Kino: Masken, Mörder und Magritte

Der Cattet-Forzani-Film „The Strange Color of Your Body‘s Tears“: Surreale Bildfantasien.
Der Cattet-Forzani-Film „The Strange Color of Your Body‘s Tears“: Surreale Bildfantasien.(c) Crossing Europe
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Bei „Crossing Europe“ ist etwa das visionäre Filmregie-Duo Hélène Cattet und Bruno Forzani zu entdecken: Ein Gespräch über Sex und Subversion.

Instinktiver Umgang mit Sex und Gewalt im Film: „Wir suchen die Freiheit von damals.“
Instinktiver Umgang mit Sex und Gewalt im Film: „Wir suchen die Freiheit von damals.“(c) Crossing Europe
Regisseur Bruno Forzani: „Die Giallo-Kultfilme Italiens waren ideal für unsere Obsessionen.“
Regisseur Bruno Forzani: „Die Giallo-Kultfilme Italiens waren ideal für unsere Obsessionen.“(c) Crossing Europe

Auch im Jahr nach seinem zehnten Jubiläum setzt das Linzer Filmfest „Crossing Europe“ auf Frische: Die heurige Auswahl erlaubt wieder die Entdeckung junger Talente, ohne sich größere Namen von entsprechender Qualität zu versagen. So läuft zur Eröffnung etwa „Under the Skin“ vom gefeierten britischen Stilisten Jonathan Glazer mit Scarlett Johansson als erotischer, mysteriöser Männermörderin von einem anderen Stern. Auch der Altmeister des Italo-Horrors, Dario Argento, hat sich persönlich angekündigt, um „Dracula 3D“ zu präsentieren.
Im Wettbewerb ist dagegen etwa Nachwuchs wie der spanische Debütant Carlos Marques-Marcet zu entdecken, der mit „Long Distance“ eine prägnante Studie von Fernbeziehungen im Multimedia-Zeitalter vorlegt, während die Britin Joanna Hogg ein Tribute-Gast sein wird: Ihre modernen, suggestiven Arbeiten haben sie in der letzten Dekade zu einer führenden Autorenfilmerin gemacht, zuletzt lief ihr „Exhibition“ 2013 im Wettbewerb von Locarno – wie auch „The Strange Color of Your Body’s Tears“ vom franko-belgischen Ausnahme-Duo Hélène Cattet und Bruno Forzani.

Sinnesrausch. Wie Hogg stehen die beiden am Sprung zur Oberliga der internationalen Festivalszene, nach nur zwei Spielfilmen, mit denen sie obendrein einen höchst ungewöhnlichen Weg beschritten haben. Denn die Arbeiten des gleichaltrigen – Jahrgang 1976 – Zweiergespanns (auch privat: eben haben sie ihr erstes Baby bekommen) entfesseln einen strahlenden audiovisuellen Sinnesrausch unter eigenwilligen Vorzeichen: Ihre Obsession gilt dem italienischen Giallo-Kino der 1970er, inhaltlich und stilistisch kühnen Filmen zwischen Horror, Krimi und Erotik, die auch Dario Argento als Maestro berühmt machten.

„Es ist wahr“, räumt Forzani im Interview unumwunden ein: „Mit unserer ersten Einstellung begannen wir ein Universum zu bauen, das auf den Konventionen des Giallo basiert“. Aber wie waren die beiden zu diesem Genre gekommen, das in der Kinogeschichte einen Bogen schlägt? Nach dem Erfolg etwa der deutschen Edgar-Wallace-Krimis schloss man in Italien an deren Tendenz an (Giallo bedeutet gelb – der Name verdankt sich den traditionell gelben Einbänden italienischer Krimis), meist mit Geschichten über mysteriöse behandschuhte Mörder, deren Taten in atemberaubender Ästhetik und zu genialen Soundtracks von Ennio Morricone und Co. in Szene gesetzt wurden. Der Erfolg des Giallo in den 1970ern strahlte nach Hollywood zurück: Horror-Hits wie „Halloween“ griffen mit Erfolg dessen Ideen auf.

