Koalition: Zeitplan gescheitert, Verhandlungen langwierig

KERN / MITTERLEHNER
KERN / MITTERLEHNERAPA/HANS KLAUS TECHT
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Neustart oder Neuwahl? In der Nacht auf Donnerstag geriet der Zeitplan der Verhandlungen in der Koalition über ein Update des Regierungspakts durcheinander. Es könnte auch bis Samstag verhandelt werden.

Ein Koalitionspakt mit neuen Punkten? Oder eine vorzeitige Neuwahl? Nach weiteren rot-schwarzen Verhandlungen gestern im Kanzleramt gilt in der Regierung der Freitag als Tag der Entscheidung. Laut spärlich verfügbaren Informationen zeichnete sich zunächst eine vorsichtige Bewegung der Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP aufeinander zu ab. Die Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP gestalteten sich dann aber beim Sicherheitsthema offenbar wieder extrem schwierig. So wurde der gesamte Zeitplan in den späten Abendstunden des Donnerstag durcheinander gebracht.

Wie die „Presse“ erfuhr, müssen gleich drei Verhandlungsrunden auf Freitag zehn Uhr verschoben werden: Bildung, Staat/Gesellschaft sowie Innovation/Technologie. Vorgesehen war, dass es heute zu Mittag ein Vieraugengespräch zwischen Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner geben wird, nach dem über die Zukunft der Koalition entschieden wird. Dieser Termin verschiebt sich nun jedenfalls in den Nachmittag. Aber auch ein Weiterverhandeln bis Samstag wurde in der Nacht auf Donnerstag in Koalitionskreisen nicht mehr ausgeschlossen.

Kern: "Absichtserklärungen werden nicht reichen"

Regierungsmitglieder sprachen nach dem vorläufigen Ende der Gespräche gegen 1.00 Uhr Früh von konstruktiven Verhandlungen, Konsens und guter Stimmung. Etwas zurückhaltender wirkte der Bundeskanzler. Er nannte die Atmosphäre korrekt. "Es hat in einigen Punkten Fortschritte gegeben. Es ist noch einiges offen. Mir ist wichtig, dass wir am Ende ein konkretes Papier haben - mit konkreten Maßnahmen, mit konkreten Umsetzungsplänen. Es wird nicht reichen, wenn wir uns bloß in Absichtserklärungen ergehen. Ich will ein verbindliches Papier mit verbindlichen Vorschlägen, und ich will, dass am Ende alle Minister klar dazu sagen, genau das ist es, so wollen wir die nächsten 18 Monate gemeinsam den Weg gehen."

Ob die Koalition hält oder es zu Neuwahlen kommt, will Kern erst am Ende der Verhandlungen beurteilen. Er sei zwar optimistisch, aber "wissen tut man's immer nur am Ende", so der Bundeskanzler. "Ich habe mit dem Vizekanzler vereinbart, dass unser Ziel ist, konkret zu werden. Das müssen wir umsetzen, weil am Ende haben wir nichts davon, wenn wir jetzt auseinandergehen und sagen, wir haben uns geeinigt, und in zehn Tagen fangen Diskussionen wieder an über die Interpretation von Beschlüssen. Das möchte ich vermeiden, das hatten wir in der Vergangenheit."

Finanzminister Schelling in der Schlüsselrolle

Bundeskanzler Kern hat seine Entscheidung über die Zukunft der Koalition davon abhängig gemacht, wie das „Gesamtpaket“ für das neue Regierungsprogramm ausfällt. Der rot-schwarze Verhandlungsmarathon in der Nacht auf Freitag wurde daher zur Zerreißprobe.

Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) war in einer Schlüsselrolle. Viele Maßnahmen, die die SPÖ verlangt, kosten Geld, wie ein Kündigungsschutz für über 50-Jährige. Geld, für das Gegenfinanzierungen fehlen. Andererseits gilt Schelling als Verfechter einer Koalition mit der SPÖ – bei einer FPÖ-Beteiligung würde er nicht zur Verfügung stehen.

Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) erklärte in den Abendstunden unmittelbar vor einem Gespräch mit Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) über das umstrittene Integrationspaket: „Heute geht es darum, sich auf Maßnahmen zu einigen, das werden wir tun. Ich möchte Schwung hineinbringen, das heißt, dass man sich aufeinander zubewegt.“ Wirtschaftskammerchef Christoph Leitl („es gibt kein Sterbeglöckerl“) und Gewerkschafts-Präsident Erich Foglar („Regierung soll weiter arbeiten“) zeigten sich nach einem Treffen mit der Koalition optimistisch, dass es zu einer Einigung kommt.

Lust in ÖVP auf Neuwahlen gering

Nach dem Koalitionskrach am Dienstag und dem Ultimatum Kerns bis Freitag hat sich eine Sechserrunde (neben der Regierungsspitze die Regierungskoordinatoren Minister Thomas Drozda, SPÖ, und Staatssekretär Harald Mahrer, ÖVP, sowie Finanzminister Hans Jörg Schelling und SPÖ-Klubchef Andreas Schieder) in der Nacht auf Donnerstag auf ein 30-Seiten-Papier mit Punkten verständigen können, bei denen realistischerweise eine Einigung über ein Update des Regierungsprogramms möglich ist.

