgestellten Projekte stecken jetzt noch in den Kinderschuhen oder wagen erste Gehversuche. Aber es dauert womöglich nicht mehr lange, bis diese Dinge respektive Technologien uns noch schlauer machen und Teil unseres Alltags werden.

Virtuelle Realität und grafische Datenverarbeitung haben nicht nur Einfluss auf das Entstehen von Architektur und Bauweisen. Auch unsere Raumerfahrungen werden zunehmend dadurch geprägt. Drei Beispiele wurden an der TU Graz präsentiert: Eines davon war das Programm „House-Modeler“, das Objekte nicht in 3-D-Oberflächen sondern in ihrer Funktion definiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2011)


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