Die Besserwisser haben ausgedient

Der Film "Augenhöhe" liefert reichlich Diskussionsstoff. Die im Netz gratis abrufbare Dokumentation beschreibt, wie Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und vor allem Vertrauen Unternehmen verändern können.

Der Film sei ein Appetizer, sagt Thomas Sattelberger im Nachspann von „Augenhöhe“. Um aber Augenhöhe zu erreichen, sagt der ehemalige T-Mobile-Personalvorstand, brauche es „harte Veränderungsarbeit“.

Wie diese neue, veränderte Welt des Arbeitens aussehen kann, zeigen Silke Luinstra und Sven Franke mit ihrer filmischen Dokumentation „Augenhöhe“. Ganz bewusst verzichteten sie auf das „auf“ der bekannten Phrase. Der Titel sei für sie eine Metapher für die Frage: „Wie funktionieren Organisationen, die sich von klassischen Modellen unterscheiden?“, sagt Luinstra, die früher Personalerin in einem DAX-Konzern war und jetzt als Moderatorin und Coach tätig ist.

Den Menschen zumutbar

Für ihren Film besuchten sie unterschiedlichste Unternehmen in Deutschland und sprachen mit Mitarbeitern und Führungskräften. Was sie präsentiert haben, sind jedoch keine fixfertigen Konzepte – nach dem Motto: „Wir wissen, was gut für euch ist.“ Denn Besserwissen sei ein Killer für echte Veränderung. Entsprechend haben sie sich vielmehr darauf konzentriert, die Bedeutung von Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Vertrauen zu vermitteln, sagt Franke, Experte für Partizipationsmodelle.

Doch ist Flexibiltät, die sie als weitere Voraussetzung für ein neues Verständnis von Arbeitsorganisation identifizierten, allen Menschen zumutbar? Auf jeden Fall, sind Franke und Luinstra überzeugt. Schließlich seien Menschen nicht wie von Taylor intendiert Maschinenersatzteile. Natürlich gebe es Menschen, die Veränderung hintertreiben. Da müsse man sich die Frage stellen, ob sie zur Unternehmenskultur passen.

„Und es braucht Führungskräfte, die inspirieren, begeistern und nicht ständig das Gefühl haben, auf einer Bühne stehen zu müssen“, sagt Luinstra. Umgekehrt sollten sie Laisser-faire vermeiden, vielmehr führen, ohne Vorgaben zu machen – ein hoher Anspruch.

Führungskräfte müssten sich fragen: Kann ich Verantwortung abgeben, Fehler akzeptieren und Wissen teilen? Denn entgegen dem Sprichwort „Wissen ist Macht“ ist in dieser Form des Arbeitens nicht jener mächtig, der Wissensmonopole aufrechterhält.

Es gebe Unternehmen, sagt Franke, die seit zehn Jahren dieser Philosophie folgen und damit erfolgreich seien. Sie finden sich zum Teil unter jenen mehr als 20 Unternehmen, die diesen Film ebenso wie weit mehr als 350 Privatpersonen crowdgefundet haben.

Grenzen in den Köpfen

Wenn sich etwas verändern soll, würden viele Mitarbeiter erwarten, dass es von oben passieren muss – um dann unglücklich zu sein und darüber zu jammern. Luinstra, Franke und ihr Team fanden jedoch viele (große) Unternehmen, in denen Veränderung in der Mitte der Organisation ihren Ausgang nehme. Und diese „Inseln“ stellen dann fest, „dass die Organisation gar nicht so reagiert, wie sie befürchtet haben“. Es gebe eben viele Grenzen in den Köpfen.

Das Brecheisen aber sei kein probates Werkzeug – es brauche Mut und taktisches Gespür, wo Neues möglich sei und wo es sich empfehle, das alte Spiel mitzuspielen, um die neu geschaffene Insel nicht zu gefährden. Denn manche Insel würde auch wieder versenkt.

Nur am Anfang gelinge die Veränderung hin zu Augenhöhe in jenen Unternehmen leichter, die aufgrund einer Projektkultur Inseln eher gewohnt seien. „Doch letztlich ist der Weg identisch, und die Herausforderungen sind die gleichen.“ Denn immer wieder stoße man im Veränderungsprozess an Systemgrenzen.

Von der Entwicklung, die ihr im Netz kostenlos abrufbarer Film auslöste, war das Team selbst überrascht. Mittlerweile gab es mehr als 200 öffentliche Viewings mit anschließender Diskussion, einige Unternehmen haben Lizenzen erworben, um den Film für interne (Trainings-)Zwecke verwenden zu dürfen. Und es entstand eine engagierte Community, die in Eigenregie englische und holländische Untertitel erstellte. Französische, spanische, sogar chinesische sind gerade in Arbeit.

Thema mit Sprengkraft

Habe sich der Augenhöhe-Film der Frage gewidmet, ob ein anderes Arbeitsverständnis als das tayloristische überhaupt möglich sei, werde sich der geplante zweite Teil möglichen Wegen und den potenziellen Hindernissen widmen. Der Film, der ebenso über Crowdfunding finanziert wird, soll im kommenden März Premiere feiern.

Welches Potenzial die Umsetzung der im Film gezeigten Modelle hat, beschreibt Sattelberger im Vorspann des Films: „Dann wird das Thema Dynamit, dann reden wir tatsächlich über soziale Innovation in der Arbeitswelt, die dann schlussendlich zu veränderten Strukturen und Prozessen und Führungsphilosophien führen kann – nicht muss.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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