Der Nomade, der keiner sein will

Porträt. Das Leben als umherziehender digitaler Bohemien hat Schattenseiten, meint Michael Manus. Deshalb will er nach acht Jahren wieder sesshaft werden. Und gibt seine Erkenntnisse weiter.

Für den Amerikaner Michael Manus (30) ist das viel gerühmte digitale Nomadentum vor allem ein Life-Style: dort leben und arbeiten, wo andere Urlaub machen. Seit acht Jahren lebt er als Telearbeiter an illustren Orten wie Vancouver, Berlin oder Hawaii. Den Hype um diese Lebensweise versteht er nicht.

Mit 22 Jahren zog Manus aus, sein Glück zu finden. In der Heimatstadt Seattle gefiel es ihm nicht. Seine Arbeit erlaubt ihm, sich frei zu bewegen. Als Berater, Online-Shop-Betreiber und Spiele-Entwickler ist er unabhängig. Zwei Koffer und ein Laptop sind alles, was er braucht. „Das ist das Beste an meinem Job“, sagt Manus.

„Ziemlich gut“ findet er auch die neue e-Residency-Card, die bislang nur von Estland ausgegeben wird. Sie ermöglicht allen Nationalitäten, in ganz Europa anerkannte Unternehmen zu gründen, Dokumente digital zu unterzeichnen, Bankkonten zu eröffnen – und Steuern zu zahlen. Manus geht davon aus, dass das Modell bald auch von anderen Nationen übernommen wird.

Vorsicht vor Sonne und Meer

Gemeinhin sind es die tropischen Gefilde, die digitale Nomaden magisch anziehen. „Aber wenn es ans Arbeiten geht, wird es dort mühsam“, sagt Manus. Nicht nur den Menschen, auch dem technischen Equipment machen Hitze und Luftfeuchtigkeit zu schaffen.

Aus diesem Grund ist das thailändische Chiang Mai in der Szene so beliebt. Es liegt in den kühlen Bergen. Sein Tipp: Destinationen weise wählen.

Um an Aufträge zu kommen, braucht man im Web einen guten Namen. Den erwirbt man durch ebensolche Beziehungen und Selbstmarketing. Hier musste Manus hart an sich arbeiten, war das doch anfangs gar nicht seine Stärke.

Inzwischen ist er als Berater so gefragt, dass er keine Aufträge mehr akquirieren muss. „Die Kunden finden mich“, sagt er. 100 US-Dollar verdiene er pro Stunde, 2500 US-Dollar für längerfristige Projekte auf Wochenbasis. Dabei arbeitet er nur wenige Stunden am Tag. Die übrige Zeit nutzt er, um sein Herzensprojekt voranzutreiben, ein Computerspiel, an dessen Entwicklung er gerade arbeitet.

Am meisten zu schaffen macht ihm, dass bei den unregelmäßigen Arbeitszeiten und ständigen Ortswechseln das soziale Leben zu kurz kommt. In jeder Stadt beginnt er von Null: Wohnung suchen, Kontakte knüpfen, Freunde finden. Dafür hält er sich „nicht sonderlich begabt“. Er sei, sagt er, „dieser schreckliche amerikanische Typ, der nicht einmal Fremdsprachen spricht.“

Kampf gegen die Einsamkeit

Die Heimarbeit am Computerbildschirm trage nicht gerade dazu bei, neue Menschen kennenzulernen. Um Bekanntschaften zu schließen, benutzt er meetup.com und couch- surfing.com („für Nerds wie mich“) sowie Tinder (für die privaten Kontakte). Weil es ihm wichtig ist, möglichst viele „Menschen aus Fleisch und Blut“ zu treffen, sucht er auch gerne Co-Working-Spaces auf. Doch dort ist es laut, weshalb in Europa Bibliotheken eine gute Alternative sind: still, konzentriert und mit gratis Wifi ausgestattet.

Dennoch: Nach acht Jahren hat er genug von den vielen, aber flüchtigen Reisebekanntschaften. Er sei einsam, sagt er und gibt zu, Sehnsucht nach einer dauerhaften Gemeinschaft zu haben. Eine solche hatte er in Kopenhagen, wo er sich in seiner Nomadenzeit am längsten aufhielt.

Dorthin zieht es ihn jetzt zurück. Auf Dauer. Das Leben als unstetig Umherziehender biete viele Möglichkeiten, schließt er. Man müsse aber auch wissen, wann es Zeit ist, sesshaft zu werden.

(Print-Ausgabe, 06.08.2016)

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