Nach einem sanften rot-grünen TV-Duell zwischen Christian Kern und Ulrike Lunacek kamen der Kanzler und Neos-Chef Matthias Strolz in einem weiteren TV-Duell auf keinen gemeinsamen Nenner.
Ein überraschend untergriffiges, teils fast schon gehässiges TV-Duell haben sich Montagabend auf Puls 4 SPÖ-Chef Christian Kern und Neos-Obmann Matthias Strolz geliefert. Inhaltlich war man sich in kaum einem Punkt einig und wenn man einmal in der Sache auf einer Linie war, fand man irgendeinen anderen Grund, den jeweils anderen mit kleinen Bösartigkeiten zu bedenken.
Als Geschenk hatte der Kanzler dem Neos-Chef pinke Schienbeinschützer mitgebracht. Gebraucht hätte Kern die wohl eher selbst. Denn Strolz ließ von der ersten Minute an erkennen, dass er sich einen angriffigen Abend vorgenommen hatte.
Dies begann schon beim Geschenk, roten Flip-Flops. Denn für Strolz weiß man bei der SPÖ nicht mehr, woran man ist: "Der eine Teil blinkt rechts, der andere links." Er gestehe Kern guten Willen zu, dieser sei aber am System gescheitert: "Sie haben die SPÖ nicht mehr hinter sich." Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) übten schon gemeinsam, so der Neos-Chef in Anspielung auf ein gemeinsames Zeitungsinterview der beiden Ressortchefs.
In Kerns Replik kam wieder einmal Pippi Langstrumpf zu Ehren: "Herr Strolz reimt sich seine Welt, wie sie ihm gefällt." Denn der Neos-Chef sei es, der sich der ÖVP bei jeder Gelegenheit als Koalitionspartner anbiete.
Es folgte bei allen inhaltlichen Themen Untergriff auf Untergriff, etwa als der SPÖ-Chef seinem Kontrahenten entgegenhielt: "Völlig faktenbefreit zu argumentieren, macht auch keinen Sinn." Als wiederum der Kanzler betonte, sich vor dem Schlafengehen mit allen möglichen Zahlen zu beschäftigen, replizierte Strolz: "Wir lesen die Zahlen nicht im Halbschlaf, sondern im Wachzustand."
Inhaltlich nichts Neues
Es blieb hitzig, so hielt Strolz dem Kanzler vor: "Sie haben einen Hang zum Professoralen." Unmittelbare Antwort des Kanzlers: "Da sind wir zwei." Negativer Höhepunkt war eine wohl nicht ernst gemeinte Drohung des ohnehin nicht gerade kurz zu Wort gekommenen Neos-Chefs, einen Kaffee trinken zu gehen, wenn Kern ihn nicht wieder reden lassen. "Ihre Entscheidung", gab der SPÖ-Vorsitzende kühl zurück.
An Inhaltlichem gab es so gut wie nichts neues zu hören. Strolz warb für flexiblere Arbeitszeiten, für Kern sind die nur denkbar, wenn sie freiwillig sind. Der SPÖ-Chef wiederum pochte auf Erbschaftssteuern zur Finanzierung des Pflegesystems, was der Neos-Obmann mit Hinweis auf die aus seiner Sicht zu hohe Abgabenquote ablehnte.
Beim Wohnen wollten beide, dass es billiger wird, allerdings glaubt Strolz nicht, dass das mit den von der SPÖ forcierten Miet-Obergrenzen funktioniert. Die Neos setzen da auf den freien Markt und lehnen "Planwirtschaft" ab. Eine Föderalismus-Reform hätten beide gerne. Strolz traut sie dem Kanzler jedoch nicht zu.