Giallo, Gewalt und Freiheit
. „Für mich begann es mit zwölf Jahren, da entdeckte ich diese Filme auf Video“, erzählt Forzani. „Und als wir uns 1997 in Brüssel kennenlernten, hat mir Bruno diese Filme gezeigt“, erinnert sich Hélène Cattet, die auch gleich davon gepackt war, „wenn auch vielleicht nicht aus denselben Gründen. Aber ich war überrascht, welche Freiheit darin steckte: Als Exploitation produziert, aber voller kreativer Ideen.“ Auch das subversive Element war „ideal für unsere Obsessionen“, sagt Forzani: „der instinktive Umgang mit Sex und Gewalt, ohne je zu moralisieren“. In kleinen Home Movies mit Freunden begann das Duo 2001 sein Projekt, aus Giallo-Ideen eine eigene Poesie zu entwickeln: Eros und Thanatos in leuchtenden Farben und verblüffenden Bildfolgen. Die Kurzfilme führten 2009 zu ihrem erstaunlichen Spielfilmdebüt „Amer“, das in drei Episoden vom sexuellen und mörderischen Erwachen einer Frau an der Riviera erzählt.

Die feministische Genre-Revision grenzte dabei an Abstraktion: In psychedelischen Schnittgewittern und zu handverlesenen Originalsoundtracks stieß „Amer“ zu einer surrealistischen Intensität vor, die im heutigen Kino selten ist, ohne die Bodenhaftung zu verlieren: „Die Grammatik des Giallo ist ja zugleich eng an die Körper gebunden, an Verlangen und Angst.“ Den gleichermaßen theoretisch fundierten wie filmisch entfesselten Zugang führt „The Strange Color of Your Body's Tears“ konsequent fort, schon der Titel (im Original: „L‘Étrange Couleur des larmes de ton corps“) beschwört die surreale Qualität originaler Giallos wie „All the Colors of the Dark“ oder „What Are Those Strange Drops of Blood Doing on Jennifer's Body?“. Diesmal geht es um einen Mann, der von einer Reise heimkehrt: Seine Gattin ist verschwunden, obwohl das Apartment von innen verriegelt ist. Auf seiner Suche stößt er auf Geheimnisse der Mitbewohner – und ein Labyrinth von Geheimgängen in seinem Brüsseler Art-Nouveau-Haus: „eine detektivische Suche, die auch eine nach sich selbst ist“, meint Forzani.

Unglaubliche Drehmethode. Eine Schlüsselrolle spielt die eindrucksvolle Architektur: „Der belgische Jugendstil mit seinen Kurven und den Verletzungen der Regeln der Perspektive war ideal für das Labyrinth sexueller Fantasien, in das die Hauptfigur und hoffentlich auch der Zuseher gezogen werden – wie ein Acid Trip! Da wir diesmal daheim drehten, wird unsere Anbindung an die fantastische und surrealistische Tradition Belgiens deutlicher: der große Autor Jean Ray und sein Geisterhaus-Roman ,Malpertuis‘ oder die Gemälde von Magritte, dessen maskierte Figuren quasi die Giallo-Mörder vorwegnehmen!“ Unverwechselbar ist das Kino des Duos auch dank aufwendiger Drehmethoden bei kleinen Budgets: „Wir haben einen genauen Schnittplan: Hier waren es 1084 Einstellungen. Wir haben alle zum Test mit einer kleinen Videokamera vorgedreht, wobei wir selber alle Rollen spielten: um zu sehen, ob die geplanten Übergänge auch funktionieren.“

Die Zusammenarbeit scheint extrem harmonisch. Gibt es nie Differenzen? So könnte man doch meinen, im „weiblichen“ Film „Amer“ und im „männlichen“ neuen Opus seien ihre zwei verschiedenen Perspektiven repräsentiert. Forzani räumt ein: „Die beiden Filme sind für uns auch wie Bruder und Schwester oder Yin und Yang – sie kombinieren sich zu etwas Größerem. Aber in beiden sind die Elemente durchmischt: Wir kennen uns schließlich seit 18 Jahren, da ist man so eingespielt: Diese Dinge können wir gar nicht mehr trennen.“

Tipp

Crossing Europe. Filmfestival Linz: 25.–30. April. 184 Filme aus 37 Ländern laufen. Hélène Cattet und Bruno Forzani werden persönlich „The Strange Color of Your Body‘s Tears“ präsentieren: Samstag, 26. 4., 22.45 (City 1) und Sonntag, 27. 4., 11.00 (City 2).
www.crossingeurope.at

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