ORF-Journalisten sind keine "Agenten"

Anhänger der AKP in der Türkei
Anhänger der AKP in der Türkei(c) REUTERS (OSMAN ORSAL)
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Im Wiener Verein "Wonder" haben AKP-nahe Kreise für ein "Ja" beim türkischen Referendum geworben. Der Journalistin Sonja Sagmeister wurde der Eintritt verwehrt. In türkischen Medien wurde sie als "Agentin" bezeichnet.

Der ORF hat am Sonntag erfolglos versucht, über den Auftritt eines türkischen Ex-Abgeordneten in Wien-Ottakring zu berichten. Der Journalistin Sonja Sagmeister ist der Zutritt zum Vereinslokal verwehrt worden, in dem Sevki Yilmaz offenbar die Werbetrommel für das umstrittene Referendum über ein Präsidialreferendum in der Türkei rührte. In weiterer Folge wurde ZiB-Reporterin in türkischen Medien als "Agentin" bezeichnet. Der Redakteursat des ORF reagiert nun auf die Berichterstattung: Dagegen wehren sich die Journalistinnen und –Journalisten des ORF. Freie Berichterstattung und Pressefreiheit sind ein hohes Gut und dürfen nicht eingeschränkt werden, heißt es in einer Aussendung am Montagnachmittag.

"Umgang absolut unzulässig"

Sagmeister sei von Versammlungsteilnehmern bedrängt worden und habe sich eingeschüchtert gefühlt, heißt es weiters: "Diese Form von Umgang mit JournalistInnen und die Behinderung unserer Arbeit ist absolut unzulässig", heißt es in der von den ORF-Redakteuren Dieter Bornemann, Peter Daser und Margit Schuschou unterfertigten Erklärung. Als "völlig haltlos" bezeichnete der Redakteursrat Anschuldigungen in türkischen Medien, wonach die Journalistin eine "Agentin" sei und "irgendwelche Aktionen geplant" hätte.

Ein Sprecher der Landespolizeidirektion Wien sagte der APA am Montag auf Anfrage, dass die Polizei von der Journalistin alarmiert worden sei. "Die Polizei war unnötig dort", fügte er hinzu. Die Veranstalter hätten bei dem Treffen in dem "privaten Vereinslokal" keine Journalisten gewollt. Es habe weder eine Beschimpfung noch Handgreiflichkeiten gegeben.

Der ORF wies in einer Stellungnahme darauf hin, dass der Veranstaltungssaal zunächst öffentlich zugänglich gewesen sei. Es sei daher "rechtlich völlig legitim", dass eine ORF-Redakteurin diesen Saal "im Rahmen einer journalistischen Recherche unerkannt, im konkreten Fall durch Tragen eines Kopftuchs" betreten wollte. "Der Vorwurf der Spionage ist absurd." Zu möglichen Bedrohungen der ORF-Redakteurin habe sich der Verfassungsschutz eingeschaltet.

Mit dem Smartphone gefilmt

Die Veranstaltung fand im Lokal des AKP-nahen Vereins "Wonder" statt, der vorrangig türkische Studenten in Wien unterstützt, etwa auch mit Sprachkursen. Im Jahr 2011 besuchte der damalige türkische Präsident Abdullah Gül die Räumlichkeiten von "Wonder". Das Sekretariat des Vereins teilte der APA am Montag auf Anfrage mit, dass die Veranstaltung von der AKP-nahen "Union Europäisch-Türkischer Demokraten" (UETD) ausgerichtet wurde.

UETD-Sprecher Ramazan Aktas sagte dem "Kurier" (Online-Ausgabe), die ORF-Journalistin habe sich mittels Kopftuch "verkleidet" und schon eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn in dem noch weitgehend leeren Saal mit dem Smartphone gefilmt. Auf die Bitte, noch etwas zu warten und die Frage, warum sie sich "getarnt" habe, habe die Journalistin dann die Polizei alarmiert.

Der türkische Parlamentarier Sevki Yilmaz gilt als islamistisch. Er saß in den 1990er-Jahren für die AKP-Vorläuferin Refah (Wohlfahrtspartei) im türkischen Parlament und sorgte damals unter anderem mit Kritik am laizistischen Regierungssystem und Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk für Aufsehen.

Wahlkampfauftritte türkischer Politiker im Ausland werden derzeit vor allem in Deutschland und Österreich heftig kritisiert. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) bezeichnete solche Auftritte als "unerwünscht", weil sie politische Konflikte nach Österreich trügen und der Integration schadeten. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) forderte ein europaweites Verbot, damit nicht einzelne Länder wie Deutschland "unter Druck der Türkei geraten".

"Nicht einmal Ottakring im Griff"

Der Wiener Vizebürgermeister Johann Gudenus (FPÖ) kritisierte am Montag das "Heimspiel für Erdogan in Ottakring". Laut dem FPÖ-Vizechef wurde die "Werbeveranstaltung des Erdogan-Wahlkampfteams" sogar vom österreichischen Steuerzahler bezahlt, weil der Verein "Wonder" von der Stadt Wien gefördert werde. Die Forderung von Kanzler Kern nach einem EU-weiten Verbot türkischer Werbeveranstaltungen sei in diesem Zusammenhang "besonders absurd": "Kern will der EU vorschreiben, was sie zu tun hat, während er nicht einmal Ottakring im Griff hat."

(APA)

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