Zehn Jahre als Politiker hat Christian Kern für sich vorgesehen. Das sagte er bei seinem Einzug ins Bundeskanzleramt im Mai 2016 – und er wiederholt es nach wie vor. Das bedeute, er würde nach der Nationalratswahl auch die Oppositionsbank drücken, lieber wäre dem SPÖ-Bundesparteivorsitzenden und früheren ÖBB-Manager aber freilich eine zweite Amtszeit als Regierungschef - respektive "Slim-Fit-Kanzler", wie er aufgrund seiner akkurat Kleidungswahl mitunter genannt wird. Die Presse
Seine ersten offiziellen Schritte am heimischen Polit-Parkett tat Kern im Mai 2016, als er Werner Faymann nicht nur als SPÖ-Bundesparteichef, sondern auch als Bundeskanzler beerbte. Zuvor hatte er sich als Manager bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) einen Namen gemacht, insbesondere, als er während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 die Beförderung Tausender organisierte – und scharfe Kritik an der Bundesregierung geübt hatte. So sagte er damals u.a. in einem "Presse"-Interview: "Wenn die Hilfsorganisationen ähnlich agiert hätten wie manche Behörden, dann hätten wir weit größere Probleme gehabt." APA/ROLAND SCHLAGER
Als Kern letztlich zusagte, die SPÖ zu führen, galt er so manchem Genossen als eine Art Heilsbringer – und das, obwohl er für Positionen eintritt, für die sein Vorgänger wohl mit Rücktrittsaufforderungen überhäuft worden wäre. Stichwort: Studienplatzbeschränkungen oder Arbeitszeitflexibilisierung. Auch, dass er rasch nach seinem Amtsantritt einem Treffen sowie einer öffentlichen Diskussion mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zusagte, gehörte bis dahin nicht unbedingt zum Kanon der österreichischen Sozialdemokratie. GEORG HOCHMUTH / APA / picturede
Zur anfänglichen positiven Stimmung beigetragen hat sicherlich auch das Talent zur Inszenierung des gebürtigen Wieners. So mag sein Ausflug als „Pizzaboy“ im Schnitzelland Österreich manchen ein wenig aufgesetzt gewirkt haben, funktioniert hat die Aktion aber, wie sich an den Zugriffszahlen zum Begleitvideo leicht ablesen lässt. Die Parteilinke erfreute er wiederum mit einer Rede bei der Regenbogen-Parade. APA/HANS PUNZ
Sein "Plan A", der inhaltlich einige rote Zöpfe abschneidet, war so gut getimt (und medienwirksam in der Messehalle Wels vorgestellt), dass Kern der ÖVP in der Folge sogar eine Reform des Regierungsabkommens abtrotzen konnte, freilich mit auffällig vielen tendenziell schwarzen Inhalten. APA/BARBARA GINDL
Im Verlauf des Sommers wurde der Plan zum offiziellen 209-seitigen Wahlkampfprogramm der SPÖ aufgewertet. Einige Eckpunkte: Für Unternehmen sollen die Lohnnebenkosten um 500 Euro sinken, Löhne bis 1500 Euro sollen steuerfrei sein, Kürzungen der Pensionen soll es nicht geben, dafür verschärfte Steuerregeln für Konzerne, ebenso eingeführt werden soll eine Erbschaftssteuer ab einer Million Euro. Dazu gab es einen provokanten Slogan (am entsprechenden Plakat illustriert mit Kern in Uncle-Sam-Manier): "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht." APA/HANS KLAUS TECHT
Eher ungeschickt agierte Kern dagegen am internationalen Parkett. Zuerst befeuerte er den parteieigenen Widerstand gegen das Handelsabkommen Ceta sogar mit einer Art Urabstimmung, ließ eine Blockade auf EU-Ebene dann aber doch flott sein. Eigenwillig war auch Kerns Blockade der Aufnahme jugendlicher Flüchtlinge, die er europäischen Vorgaben geschuldet ebenfalls rasch aufgeben musste. APA/ROLAND SCHLAGER