Damit standen SPÖ und ÖVP jedoch unter extremem Zeitdruck. Denn um die Klärungen im Detail und einen Zeitplan für deren Umsetzung bis zum regulären Wahltermin 2018 ging es ab Donnerstagnachmittag in einem wahren Verhandlungsreigen der Sechsergruppe mit den jeweiligen Fachministern. Die Themen unter anderen: Arbeit und Wirtschaft, Sicherheit, Integration, Nachhaltigkeit mit Schwerpunkt Energie; Staatsreform und Gesellschaft inklusive Wahlrecht.

Im Fall einer Grundsatzklärung über genügend Konsenspunkte für einen neuen Regierungspakt bis heute, Freitag, galt es auch als möglich, dass das neue Abkommen erst in den kommenden Tagen fertiggestellt und nach der Rückkehr von Kanzler Kern von einer Israel-Reise bis zum Ministerrat am kommenden Mittwoch präsentiert wird.

In Regierungskreisen war zu erfahren, dass in der ÖVP die Lust an vorzeitigen Neuwahlen auch mit einem Außenminister Sebastian Kurz als neuem Spitzenkandidaten gering sei. Umgekehrt wurde betont, SPÖ-Chef Kern könne ebenfalls kein Interesse an Neuwahlen haben, bei denen er dann ohne vorzeigbare Ergebnisse vor die Wähler treten müsse. Dem Vernehmen nach hat in der Kanzlerpartei der Gewerkschaftsflügel wenig Interesse an Neuwahlen noch heuer.

Sicherheit

Bereits am Donnerstagmorgen, bevor Innenminister Wolfgang Sobotka zum Treffen der EU-Innenminister nach Malta flog, hat er sich mit seinem Gegenüber von der SPÖ, Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, darauf verständigt, dass man beim Sicherheitspaket eigentlich einig sei. Die Details sollten dann am späteren Nachmittag von den jeweiligen Kabinettschefs geklärt werden. Am Abend war Sobotka dann wieder da und nahm wie Doskozil an der großen Verhandlungsrunde im Kanzleramt teil. Dem Vernehmen nach sollen beim Sicherheitspaket beide Seiten das bekommen, was sie wollten: also Sobotka etwa die Fußfessel für Gefährder und Doskozil die Überwachung von Zügen durch Soldaten an den österreichischen Grenzen. Dennoch dauerten dann gerade diese Verhandlungen länger als geplant. Auch die Videoüberwachung soll ausgeweitet werden – unter staatsanwaltlicher Kontrolle. Das Thema Obergrenze und damit verbundene Container (Sobotka) oder Grundversorgungszentren (Doskozil) für überzählige Asylwerber wurde hingegen ausgespart. Da man davon ausgeht, dass durch schärfere EU-Außengrenzsicherung ohnehin weniger Flüchtlinge kommen sollten. Dafür wollen sich beide mit Nachdruck einsetzen.

Wirtschaft/Arbeit

Arbeitsmarkt und Wirtschaftsstandort waren in der Nacht auf Donnerstag Thema der SPÖ-ÖVP-Beratungen. Dabei gab es Fortschritte bei einer weiteren Senkung der Lohnnebenkosten sowie bei flexibleren Arbeitszeiten (Zwölf-Stunden-Tag gleichzeitig mit größeren Freizeitblöcken für Arbeitnehmer) sowie bei einer Erhöhung der Forschungsprämie. Als möglich galt die Abgeltung der kalten Progression, um die jährliche automatische steuerliche Mehrbelastung aufgrund der Inflation auszugleichen. Thema war auch die Entlastung der Bezieher niedriger Einkommen durch gestaffelte Senkung der Sozialbeiträge. Offen ist, was aus dem Thema Steuern wird.

Universitäten

Eigentlich brauchte man dafür gar kein Update: Die Studienplatzfinanzierung steht bereits im aktuellen Regierungsprogramm. Seit sich Kanzler Kern in seinem Plan A für Zugangsbeschränkungen öffnete, ist sie aber in greifbare Nähe gerückt – sofern man sich innerhalb der Koalition auf das Ausmaß neuer Beschränkungen einigt. Konkret ist die Frage, ob die Schranken flächendeckend (ÖVP) oder nur in besonders überlaufenen Studienfächern (SPÖ) eingeführt werden sollen. Offen ist aber auch das zusätzliche Geld, das es trotzdem braucht, um die Bedingungen an den Universitäten zu verbessern.

Schule/Kindergarten

Auch bei der Digitalisierung der Schule geht es unter anderem um Geld. Sonst ist man sich einig, dass in dem Punkt etwas getan werden soll. Ob das eines der Update-Themen ist, war offen. Mit Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) und Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) wurde gestern Abend auch über die Kindergärten gesprochen, die ja mit dem neuen Finanzausgleich künftig anders finanziert werden sollen. Über die Umsetzung der Bildungsreform, die sich bisher immer wieder nach hinten verschoben hat – konkret: über die Themen Schulautonomie und Schulverwaltung – verhandelte man inklusive Ländervertreter bereits tags zuvor. Jetzt drängt aber langsam die Zeit. Am Dienstag soll weiter daran gefeilt werden. (beba/oli/d.n.red.)

AUF EINEN BLICK

Kanzler Kern hat der ÖVP ein Ultimatum bis heute Freitag gestellt. Zu Mittag soll es dann ein Vieraugengespräch zwischen Kern und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner geben, ob das bisher Ausverhandelte reicht. Bereits am Mittwoch ist ein Fahrplan erstellt worden. Am Donnerstag nach der Angelobung von Alexander Van der Bellen wurde weiterverhandelt – den ganzen Abend über. In manchen Punkten war man sich rasch einig – etwa beim Sicherheitspaket –, in anderen nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2017)

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