Die „Stadt Gottes“ – zu groß für ein Volk

(c) AP
  • Drucken

40 Jahre Sechstagekrieg. Vom komplizierten Leben der Araber im 1967 von Israel eroberten Ost-Jerusalem.

Jerusalem.„Das war nicht unser Krieg“, resümiert Siad Abu Siad, früher palästinensischer Minister für Jerusalem-Fragen, den Kampf um seine Heimat Jerusalem vor 40 Jahren. „Wann immer wir (Palästinenser) Schüsse hörten, versteckten wir uns hinter Mauern, bis es vorbei war.“ Von wenigen Kämpfern der drei Jahre zuvor gegründeten PLO abgesehen, waren es Jordanier, die um Jerusalem fochten.

Für die Palästinenser war der verlorene Krieg vom Juni 1967 das vorläufige Ende ihres Traums. Die Israelis jubelten. In sechs Tagen hatten sie Sinai, Golan und Westjordanland besetzt, darunter Ostjerusalem. Israel reichte vom Jordan bis Suez. Noch 1967 erließ die UNO die Resolution 242, in der Israel zum Rückzug aus den besetzten Gebieten und zur Lösung des Flüchtlingsproblems gemahnt wird. Freilich wurden darin weder Palästinenser noch PLO erwähnt.

Die Euphorie der Israelis wich bald Zweifeln über die Chance, je Frieden zu haben: „Wann werden wir die Altstadt Jerusalems zurückgeben, und an wen?“, fragte Salman Aran, damals Erziehungsminister. Er fürchtete auch die Reaktion der Christenwelt. Trotzdem stimmte das Parlament später für die Annexion der Stadt.

Nein – Nein – Nein

Bald nach dem Krieg beschloss der Arabische Gipfel in Khartum die „3-Nein-Resolution“: Nein zur Anerkennung Israels, zu Verhandlungen mit Israel, zum Frieden. 1968 schloss sich der Palästinensische Nationalrat dem an und fügte hinzu, Palästinas Befreiung müsse mit Kampf betrieben werden. Die Niederlage Ägyptens, Syriens und Jordaniens ließ die PLO an Ansehen gewinnen. Die Palästinenser nahmen ihr Schicksal in ihre Hände.

Mit Kairo gab es zehn Jahre später Frieden, als Premier Menachem Begin und Ägyptens Präsident Sadat den Abzug aus dem Sinai beschlossen, während der Gazastreifen bei Israel blieb. Die Israelis hatten sich dort auf einen langen Aufenthalt eingestellt, ebenso im Westjordanland und in Ostjerusalem, wo man mit dem Bau von Siedlungen Tatsachen schaffen wollte.

Die Palästinenser Jerusalems blieben Jordanier, sie lehnten meist ihr Recht auf israelische Staatsbürgerschaft ab. „Wir sind Touristen mit Aufenthaltsgenehmigung, die stets beendet werden kann“, so Abu Siad. „,Visa expired‘ ist eine Säule der antiarabischen Politik in Ostjerusalem.“ Israel wollte dort die Zahl der Araber reduzieren und die der Juden steigern. Auf der jüdischen Seite boomte das Bauwesen, auf arabischer gab es Einschnitte. „Es ist fast unmöglich, eine Baugenehmigung zu kriegen“, so Abu Siad. Moslems und Christen würden zu illegalem Bauen gezwungen, stets bedroht vom Abriss ihrer Häuser.

Araber wachsen stärker

„Milliarden Dollar wurden investiert, um 200.000 Juden in den Osten der Stadt und nahe Siedlungen zu bringen“, schreibt Mosche Amirav, Ex-Premiers-Berater für Jerusalemfragen, im Buch „Das Jerusalem-Syndrom“. Dennoch sei Israel gescheitert, die Stadt zu vereinen. Ende der 80er, als sich Jerusalems Palästinenser der Intifada anschlossen, sagte der damalige Bürgermeister Teddy Kollek: „Die Koexistenz ist tot.“ Auch mit der demografischen Veränderung zu Gunsten der Juden lief es nicht wie geplant. Der Aufstieg des rechten Likud unter Begin ab 1977, schreibt Amirav, habe den Wegzug von 120.000 Juden bewirkt. Folge sei ein Bevölkerungswachstum von 3,5 % bei den Arabern im Vergleich zu 1,5 % bei den Juden.

Das ist heute ähnlich. „Jerusalem 2007 ist eine Stadt, die von ihren Bewohnern verlassen wird“, schreibt Usi Bensiman von der Zeitung „Haaretz“. „Die Zahl der Araber wächst und verändert das demografische Verhältnis zu ihren Gunsten, während die Welt eine Anerkennung der Souveränität Israels über die Stadt verweigert.“

Ja selbst die USA wollen Jerusalem nicht als Israels Hauptstadt sehen. Bis 1980 hatten 24 Staaten Botschaften dort. Dann kam die Annexion Jerusalems; Jerusalem sollte „ewig ungeteilte Hauptstadt Israels“ sein. 22 Botschaften siedelten darauf nach Tel Aviv. Zuletzt folgten 2006 Costa Rica und El Salvador.

„Es ist ein Spießrutenlauf, wenn man Papiere will“, so Abu Siad. Vor Behörden müssen die Palästinenser nachweisen, dass ihr Lebenszentrum Jerusalem ist. Wer ein Neugeborenes registrieren lassen oder Reisepapiere will, muss den Zahlschein für die TV-Gebühr vorlegen.

Um Jerusalemer zu bleiben, zogen 1993, als Israel und die PLO über die Osloer Friedensprinzipien einig wurden, viele Palästinenser in die Stadt zurück, die sie wegen der engen Wohnungen verlassen hatten. 40.000 Leute, so Abu Siad, lebten in Ein-Zimmer-Wohnungen, um die blaue ID-Karte für Jerusalems Palästinenser behalten zu können. Sie bedeutet Reisefreiheit und bessere Gesundheitsversorgung als im Rest der Palästinensergebiete.

„Jerusalem internationalisieren“

Für Abu Siad kam es „wenig überraschend, als 2000 die israelisch-palästinensischen Friedensgespräche an Jerusalem scheiterten. „Beide sehen nicht, wie wichtig die Stadt für den anderen ist.“ Jerusalem müsse bei Verhandlungen ausgeklammert werden, meint Amirav. Einzige Lösung sei die Internationalisierung Jerusalems: Es sei „die Stadt Gottes“ – und damit für eine einzige Nation zu groß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.