Generell gilt Kern als pragmatisch, aber auch als jemand, der gerne die Kontrolle behält. Zugestanden wird ihm von Weggefährten außerdem, dass er zuhören könne. Der gebürtige Simmeringer, der eher so spricht, als wäre er auf Schloss Schönbrunn groß geworden, könne sich auf Gesprächspartner gut einstellen und sei ein versierte Netzwerker, heißt es. Er selbst beschreibt sich als Optimisten, wie zuletzt im Ö3-Sommergespräch: "Ich neige dazu, negative Emotionen nicht vor mir herzutragen, sondern Leute zu motivieren." Und: "Ich bin jemand, der mit seinem Schicksal im Reinen ist." (Bild: Kern mit Ehefrau Eveline Steinberger-Kern am Villacher Kirchtag) APA/GERT EGGENBERGER
Aufgewachsen ist Kern in den 1960er-Jahren in einem eher unpolitischen Haushalt als Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs im Arbeiterbezirk Wien-Simmering, wie der Fußballfan auch in einem eigens produzierten Wahlkampf-Video verriet. "Es gab viel Liebe und wenig Geld", schilderte er darin - private Fotos inklusive. Dann heuerte Kern, der jung Vater von drei Söhnen wurde und diese eine Zeit lang auch allein erzog (mittlerweile hat er auch eine Tochter), bei einer Grün-Gruppierung an. APA/SPÖ
Bald fand Kern, der einst Schulsprecher an jenem Gymnasium war, das auch Viktor Klima und Thomas Klestil besucht hatten, dann über den VSStÖ zur SPÖ. Dort wurde der studierte Kommunikationswissenschafter und Absolvent eines postgradualen Lehrgangs im Schweizer St. Gallen Büroleiter und Pressereferent für den damaligen Beamten-Staatssekretär und späteren Klubobmann Peter Kostelka. APA/HERBERT NEUBAUER
Pressesprecher sollte aber nicht Kerns Lebensaufgabe werden. Er wechselte in den Verbund als nach Eigendefinition "siebenter Zwerg von links", turnte sich aber von Funktion über Funktion bis hinauf in den Vorstand. Von dort weg engagierte ihn die damalige Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ) als ÖBB-Sanierer. Dass er den Job erledigte, dankte ihm seine Mentorin jedoch eher weniger. Die enge Vertraute von Ex-Kanzler Faymann befand 2014 in einem Interview, dass Kern wohl ein "nicht so guter Politiker" wäre. APA/ROLAND SCHLAGER
Privat ist Kern in zweiter Ehe mit der früheren Verbund-Kollegin Eveline Steinberger verheiratet. Er geht zur Jagd, ist begeisterter Läufer, Tennisspieler sowie Mountain-Biker - und bespielt nebenher auch die sozialen Netzwerke Facebook, Twitter und Instagram. Seine fußballerische Leidenschaft ist die Wiener Austria, in deren Kuratorium er auch sitzt – wie auch (FSG-und Austria-Chef) Wolfgang Katzian, (Wiens Bürgermeister) Michael Häupl und (Pensionisten-Chef) Karl Blecha. APA/HANS KLAUS TECHT
Zur Person: Christian Kern, geboren am 4. Jänner 1966 in Wien. Vier Kinder aus zwei Ehen. Studierter Kommunikationswissenschafter. Ab 1991 Assistent des damaligen Staatssekretärs Kostelka, ab 1994 dessen Büroleiter als Klubobmann. 1997 Wechsel in den Verbund, ab 2007 dort Vorstandsmitglied. Ab Juni 2010 Chef der ÖBB sowie ab 2014 Vorsitzender der Gemeinschaft europäischer Bahnen. Seit 17. Mai 2016 Bundeskanzler, seit 25. Juni 2016 SPÖ-Vorsitzender. APA/EXPA/SEBASTIAN PUCHER
Christian Kern: Runde zwei für den ''Slim-Fit-Kanzler''?
Nationalratswahl 2017
Die Nationalratswahl findet am 15. Oktober 2017 statt. Bundesweit treten zehn Listen an: SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos, Liste Pilz, Weiße, FLÖ, KPÖ PLUS, GILT.
Wahlprogramme: Was fordern die im Nationalrat vertretenen Parteien? Die Wahlprogramme von SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne und Neos im Überblick.
TV-Duelle und Chats: ORF und Privatsender veranstalten TV-Duelle. Die „Presse“ lädt alle Spitzenkandidaten der bundesweit antretenden Parteien zu Live-Chats: TV-Duelle und Chat-Termine im Überblick.
„Presse“-Services zur Wahl:Rainer Nowaks Wahlbriefing täglich um 7 Uhr in Ihrer Mailbox; WhatsApp-Service; SMS-Service.
