Beim Künstlerpaar Wander und Waltraud Bertoni treffen sich symbolische Kunst, alte Geschichte und ländliche Idylle.
Der Wind streicht durch die knospende Linde beim Haus, die Weide am Teich leuchtet schon hellgrün, die Platane ist noch kahl: „Ich schaue jeden Tag, wie weit die Bäume sind“, erzählt Waltraud Bertoni. „Im Sommer sitzen wir meist unter der Linde, aber die braucht noch ein paar Tage.“ Der Frühling verwandelt das Freilichtmuseum Wander Bertoni in Winden am See – doch die Skulpturen wie Januskopf, Windfrauen oder Tempieto tangiert das wenig. Sie stehen, buchstäblich in Stein gemeißelt, in Metall gegossen oder aus Polyester gefertigt, unverrückbar auf dem Areal rund um die Gritschmühle.
Skulpturen und „Weinende Brücke" in Wien
Auch in Wien sind zahlreiche Arbeiten des 1925 in Codisotto (Italien) geborenen und als Zwangsarbeiter nach Wien verschleppten, gelernten Eisendrehers, zu sehen: etwa die Skulpturen zwischen Parkring und Coburgbastei, die „Weinende Brücke“ in der Floridsdorfer Siemensstraße oder „Das U“ aus „Das Imaginäre Alphabet“ vor der VS Flotowgasse 25 in Wien 18. Das „Rhythmische B“ des Alphabets wird am 7. Mai in die Sammlung der Albertina aufgenommen werden.
Musik im Stein
Zurück zur Mühle: „Erbaut 1856 von Geo. und Barbara Gritsch“ steht auf einer Steintafel am Brunnen, „Georg Gritsch 1891“ auf der zweiten. Die Wassermühle war eine von vier in Winden am See, die von der Quelle am Fuße des Leithagebirges versorgt wurden. Bertoni – mittlerweile Leiter der Meisterklasse für Bildhauerei an der Angewandten – erwarb sie 1965 und begann sie auszubauen, da sein Atelier in Grinzing zu klein geworden war und er „quasi im Freien“ arbeiten musste.
Alte Gemäuer
Zurück nach Italien zu gehen war keine Option – in Wien hatte er zahlreiche Künstler kennen gelernt, von Herbert Boeckl über Maria Bilger bis Fritz Wotruba. Er widmete sich der Bildhauerei und studierte an der Akademie für Bildende Künste. Und renovierte für den Lebensunterhalt im Krieg zerstörte Denkmale wie die Pestsäule am Graben und historische Bauten wie Belvedere oder Oper. In Winden am See legte der Künstler das alte Gemäuer trocken, hackte Gestein zum Ausbau zurecht, mauerte und fugte und setzte auch eigene Kunstwerke in die Mauern – etwa ein Lautenspielerrelief an der Außenseite des Ateliers. Innen wurde eine Galerie samt Hebekran für die schweren Skulpturen installiert. Auch ein Turmzimmer entstand, das zur Zeit allerdings kaum benutzt wird.
Zuhause in der Kunst
Im Haus fanden die Sammlungen weiter Reisen ihren Platz, etwa Spindeln und Masken, Möbel und vor allem Sessel besonderer Herkunft finden sich da und dort. Aber auch Relikte aus nächster Nähe inspirierten den Bildhauer: „Bei Ausgrabungen wurden Reste einer römischen Villa und der ältesten Weinpresse Österreichs gefunden“, erzählt Waltraud Bertoni. Durch Zukäufe von umgebenden Äckern wurde mit der Zeit die Anlage eines Skulpturenparks möglich. 1999 errichtete Architekt Johannes Spalt den Ausstellungspavillon, in dem Bertonis Werk chronologisch geordnet zu sehen ist. Und zum 85. Geburtstag des Bildhauers erbauten die ehemaligen Spalt-Schüler Ulrike Schartner und Alexander Hagner vom Wiener Architekturbüro gaupenraub das Eiermuseum (siehe Seite R 3), das mit dem Architekturpreis Burgenland ausgezeichnet wurde. Die Übersiedlung der Eier aus aller Welt ist Waltraud Bertoni noch gut in Erinnerung: „Ich habe ja alle einzeln verpackt.“
Unter der Linde und im Atelier
Lieblingsplätze sind neben dem Platz unter der Linde vor allem das lichtdurchflutete Atelier: Trotz eines schweren Unfalls bestimmt die Kunst nach wie vor das Leben: in Atelier und Ausstellungpavillon finden Veranstaltungen statt, Besucher erkunden das ganzjährig geöffnete Freilichtmuseum. Und im Rahmen der Doppelausstellung „Wander Bertoni. Skulpturen“ präsentieren die Galerie bei der Albertina Zetter und die galerie artziwna ab 6. Mai erstmals rund 40 Plastiken aus dem Lebenswerk des Künstlers. Die meisten entstanden in der Gritschmühle.
Infos
Die Gritschmühle wurde 1856 erbaut, ab 1965 von Wander Bertoni ausgebaut. Einfamilienhäuser kosten im Bezirk Neusiedl am See zwischen 871 und 2821 Euro/m2, Baugrundstücke 47,3 bis 246,3 Euro/m2. Bertoni ist seit 1946 als Bildhauer tätig. Im Mai wird eine seiner Skulpturen in die Sammlung der Albertina aufgenommen, zwei Ausstellungen in Wien eröffnen. www.galerie-albertina.at