Erst der Fehler, dann das Köpferollen

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Krisenmanagement. Wer muss gehen, wenn weitreichende Fehler im Unternehmen passieren? Der Chef, der Mitarbeiter? Oder gar niemand? Gefordert sind klare Entscheidungen, Augenmaß und vor allem gute Kommunikation.

Ein Briefkuvert, das nicht ordnungsgemäß schließt, ist ein Ärger. Erfüllt der Kleber bei einem Briefwahlkuvert seine Aufgabe nicht, ist das ein Fehler mit weitreichenden Konsequenzen. Das hat Österreich in den vergangenen Tagen erlebt. Bei seiner Pressekonferenz zu diesem Thema wurde der zuständige Innenminister vergangenen Montag wenig überraschend nach personellen Konsequenzen in der Causa gefragt. Wolfgang Sobotka verwies auf eine Evaluierung der Sache, der er nicht vorgreifen wolle.

Gut. Doch unter welchen Umständen verlangen (folgenreiche) Fehler nach einem Köpferollen? Und wer muss gehen: der oberste Verantwortliche, der Abteilungsleiter oder der Mitarbeiter, der den Fehler begangen bzw. nicht ausreichend verhindert hat?

„Je größer der Schaden, desto hochrangiger der Kopf, der gehen muss“, sagt Saskia Wallner, Geschäftsführerin der Kommunikationsagentur Ketchum Publico. Es komme darauf an, ob durch den Fehler jemandes Leib und Leben, Vermögen oder „nur“ die Reputation betroffen sei. Das sei die objektive Tatseite, etwas anderes sei die subjektive Tatseite: Passierte der Fehler aus Schlamperei, war es leichte oder schwere Fahrlässigkeit oder wurde vorsätzlich gehandelt? „Je größer die Fahrlässigkeit, desto klarer müssen die personellen Konsequenzen sein“, sagt Wallner.

Die Rolle der Führungsriege präzisiert Ralf Peschek, Leiter der Praxisgruppe Arbeitsrecht bei der Anwaltskanzlei Wolf Theiss. Wenn der Führung Fehler bekannt werden, habe sie verpflichtend zu stoppen, was schieflaufe, Notfallmaßnahmen zu treffen, zu ermitteln, was tatsächlich passiert sei und vorbeugende Maßnahmen zu treffen. Das ergebe sich aus der Verpflichtung zur ordentlichen Geschäftsführung.

Optionen dokumentieren

Peschek rät im Hinblick auf allfällige Haftungen in Krisen, das eigene Handeln zu dokumentieren: Optionen und Entscheidungsgründe zu notieren und für die spätere Aufarbeitung transparent zu machen. Zudem sei es klug, sagt Peschek, Dritte (etwa die interne Revision, Vertreter der Konzernleitung oder Anwälte) in die Entscheidungen einzubinden.

Zurück zum Köpferollen: Im Falle des Falles seien je nach Verschulden Mitarbeiter zu kündigen oder gar zu entlassen. Doch seine Erfahrung zeige, dass sich Augenmaß empfehle. „Wenn Sie alle entfernen, die mit dem Fehler zu tun haben, finden Sie nie heraus, was tatsächlich passiert ist“, sagt Peschek. „Außerdem fehlt dann mit einem Schlag viel Know-how.“ Niemanden zu entfernen bedeute, mit Menschen zu arbeiten, denen man nicht vollständig vertrauen könne. Zu wenige zu entfernen, dasselbe in abgeschwächter Form.

Die Formel laute: So viel zu entbehren, dass der Organisation klar wird: So geht es nicht weiter. Ohne dabei zu viel Know-how zu verlieren und ohne die verbleibenden Mitarbeiter durch Angst vor Fehlern zu lähmen.

Nicht jeder Fehler wird so manifest, dass er für die Außenwelt eines Unternehmens sichtbar wird. Oft geht es „nur“ um (ständiges oder singuläres) Fehlverhalten, um Verstöße gegen interne Regeln. Besonders in diesen Fällen sei die Trennung vom Mitarbeiter das äußerste Mittel, sagt Michael Vogler. „Das aber kann im Dienst an den anderen notwendig werden“, sagt der Organisationsentwickler und Gründer von Kulturdesign, wenn das Fehlverhalten sonst „die Gemeinschaft zerstören würde“.

Überhaupt ergebe sich die Fehlerkultur aus dem Fokus des Unternehmens: Liegt er auf der Leistung, dann wird gefeuert, wer nicht die geforderten 100 Prozent erbringt: Das lasse weder Vertrauen noch Kontinuität entstehen. Liege der Fokus auf Verantwortung, werde das Begeisterung und Produktivität steigern. Passieren Fehler, werde das auch Führungskräften nur dann den Kopf kosten, wenn sie mit ihrem Fehler die Kernwerte („Warum tun wir als Organisation, was wir tun?“) gefährden.

Vogel Strauß: keine gute Idee

Einen Punkt bringt Saskia Wallner noch ins Spiel: „Je schlechter die Kommunikation, desto eher muss der Chef gehen.“ Muster-Negativbeispiel sei der ehemalige Chef des Ölkonzerns BP, Tony Hayward, und sein Verhalten im Jahr 2010 nach der Explosion auf der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko. Erst ging der einstige Medienliebling auf Tauchstation, dann schob er die Schuld anderen zu, und schließlich leistete er sich den Sager, er wolle sein früheres Leben zurück. Ähnlich schlecht war die Kommunikationsleistung des ehemaligen VW-Chefs Martin Winterkorn in der Abgasaffäre. „Vogel-Strauß-Politik ist sinnlos, und oft besteht der größte Fehler eben darin, keinen Fehler zuzugeben“, sagt Wallner.

Mitarbeiter nicht beschimpfen

Wichtig sei, auch angesichts größter Fehler professionell und respektvoll zu bleiben. Je mehr eine Führungskraft die eigenen Mitarbeiter (öffentlich) beschimpft, desto mehr falle das auf sie selbst zurück – und mache sie letztlich rücktrittsreif. Den Chef treffe schließlich eine „culpa in eligendo“, ein Auswahlverschulden für die Mitarbeiter.

Wichtig sei daher, möglichst klare Botschaften zu liefern, sagt Wallner. Selbst wenn die Situation unübersichtlich und das Schadensausmaß unklar sei. Im Extremfall heiße das, zumindest den weiteren Verlauf klarzulegen: Wir prüfen die Situation, haben Experten hinzugezogen, werden in x Wochen Klarheit haben und die Konsequenzen kommunizieren.

(Print-Ausgabe, 17.09.2016)

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