Der Seminarraum ist die Wüste

Weit, weit weg. »Outdoor« alleine ist für viele noch immer zu nah an der Haustür. Führungskräfte lassen sich deshalb zur Weiterbildung und Persönlichkeitsentwicklung auch aus der Ferne locken. von Gabriele Rabl

Geschafft! Sechs Stunden bergauf, bei dünner Luft und mit schmerzenden Waden. Erschöpft, aber euphorisch umarmen sich sechs Menschen auf dem schneebedeckten Gipfel. Schauplatzwechsel: Ein paar tausend Meter tiefer und weiter südlich bewegt sich eine kleine Karawane in der Wüste auf eine Oase zu. Die Hitze fordert den Kreislauf, zehrt an den Nerven. Da wie dort sind die Expeditionsmitglieder jedoch keine Freizeitabenteurer, sondern folgen einer ganz anderen Mission: jener, die eigenen Führungskompetenzen zu trainieren.

Abends, beim Lagerfeuer zwischen den Palmen oder vor dem windzerzausten Zelt im Schnee, lassen die Trainingsteilnehmer die eindrucksvollen Erlebnisse des Tages Revue passieren. Sie reflektieren, was sie gelernt haben, über das Führen einer Gruppe und die Dynamik, die dabei entsteht. Erfahrungen in der Natur – bei den bewährten Outdoor-Trainings – sind vielen Managern nicht mehr genug. Sie wollen dem Gewohnten gänzlich entfliehen, um Erkenntnisse für schwierige Situationen im Berufsalltag zu gewinnen. Wenn schon anders, dann möglichst auch ganz woanders. „In einer völlig fremden Umgebung, weit weg von zu Hause, sind Menschen in der Regel offener und aufnahmefähiger“, meint Managementberater und Coach Stefan Lami. „Wenn man grundlegende Dinge erarbeiten möchte, ist deshalb eine Reise etwa nach Chile oder Kanada auf jeden Fall empfehlenswert.“

Wüstensand, Büroparkett

Jene Aufgaben, die man etwa während einer mehrtägigen Berg- oder Wüstentour bewältigen muss, ähneln Anforderungen, die das Berufsleben mit sich bringt, zeigt sich Coach Rainer Egger überzeugt. „Eine Führungsperson muss eine Handvoll wesentlicher Dinge beachten: Sie sollte eine Vision haben, an die ebenso das Team glauben kann und will. Zudem muss eine Führungskraft für Selbstvertrauen ihrer Mitarbeiter sorgen, um im Bedarfsfall wichtige Aufgaben delegieren zu können. Dafür muss man die Stärken und Schwächen seiner Teammitglieder kennen, aber selbstverständlich auch die eigenen“, zählt Egger maßgebliche Kriterien auf.

All diese Fertigkeiten könnten Führungskräfte bei Outdoor-Seminaren trainieren, meint Egger, der selbst eine Internetplattform zum Thema „Führung“ betreibt. „Es geht darum, sich auf Extremsituationen vorzubereiten, um im richtigen Augenblick die entsprechende Lösung parat zu haben.“ Nicht das „Problemdenken“ führe zum Ziel, sondern das „Lösungsdenken“, ist er überzeugt. Manchmal muss man Österreich verlassen, um die richtigen Outdoor-Bedingungen vorzufinden, in denen man sein „Lösungsdenken“ testen kann. Tiefgreifende Fragestellungen wie etwa die Zielfindung im Leben und im Beruf brauchen verschärfte Bedingungen und vor allem eindrucksvolle Szenarien, um noch greif- und spürbarer zu werden – beispielsweise im Zuge einer Vulkanbesteigung. Deshalb fliegt Coach Stefan Lami auch im kommenden Herbst mit einer Gruppe Steuerberatern wieder in den Süden Chiles.

Doch nicht nur der Vulkankegel ist ein Terrain, auf dem das Thema Führung erlebbar werden soll, auch der Rücken der Pferde, vor allem, wenn man sie durch schwieriges Gelände lenken soll.

Abends reflektiert die Gruppe, welche Ereignisse Impulse für die eigenen Führungsaufgaben im Job bringen können. Den Mehrwert einer solchen Reise sieht Lami in der Verinnerlichung des Gelernten, die Verknüpfung der erlebten Situationen mit beruflichen Situationen: „Im Alltag haben die Teilnehmer so ein Arsenal an Ideen und Maßnahmen zur Verfügung, das sie dann bei Bedarf abrufen können.“

Lami gibt ein Beispiel für eine simple Situation, aus der man bereits viele Schlüsse ziehen kann: „Etwa, wenn wir das Ufer eines Flusses erreichen, an dem ich rasch entscheiden muss, ob wir diesen überqueren können oder doch einen längeren Umweg in Kauf nehmen.“

Wolfgang Kubassa, der sich selbst als Berater mit handlungsorientierten Methoden sieht, wählt die Orte seiner Seminare nach der inhaltlichen Aufgabenstellung aus. Und diese Plätze dürfen gerne besonders weit außerhalb des gewohnten Erfahrungshorizonts der Teilnehmer liegen – etwa in der Wüste, die „sich besonders gut eignet, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren“, so Kubassa.

Durch die Kargheit der Umgebung könne man „das Notwendige besser sehen“. Und die Reduktion auf das Wesentliche beginnt meist schon vor Reiseantritt, wenn man das Gepäcksvolumen radikal verkleinern muss. Schließlich sollen Führungskräfte im Berufsleben ebenso in der Lage sein, anfallende Entscheidungen auf den Punkt zu bringen.

„In der Wüste hören viele Menschen auf ihre innere Stimme. Persönliche Fragestellungen – etwa, wie man Beruf und Familie besser unter einen Hut bringt – können die Reiseteilnehmer in diesem Umfeld leichter für sich beantworten“, berichtet Kubassa.

Wohin er die Trainingsgruppe letztlich schickt, macht Kubassa auch von der Frage abhängig, welche Themen und Ziele die Teilnehmer bearbeiten möchten. „Die Aktivitäten und Orte müssen sich daran orientieren, was der Firmenausrichtung und der persönlichen Weiterentwicklung zugutekommt“, meint Kubassa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2010)

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