Alois Mock: Akribischer Arbeiter, "Held von Brüssel"

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Alois Mocks historisch wohl größte Leistung war Österreichs EU-Beitritt. Besonders in Erinnerung blieben auch der "Wangenkuss" für die damalige SPÖ-Staatssekretärin Brigitte Ederer - und das Zerschneiden des Eisernen Vorhanges. Ein Nachruf.

Wer in den Achtzigerjahren nächtens am Parlamentsgebäude vorbei ging, wunderte sich kaum, wenn im Erdgeschoß das Licht brannte: Alois Mock hatte im ÖVP-Klub noch zu tun. Denn bei all seinen Vorzügen und menschlichen Qualitäten hatte der Mann ein erhebliches Defizit. Er konnte schwer delegieren. Lieber arbeitete er seine Aktenstöße des Nachts selber auf. Er war ein akribischer Arbeiter, was manchmal nicht nur seine Ehefrau Edith, sondern auch die wechselnden Verhandlungspartner gegnerischer Parteien zur Verzweiflung trieb.

Brüssel, am 1. März 1994: Nach einem 80-stündigen Verhandlungsmarathon hatte es die österreichische Delegation geschafft. Der Beitritt zur Europäischen Union per 1. Jänner 1995 war akkordiert. Außenminister Alois Mock erschien bei den wartenden Journalisten. Strahlend. Erschöpfung und Krankheit ließ er sich in diesem größten Augenblick seines Lebens kaum anmerken: „Österreichs Weg nach Europa ist frei“, rief er jubelnd. Man erinnerte sich an Leopold Figls berühmte Worte beim Staatsvertrag 1955.

Mock, „der Held von Brüssel“, der im Überschwang der SPÖ-Staatssekretärin Brigitte Ederer linkisch einen Wangenkuss verabreichte: Dieses Bild bleibt. Nicht nur die große Koalition mit SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky und ÖVP-Vizekanzler Erhard Busek hatte in diesen hektischen Wochen an einem Strang gezogen. Auch die Zeitungen (selbst die „Krone“) waren Mitstreiter in diesem Tauziehen. Die Österreicher hatten ein Ziel vor Augen, da hielten sie zusammen.

Der Traum von einem wieder vereinten Europa

In einem Interview bezeichnete der ÖVP-Ehrenobmann aber einen anderen Auftritt als berührendstes Erlebnis: Auf seinem Schreibtisch lag stets ein Brief Helmut Kohls. Der frühere deutsche Bundeskanzler würdigte darin die symbolträchtige Geste 1989, als der Außenminister Mock mit seinem ungarischen Kollegen Gyula Horn den „Eisernen Vorhang“ zwischen den beiden Staaten zerschnitt. Ein PR-Gag seines engsten Beraters Herbert Vytiska, aber das Foto ging um die Welt.
„Ich habe versucht, mir vorzustellen, was das für unsere Nachbarn bedeuten mag“, sagte Mock im „Presse“-Gespräch: Der Traum von einem wieder vereinten Europa sei damit ein gutes Stück realistischer geworden – „nach all den Scheußlichkeiten dieses Jahrhunderts!“

Woher kam dieser Traum von Europa? Wo lagen die Wurzeln dieser Vision, die der Christlichsoziale mit einer Beharrlichkeit verfolgt hat, bis sich Freund und Gegner geschlagen gaben? Sie rührte bereits aus seiner Studentenzeit her. Aus Bologna, genauer gesagt. Wie der gebürtige Euratsfelder dorthin kam, zeigte schon jene Sturheit, an die sich später Parteifreunde wie politische Verhandlungspartner noch mit Schrecken zurückerinnern. „Ich hab' mich um ein Fulbright-Stipendium beworben – an sich eine Frechheit bei meinen schlechten Englisch-Kenntnissen. Ich bin abgelehnt worden. Dann noch einmal. Beim dritten Mal hat Frechheit gesiegt.“ Und so beobachtete er an der Johns Hopkins University in Bologna erstmals den europäischen Einigungsprozess, den er als einmalige Chance für künftige Generationen begriff.

Alleinregierung der ÖVP

Eine lange Wegstrecke musste der Traum von Europa hintanstehen. Der junge Jurist, ab 1961 dem Bundeskanzleramt als Referent für EWG- und EFTA-Fragen zugeteilt, und von 1962 bis 1966 der österreichischen OECD-Vertretung in Paris, kam 1966 ins Kanzleramt. Die Alleinregierung der ÖVP hatte begonnen, Bundeskanzler Josef Klaus brauchte einen Kabinettschef. Das Sekretärs-Team um Klaus war sensationell: Franz Karasek, Thomas Klestil, Josef Taus, Heinrich Neisser, Peter Marboe, Michael Graff.

1969 musste Klaus über Nacht einen neuen Unterrichtsminister finden. Der steirische Grandseigneur Theodor Piffl-Perčević war verärgert aus der ÖVP-Regierungsmannschaft ausgeschieden, Mock sollte das Loch stopfen. 1970 war es mit der Karriere als jüngster österreichischer Unterrichtsminister schon wieder vorbei – die SPÖ trat ihren Siegeszug an.

