Kammer-Zwang im Verfassungsrang

APA
  • Drucken

14 Kammern erhalten von der Großen Koalition den maximalen Bestandsschutz. Unternehmer kritisieren die „Flucht in den geschützten Bereich“.

Wien. Das Vorhaben der Regierung, die Existenz aller 14 Kammern inklusive Zwangsmitgliedschaft in die österreichische Bundesverfassung zu heben, sorgt für heftige Kritik aus Wirtschaftskreisen, aber auch für Kontroversen unter Verfassungsexperten. Beobachter zweifeln allerdings nicht daran, dass die Koalitionsparteien mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat dennoch heute, Mittwoch, den Kammern den höchsten Schutz gewähren werden, den ein Rechtsstaat zu bieten hat. „Hier nimmt sich eine Kammer-Nomenklatura aus dem Wettbewerb und sichert sich auf Kosten ihrer Beitragszahler ab. Das ist eine Katastrophe und demokratiepolitisch höchst bedenklich“, meint etwa Böhler-Uddeholm-Chef Claus Raidl. Nach Einschätzung des ÖVP-Mitglieds Raidl ist die Zwangsmitgliedschaft in den Kammern damit auf alle Zeit einbetoniert.

Dank des neuen Verfassungsgesetzes haben die Kammern ab nun den Status eines „Selbstverwaltungskörpers“, der nur mehr mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament in Frage gestellt werden kann. Das kommt, solange SPÖ und ÖVP gemeinsam über eine solche Mehrheit verfügen, einer De-facto-„Pragmatisierung“ der 14 Interessenvertretungen gleich, die traditionell von diesen beiden Parteien dominiert werden.

Nichts passiert?

Der Präsident der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, sieht die Sache entspannt. Seiner Ansicht nach ändert sich „de facto nichts“. Ähnlich sieht das der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger. Dessen Kollege Heinz Mayer meint hingegen, dass die neue Verfassungsbestimmung eine bisher nicht existierende Bestandsgarantie für die Kammern samt Zwangsmitgliedschaft ergebe. Bisher wurden jedenfalls nur einzelne dieser Institutionen, wie etwa die Arbeiterkammer oder die Wirtschaftskammer, mit Verfassungsbestimmungen bedacht. Verfassungsrechtler Bernhard Raschauer nimmt eine Zwischenstellung ein: Er sieht wenig materielle Veränderung durch das Gesetz, aber eine unnötige Aufblähung der Bundesverfassung (siehe Seite 2).

In dasselbe Horn wie Raidl stößt Strabag-Chef Hans Peter Haselsteiner, der im letzten Wahlkampf offen die SPÖ unterstützte. „Die Kammern treten die Flucht in den geschützten Bereich und die Unangreifbarkeit an. Die Mitglieder können nur die Faust ballen und ohnmächtig zusehen. Ich habe mir diese Regierung wirklich gewünscht. Aber diese Verfassungsänderung ist wirklich empörend und ein Schlag ins Gesicht aller liberal denkenden Menschen in diesem Land“, so Haselsteiner.

„Der Ständestaat wieder eingeführt“

Kein Verständnis für die Vorgangsweise der Regierung hat auch der frühere SPÖ-Finanzminister Hannes Androsch: „Es darf nicht sein, dass die Pflichtmitgliedschaft in den Verfassungsrang gehoben wird, während sich freie Interessenvertretungen wie ÖGB und Industriellenvereinigung dem Wettbewerb stellen müssen“, so Androsch.

Was Haselsteiner verwundert, ist das Schweigen der Öffentlichkeit. Das dürfte auch daran liegen, dass das Thema im ORF de facto nicht stattfindet und große Medien des Landes nur am Rande berichten. Haselsteiner hat nun einen offenen Brief an alle Vorstände der börsenotierten Unternehmen geschrieben, um zumindest diese zu motivieren, gegen die „Zwangskammern“ aufzustehen.

Werner Tessmar-Pfohl, Unternehmer und Vizepräsident der steirischen Industriellenvereinigung, sieht die Sache so: „Man kann den Präsidenten der Kammern nur gratulieren, dass mit dieser Verfassungsänderung der Ständestaat eingeführt wurde. Darauf sollten wir in der Debatte nicht ganz vergessen. Wir haben es hier also mit einem Anachronismus der besonderen Art zu tun.“

Die gesetzlichen Grundlagen der Kammern stammen teilweise noch aus dem Jahr 1848. In der EU gibt es nur in acht Ländern Kammern mit Pflichtmitgliedschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.