Vor 30 Jahren: Ein Mann verhindert den 3. Weltkrieg

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Es war ein Fehlalarm, der fatale Folgen hätte haben können. Im September 1983 bewahrte ein sowjetischer Offizier die Welt vor einem Atomkrieg.

Es war das Alptraum-Szenario im Kalten Krieg schlechthin: US-Atomraketen im Anflug auf die Sowjetunion. Die logische Folge eines nuklearen Angriffs wäre ein massiver Gegenschlag gewesen, der wohl die beidseitige Vernichtung bedeutet hätte. Doch als am 26. September 1983 um 0:15 Uhr in der Kommandozentrale der sowjetischen Satellitenüberwachung nahe Moskau die Sirenen heulten, behielt ein Mann die Nerven: Der leitende Offizier Stanislaw Petrow.

Dabei war es eine Zeit, in der Sowjetführer Juri Andropow jederzeit mit einem Erstschlag der USA rechnete. Russische Spione hatten erst kurz zuvor von einem Nato-Manöver erfahren, das einen Atomkrieg simulieren sollte. Und Anfang September war ein koreanisches Flugzeug (Flug KAL007), das versehentlich in sowjetischen Luftraum eingedrungen war, vom Himmel geholt worden. Moskau hatte es für ein US-Spionageflugzeug gehalten. 269 Menschen starben.

Überwachungssystem meldet eine US-Rakete

Am 26. September 1983 meldet das sowjetische Überwachungssystem in roten Buchstaben "START", also den Start einer US-Rakete. Petrow zweifelt aber ab dem ersten Moment an der Richtigkeit der Alarmmeldung, er interpretiert sie als Fehlermeldung des Computers. Allerdings musste er sich absichern. Ihm bleiben nur wenige Minuten, ehe er seinen Vorgesetzten einen Angriff oder Fehlalarm melden muss.

Im Interview mit der deutschen Tageszeitung "Welt" erinnerte sich Petrow im Vorjahr an seine Vorgehensweise. "Ich schaute auf den Monitor, der die Satellitenbilder zeigte, darauf war keine Rakete zu sehen", so Petrow. "Allerdings lag die Militärbasis, von der die Rakete gestartet sein sollte, auf der Tag-Nacht-Grenze. Es konnte daher auch daran liegen, dass ich nichts erkennen konnte", erklärte Petrow sein Dilemma.

"Ich bin Analytiker, das konnte nicht sein"

Auch die für die visuelle Beobachtung zuständigen Experten können nichts erkennen. Gleichzeitig ergibt aber die Analyse des Computersystems, dass alles funktioniert. Petrow behält einen kühlen Kopf: "Ich bin Systemanalytiker, ich weiß, dass so etwas nicht sein konnte."

Petrow ruft sich in Erinnerung, dass ein Angriff nicht mit einer einzelnen Rakete erfolgen würde, sondern viele Raketen gleichzeitig starten würden. So hat er es zumindest gelernt. Er ruft also nach zwei Minuten seine Vorgesetzten an, um einen Fehlalarm zu melden. Kaum hat er aufgelegt, gehen aber erneut die Sirenen los. "Ich ging zu einem anderen Telefon, mit dem ich weitere Experten der Systemanalyse zu Hause anrufen konnte, um sie reinzurufen. Als ich aufstand, waren meine Knie ganz weich. Während ich anrief, gingen ein dritter, ein vierter und ein fünfter Alarm los", erinnert er sich. Doch er bleibt bei seiner Entscheidung. "Es war ja immer noch kurios, dass einzelne Raketen losgeschickt worden sein sollten statt vieler gleichzeitig. Ich hatte nichts zu revidieren."

Reflektierter Sonnenstrahl als Ursache?

Nach wenigen Minuten bestätigt dann endlich das Radarsystem das Urteil Petrows. Vermutlich täuschte ein von einer seltenen Wolkenformation reflektierter Sonnenstrahl das Warnsystem, schrieb "Spiegel Online" vor drei Jahren unter dem Titel "Der Mann, der den dritten Weltkrieg verhinderte".

Aus heutiger Sicht kann man froh sein, dass Petrow damals noch nicht jene Informationen vom sowjetischen Geheimdienst erhalten hatte, wonach die USA einen Atomschlag wohl in zwei Angriffswellen durchgeführt hätten. "Zunächst wäre ein Enthauptungsschlag gegen Moskau erfolgt, mit dem man die Sowjetunion zur Kapitulation zwingen wollte", schrieb dazu "heise.de" unter dem Titel "Stanislaw Petrow und das Geheimnis des roten Knopfs". "Bei Gegenwehr hätte man die nukleare Vernichtung begonnen. Ein Angriff mit nur fünf Raketen à zwölf Sprengköpfen hätte also durchaus Sinn ergeben." Petrow gab zu: "Hätte ich das damals gewusst, ich hätte mich anders entschieden."

Stanislaw Petrow bei einer der Ehrung mit dem Deutschen Medienpreis im Februar 2012.
Stanislaw Petrow bei einer der Ehrung mit dem Deutschen Medienpreis im Februar 2012.(c) Reuters (Alex Domanski)

"Wenn ich unrecht habe, muss ich dafür bezahlen"

Wie nah an der Kippe zu einem Atomkrieg die Welt tatsächlich stand, machte Petrow auch in einem "Presse"-Interview im Dezember 2012 klar: "Ich war mir 50:50 sicher und habe für mich entschieden: Egal, wenn ich unrecht habe, muss ich halt dafür bezahlen, aber ich werde niemals Schuld an einem Dritten Weltkrieg haben. In einem solchen wären zuerst wir umgekommen, 20 bis 25 Minuten später aber auch die Amerikaner."

"Unangenehm war, dass alles sehr geheim war", sagte Petrow. Seine Ehefrau erfuhr erst zehn Jahre später von dem Zwischenfall. "Hätte ich meiner Frau etwas erzählt, hätte am nächsten Tag die ganze Militärsiedlung davon gewusst. Frauen können keine Geheimnisse für sich behalten", erzählte er.

"Niemand hielt das für Heldentum"

Petrow wurde für seine Tat nicht belohnt - im Gegenteil. "Die Untersuchungskommission fand viele Mängel an der Arbeit des Systems und bescheinigte mir Tadellosigkeit. Das konnte nicht durchgehen, denn vor dem schmachvollen Hintergrund wollte mich niemand auszeichnen", erinnerte sich Petrow. "Und so hat man mich mit erfundenen Vorwänden beschuldigt und mir vorgeworfen, ich hätte Dokumente nicht richtig ausgefertigt."

Er selbst habe sich jedenfalls nie als "Held" gefühlt. "Den Zwischenfall von 1983 habe ich, wie die anderen auch, glücklicherweise vergessen. Niemand hielt das für Heldentum. Es hat funktioniert, und das war's", sagte Petrow zur "Presse". "Es ist überflüssig zu reden, zu tratschen, den Helden zu geben."

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