Frührente: Kranke Psyche ist Ursache Nummer 1

PENSIONEN. Jeder dritte Angestellte scheidet vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus, weil er psychisch krank ist.

Wien.Österreichs Pensionssystem steuert auf den finanziellen Kollaps zu – darin sind sich alle nationalen sowie internationalen Experten weitgehend einig. Im Vergleich zu den 70er Jahren arbeiten die Österreicher um drei Jahre weniger, leben aber um acht Jahre länger. Das heißt, die Österreicher sind um elf Jahre länger in Pension. Warum ist das ein Problem? Zehn Antworten auf zehn drängende Fragen:

1Wann gehen die Österreicher im Schnitt in Pension?Männer gehen hierzulande laut offiziellen Statistiken mit 58,9 Jahren (Arbeitnehmer) in die Rente, Frauen mit 57 Jahren. Nur in Italien und Luxemburg treten die Menschen ebenso früh in den Ruhestand. Das gesetzliche Pensionsantrittsalter für Männer liegt in Österreich allerdings bei 65, für Frauen bei 60 – außer im öffentlichen Dienst, dort sind die Frauen den Männern gleichgestellt.

2Wie viele Österreicher arbeiten bis zum gesetzlichen Pensionantrittsalter?Bei den Männern ist es einer von zehn, der zwischen 61 und 64 noch im Berufsleben steht. Bei den Frauen gibt es keine offiziellen Zahlen. Nicht einmal jeder fünfte Frau arbeitet noch nach dem Erreichen ihres 55. Lebensjahres.

3Warum gibt es so viele Frühpensionen, wenn diese doch abgeschafft wurden?Die klassische Frühpension wurde tatsächlich von der letzten Regierung abgeschafft. Seit 2001 gibt es allerdings einen auffallend starken Anstieg der Frühpensionierungen aufgrund von Invalidität. Laut OECD wird die Invaliditätspension als Ersatz für die abgeschaffte Frühpension genutzt.

4Wie viele Österreicher gehen als „Invalide“ in die Rente?Vier von zehn Männern und eine von drei Frauen gehen als Invalide in die Rente. Über beide Geschlechter hinweg sind es 37,8 Prozent. Im Alter von 55 bis 59 gibt es in keinem anderen europäischen Land auch nur annähernd so viele „invalide“ Pensionisten wie in Österreich.

5Warum gibt es in Österreich so viele invalide Frührentner?Laut Pensionsversicherungsanstalt liegt Invalidität vor, wenn der Versicherte im Zuge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr in der Lage ist, die Hälfte seines bisherigen Einkommens zu erzielen. Laut OECD wird dies hierzulande exzessiv als Vehikel zur Frühpensionierung genutzt. Es komme zu einer „unheiligen Allianz“ aus Arbeitgebern (insbesondere der öffentlichen Hand), der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften. Aufgrund niedriger finanzieller Einbußen bei vorzeitiger Pensionierung und relativ hoher Abfertigungen rechnet sich dieses System.

6Welche Krankheiten führen in die Invaliditätspension?Jeder dritte Angestellte wurde 2005 aufgrund einer psychischen Erkrankung frühpensioniert. Innerhalb von nur zehn Jahren hat sich die Zahl der aufgrund psychischer Belastungen nicht mehr Arbeitsfähigen fast verdoppelt. Jeder vierte Angestellte geht aufgrund einer Erkrankung des Bewegungsapparats vorzeitig in den Ruhestand. Bei den Arbeitern verhält es sich genau umgekehrt. Die Zahl der psychisch kranken Arbeiter hat sich innerhalb von zehn Jahren „nur“ um ein Fünftel erhöht.

7Können „Invalide“ nicht eventuell einen anderen Beruf ausüben?Ein österreichisches Phänomen ist der sogenannte „Berufsschutz“. Wenn qualifizierte Arbeitskräfte ihren Beruf, in dem sie die vergangenen 15 Jahre tätig waren, ab dem Alter von 57 nicht mehr ausüben können, ist der Weg in die Invaliditätspension frei. Für ungelernte Arbeitskräfte und Hilfsarbeiter sowie Selbstständige ist dieser Berufsschutz ungünstiger geregelt.

8Wie viel kosten den Beitragszahlern die Invaliditätspensionen?Frühpensionierungen wirken sich doppelt negativ aus: Zum einen entstehen höhere Pensionskosten, zum anderen fehlen die Einzahlungen ins Pensionssystem. In Summe kosten alleine die invaliditätsbedingten Frühpensionierungen mehr als doppelt so viel als die öffentliche Hand für alle Arbeitslosen in Österreich ausgibt.

9Sind Ältere stärker von der Arbeitslosigkeit betroffen?Nein, sie sind laut IHS genauso stark davon betroffen wie 30-Jährige. Allerdings sind die Chancen, einen neuen Job zu finden, für einen Älteren ungleich schwerer. Das liegt nicht zuletzt an den deutlich höheren Arbeitskosten, die sich im Zuge des „Senioritätsprinzips“ (niedrige Einstiegsgehälter, hohe Löhne gegen Ende der Berufslaufbahn) ergeben.

10Was wäre zu unternehmen, um das Pensionssystem finanziell auf sichere Beine zu stellen?Allen Pensionsexperten zufolge muss das faktische Pensionsantrittsalter erhöht werden. Laut IHS um mindestens fünf Jahre. Im Regierunspakt ist vereinbart, dass das gesetzliche Pensionsantrittsalter ab 2010 erhöht werden kann, falls sich die Lebenserwartung verändert – was bereits als sicher gilt.

Zudem müssen die Abschläge für vorzeitige Pensionierungen laut OECD massiv angehoben werden. Das Gegenteil hat allerdings die große Koalition beschlossen. Für jedes Jahr, das man vorzeitig in Pension geht, verliert man hierzulande 2,1 Prozent. In der alten Regelung waren es 4,2 Prozent. In Schweden sind es sechs Prozent, in Spanien acht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2007)

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