Obmann des Arbeitnehmerbundes seiner Partei, Klubobmann, Parteichef – all das waren Zwischenstationen, bis sich der Lebensbogen mit der Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrages rundete: „Mein zweitschönstes Erlebnis!“ Die spätere EU-Müdigkeit seiner Landsleute konnte Mock nur mit Bitterkeit zur Kenntnis nehmen. Artikulieren, seine Landsleute aufrütteln, das konnte er nicht mehr. Seine tückische Krankheit hinderte ihn daran.

Parteipolitisch lief freilich nicht alles nach Wunsch. Zwischen den Parteichefs Vranitzky und Mock herrschte respektvolle Distanz, immerhin ging es um Machtfragen. In der Wahlkampagne 1986 sah sich der ÖVP-Obmann schon so gut wie am Ziel, aber am Wahlabend hatte Vranitzky knapp die Nase vorn. 88.000 Stimmen fehlten der Volkspartei auf die relative Mehrheit. Kurz vor dem TV-Auftritt am Wahlabend erlitt Mock seinen ersten gesundheitlichen Zusammenbruch. Fortan war er auch politisch geschwächt.

In mühsamen Koalitionsgesprächen zurrte Mock die Hinwendung zu Europa fest. Vranitzky zögerte zunächst in intimer Kenntnis seiner Partei und der Gewerkschafter. Mock hatte ein Atout in der Hand: Rechnerisch hätte er eine kleine Koalition mit Jörg Haiders FPÖ probieren können, die damals noch pro Europa eingestellt war. Diese Option zerplatzte Mock unter den Händen. Im Parteivorstand fand er nur einen einzigen Befürworter, den Salzburger Wilfried Haslauer . . .

Volksabstimmung über den EU-Beitritt

Also blieb nur eine neuerliche Kooperation mit der SPÖ. Am 12. Juni 1994 durfte er triumphieren. Die Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreichs ging mit 66,6 Prozent weitaus positiver aus, als es selbst der Optimist Mock erhofft hatte. Edith Mock verlor damals ihre Wette. Und sie tat es gern. Denn sie tippte beim Spaziergang mit der „Presse“ nur auf 52 Prozent Zustimmung. Aber die Österreicher erwiesen sich als weitaus vernünftiger.

Am nächsten Tag wolle er zum Arzt, sagte er damals: „Ich darf keine plötzlichen Bewegungen machen. Nichts tragen.“ Es waren die ersten Anzeichen von Parkinson. Immer habe er sich früher mokiert, so Mock, „wenn einer was g'worden ist und sich gleich die Tasche nachtragen hat lassen. Jetzt bin ich so weit. Weil's mir die Ärzte verboten haben.“

Sagen durfte man lange noch nicht, was Freunde des kinderlosen Ehepaares Mock ahnten: Der Beginn der Parkinson'schen Krankheit beim Außenminister und ÖVP- Obmann wurde geheim gehalten. Umso größer daher die Verwunderung Thomas Chorherrs 1992, als er Mock bei einem Essen unter vier Augen fragte, warum er nicht als Bundespräsident kandidiere. Mock: „Ich kann und will es nicht werden. Irgendwann einmal werden Sie wissen, warum . . .“

Abschied von der Regierungsbank

Das hinderte ihn aber nicht, den europäischen Einigungsprozess voranzutreiben. Slowenien wurde zum Entsetzen mehrerer europäischer Staatskanzleien von Österreich sehr rasch anerkannt. Und in Kroatien erfreute er sich bis zuletzt ungebrochener Popularität und Ehrerbietung.
Ohne großes Pathos nahm er im April 1995 Abschied von der Regierungsbank, da war er schon nicht mehr Parteiobmann, sondern der hieß Erhard Busek. Das war mehr als nur die Auswechslung der Köpfe: Mock – lebenslang ein Mitglied der farbentragenden katholischen Studentenverbindung „Norica Wien“ – verstand sich als Speerspitze des CV in der Bundesverwaltung, Busek wurde (so wie später Schüssel) in der „Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände“ sozialisiert.

Für ein großes Ziel hat Alois Mock seine Gesundheit geopfert. Das wusste er. Dennoch trat er immer wieder in der Öffentlichkeit auf, mitleidige Blicke bekam er gar nicht mit. Im Herbst 2007 rollten ihn die Freunde in den Festsaal der Wiener Uni, wo sein Doktordiplom nach fünfzig Jahren feierlich erneuert wurde. Im Juni 2014 sah man ihn noch einmal. Schwer gezeichnet von seiner Krankheit ließ er die Feiern der ÖVP zu seinem Achtziger über sich ergehen. Zum Schluss sagt er – heftig akklamiert –, was jeder von uns am Ende seines Lebensbogens hofft, sagen zu können: „Es hat sich gelohnt.“

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