"Eine kraftvolle Überraschung am 15. Oktober", wollte Matthias Strolz mit seinen Neos werden. Bei der letzten Nationalratswahl gelang das: Mit 5,0 Prozent zogen die Pinken (damals im Wahlbündnis mit dem Liberalen Forum) 2013 erstmals ins Parlament ein. Nun wurde es nicht viel mehr, dennoch wurde aus der sechststärksten Partei im Parlament die viertstärkste Fraktion. Strolz - in Verstärkung mit der ehemaligen Höchstrichterin Irmgard Griss - gelang es folglich, seinen Pinken die ''Flügel zu heben'', wie er gerne betont. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
War beim ersten Antreten die Hilfe des Industriellen Hans-Peter Haselsteiner wohl noch ein wesentlicher Faktor für den überraschenden Neos-Erfolg, ist Strolz mittlerweile unumstrittener Star der Truppe, wenngleich ihm diesmal mit der recht knapp gescheiterten Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss sowie der Wiener Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger starke Kräfte zur Seite standen. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
Das Gesicht der Partei blieb aber Strolz. Geboren in Bludenz, aufgewachsen in Dalaas, hat sich der Vorarlberger eine Bodenständigkeit bewahrt, die ihn über selbst ernannte Eliten hinauswirken lässt. Was Strolz in der österreichischen Politik derzeit so einzigartig macht, ist, dass er sich für wenig geniert. Er publiziert Gedichte über Kastanien, philosophiert über das Bäume-Umarmen und produziert opulente Wortbilder. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
Strolz, der schon Vorarlberger Landesschulsprecher war und für die ÖVP-nahe AG an der Uni Innsbruck Vorsitzender der örtlichen Hochschülerschaft war, ist gelernter Coach. Motivation ist seine Sache, "Mutmacher" will er sein, den Kindern die "Flügel heben". Sein Glück ist, dass er sich bei aller Ein- und Aufdringlichkeit eine Art kindlichen Charmes bewahrt hat. Dazu passt, dass er seiner Frau den Heiratsantrag bei einer Polsterschlacht gemacht haben will. Das Paar hat mittlerweile drei Töchter. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
Seit der Parteigründung wirkt Strolz dauer getrieben. Sich im Parlament zu etablieren, ist schon keine leichte Übung. Dann waren aber auch noch diverse Wahlen zu bestreiten, obwohl die Strukturen vor allem in den Ländern fehlten. Einzelnen kleineren Erfolgen bei der EU-Wahl, in Wien und Vorarlberg standen Pleiten etwa in Oberösterreich und der Steiermark gegenüber. Der frische Wind war schnell verpufft, für die Neos begann ein Überlebenskampf. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
Es spricht für den deklarierten Optimisten Strolz, dass er nicht die Nerven wegwarf. Das zähe Ringen um ein Bündnis mit der früheren OGH-Präsidentin Griss sollte sich etwa bezahlt machen. Zwar brachte sie den Neos vielleicht nicht direkt tausende Stimmen, aber sie trug insgesamt zu einer Stabilisierung bei. Kein internes Tränchen trübte den pinken Wahlkampf. Das Team stand zusammen, mit Strolz an der Spitze. Interne Reibereien, so es sie tatsächlich gegeben haben sollte, drangen nicht an die Öffentlichkeit. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
Zur Person: Matthias Strolz, geboren am 10. Juni 1973 in Bludenz, verheiratet, Vater von drei Töchtern, Doktor der Wirtschaftswissenschaften. Landesschulsprecher in Vorarlberg, Vorsitzender der ÖH an der Uni Innsbruck. Ab 2001 Unternehmer, 2012 Gründer und Vorsitzender der Partei Neos. Seit der Nationalratswahl 2013 Abgeordneter zum Nationalrat und Klubobmann der Neos. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
Matthias Strolz: Die Neos halten ''die Flügel oben''
Vergangene Woche krachte Ulrike Lunacek beim "Puls 4"-TV-Duell noch ordentlich mit Heinz-Christian Strache zusammen. Bundeskanzler Christian Kern und die Grüne begegneten einander hingegen weitgehend freundlich. Lunacek sagte Kern Unterstützung bei einer Mietrechtsreform zu.
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