Espace Louis Vuitton: Akribisch ausgewählt

Mit Vision. Als international tätiger Kurator hat Jens Hoffmann eine selbstbewusste Auffassung seines Berufs entwickelt.
Mit Vision. Als international tätiger Kurator hat Jens Hoffmann eine selbstbewusste Auffassung seines Berufs entwickelt.(c) Beigestellt
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Der Kurator als (Ko-)Autor. Eine Begegnung mit Jens Hoffmann im neuen Espace Louis Vuitton in München.

Referenziell. „Cubes (after Sol) Lewitt“ von Henrik Olesen ist Teil der Sammlung Mackert und wird im Espace Vuitton gezeigt.
Referenziell. „Cubes (after Sol) Lewitt“ von Henrik Olesen ist Teil der Sammlung Mackert und wird im Espace Vuitton gezeigt.(c) Beigestellt
Annette Kelm. Fotografien von feministischen Körperüberhängen im Institut für Zeitgeschichte, von der Berliner Künstlerin für den Espace angefertigt.
Annette Kelm. Fotografien von feministischen Körperüberhängen im Institut für Zeitgeschichte, von der Berliner Künstlerin für den Espace angefertigt.(c) Beigestellt

Als ob es genauestens orchestriert wäre: Vier Tage vor der Eröffnung des Espace Louis Vuitton in München brachte der Guru der internationalen Kuratorenszene, Hans Ulrich Obrist, eine gewohnt spitz formulierte Wortmeldung betreffend die „Kunst des Kuratierens“ („The Art of Curating“) im „Guardian“ unter. Und obwohl Obrist rein gar nichts mit diesem neuen Kunstraum in der bayerischen Hauptstadt zu tun hat, deckt sich doch der Inhalt seines kurzen Essays mit dem Ansatz von Jens Hoffmann, der von Vuitton als Kurator der Eröffnungsausstellung „No Such Thing As History“ zugezogen worden ist.

Hoffmann, der seit Jahren im globalen Kunstbetrieb umtriebig ist und nach Stationen in Berlin, London und San Francisco derzeit als stellvertretender Leiter des Jewish Museum in New York wirkt, zielte mit seinem Ansatz für den neuen Espace offenbar auch auf einige der vier Eck- und Angelpunkte ab, die Obrist im „Guardian“ für die kuratorische Praxis identifiziert: kunstgeschichtliches Erbe bewahren, neue Arbeiten selektieren, Bezüge zur Kunstgeschichte herstellen und die Kunstwerke adäquat präsentieren.

Wie Truffaut. Der Verweis auf Obrist ist an dieser Stelle zwar nicht unerlässlich, ergibt aber Sinn. Denn der oft als Kuratoren-Superstar titulierte Schweizer stellt das Aushängeschild jener Bewegung dar, in deren Rahmen sich Kuratoren allmählich in die erste Reihe der Kunstprominenz katapultierten.

Und auch Jens Hoffmann, 1974 geboren, zählt durch sein Engagement in diesem Gebiet zu den unermüdlichen Vernetzern und Apologeten der eigenständigen Kuratorenlandschaft mit einer nicht zu überhörenden Stimme. So lancierte Hoffmann mit „Exhibitionist“ 2009 eine Zeitschrift, die Kuratoren miteinander vernetzen und, wie er im Vorwort zur ersten Ausgabe schreibt, zur „discussion around curatorial practice“ beitragen will. Bezeichnend für diese selbstbewusste Herangehensweise ist auch die Trouvaille, die von Truffaut in den „Cahiers du cinéma“ entwickelte Theorie des Autorenkinos (und zwar 1954, in „Une certaine tendance du cinéma français“) auf die kuratorische Praxis zu übertragen und so das Recht auf Ko-Autorenschaft auch für dieses Einsatzgebiet zu postulieren.

„Bei meinem Begriff des Kuratierens geht es sehr stark um Subjektivität, die ins Spiel kommen soll und auch darum, ungewöhnliche oder unerwartete Beziehungen zwischen einzelnen Arbeiten herzustellen – auf der inhaltlichen wie auf der formalen Ebene“, hielt Hoffmann auch beim Pre-Opening des Münchner Espace Louis Vuitton fest. Von der französischen Luxusmarke war er ausdrücklich damit beauftragt worden, Bezüge zur lokalen Kunstszene herzustellen. Das geschah, indem Hoffmann aus vier privaten Münchner Kunstsammlungen (ICC, Mackert, Wiese, Lorenz/Cornette de Saint Cyr) Arbeiten selektierte, die sich zueinander in Bezug setzen ließen. Dass auch eine gänzlich immaterielle Arbeit von Tino Sehgal Teil der Ausstellung ist, mag im Rahmen einer Ausstellung für einen sehr der „Materiaal Culture“ verhafteten Auftraggeber als Augenzwinkern des Kurators gesehen werden.

Vertrauensfrage. Zu Hoffmanns Ansinnen, historisch bedeutsame Themenfelder aufzubereiten, passt auch die Auftragsarbeit der Berliner Fotografin Annette Kelm: Sie fotografierte Körperüberhänge aus dem Nachlass der Frauenrechtlerin Hannelore Mabry, aktuell im Besitz des Instituts für Zeitgeschichte in München. „Als ich von Jens angesprochen wurde, war das Projekt bereits in Planung“, berichtet sie. „Da es zum Konzept der Ausstellung passte, habe ich es für den Espace realisiert.“ Kelm weist auch auf die Bedeutung der Kontextualisierung ihrer Arbeiten hin: „Dass meine Arbeiten zu den anderen gezeigten Werken passen, ist mir natürlich wichtig. Da ich mit einigen der vertretenen Künstler befreundet bin, war dieser Aspekt sichergestellt.“

Genau dieser Punkt ließ übrigens auch Hoffmann an Kelm denken: „Als ich die Sammlungen durchsah, fiel mir auf, dass ein bestimmtes Künstler- und Galeristennetzwerk immer wieder vorkam. Auch Annette ist Teil davon.“ Was die Zusammenarbeit mit seinem Auftraggeber, die Auswahl von (in diesem Fall bereits von Sammlern vorselektierten) Kunstwerken und die Kooperation mit einer eigens beauftragten Künstlerin betrifft, beschreibt Jens Hoffmann seine Rolle als die eines Matchmakers und weist auf verschiedene Verantwortungsebenen: „Ich muss meine Leistung gegenüber dem Auftraggeber erbringen und mit einem Künstler zusammenarbeiten, der passt. Das Vertrauen des Künstlers darf aber auch nicht enttäuscht werden.“ Die wachsende Bedeutung privater Sponsoren, auch die Verflechtung von Luxus-Lifestyle-Industrie und Kunstbetrieb nimmt Hoffmann als gegebene Tatsache hin. „Natürlich muss man auf die Ausgewogenheit der Interessen achten. Idealerweise kommt es aber zu einer Win-win-Situation für alle Beteiligten.“

Tipp

„No Such Thing As History“. Die Ausstellung läuft noch bis 8. August 2014.
www.espacelouisvuittonmuenchen.com

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