Glam-Metal mit Twisted Sister, Anarcho-Hip-Hop mit K.I.Z., Routine-Funk mit den Red Hot Chili Peppers: ein klug durchmischtes Programm am letzten Festivaltag.
Einzig die Peitsche der Zeit verscheucht sie aus ihrem künstlichen Paradies. Sonst würde die US-Rockband Twisted Sister wohl ewig Haupthaar und Gitarren zur schlichten Losung „We wanna rock“ schütteln. Ihren Schlagzeuger A. J. Pero hat Gevatter Tod jüngst im Tourbus abberufen. Diesem Rock'n'Roll-Schicksal entgehen will der wie eine Personalunion aus Dragqueen und Heumarktringer aussehende 61-jährige Sänger Dee Snider. Leicht geknickt vermeldete er, dass Twisted Sister das letzte Mal auf großer Europatour seien. Jetzt muss er sie also verlassen, die schmucke Gegenwelt des Glam- und Hairmetal, in die er einst als klassisch ausgebildeter Countertenor geflüchtet ist. Bereut hat er es nie. „I feel the music shootin' through me“, rief er und ließ Pathos über die pannonischen Felder tröpfeln. „We wanna rock“, hallte das Echo vonseiten der grimmigen Fans. Kurz zuvor hatte Snider die Herrschaften auf der Ehrentribüne mit vielen „Fuck“-Worten geschurigelt. Das Fußvolk dankte es ihm. Ergeben übte es die Rebellion in „We're Not Gonna Take It“ und „It's Only Rock'n'Roll“. So mancher riskierte dafür sogar die letzte Schädelwolle.
Auf der Blue Stage ging es um eine andere Haarfaçon: Dort besangen die Berliner Hip-Hop-Anarchos K.I.Z. den Seitenscheitel eines Führers im Unruhestand. „Ich bin Adolf Hitler“ nannte sich das infam lärmende Stück, das den „ersten Österreicher auf einem ,Spiegel‘-Cover“ zum Drogenkonsumenten umdeutete. „Ich leg ne Hakenkreuz-Line aus purem Speed, ich ziehe was, was du nicht ziehst.“ Auch wenn das aktuelle K.I.Z.-Album, „Hurra, die Welt geht unter“, mit modischer Dystopie liebäugelt, im Grunde sind es nur Sprachspiele, die die Rapper Tarek, Maxim und Nico da veranstalten. Seltsam apolitisch sind sie selbst bei heißen sozialen Themen. Im Grunde sind sie stets auf die nächste Pointe aus. Auch in vermeintlich politischen Szenarien wie „Geld“ und „Boom Boom Boom“. „Ihr wollt Kapitalismus mit Herz?“, fragten sie da etwa und antworteten: „Fick mich, aber nicht im Etap-Hotel, sondern richtig schön mit Essengehen und am nächsten Morgen Taxigeld.“ PC-sensibel durfte man nicht sein bei dieser unheiligen Allianz aus Ironie und Empathie, die auf Echtheit gar nichts gibt.
Nur Scheitern bringt große Emotionen
Ganz anders als die beiden bluesig-souligen Acts des Schlusstages. Zunächst spielte Gary Clark Jr. groß auf. Der schwarz gekleidete Texaner, der Kollegen wie Keith Richards als neuer Messias der Bluesgitarre gilt, faszinierte in schmaler Quartettbesetzung. Zuweilen meinte man, eine Orgel zu hören, doch die glucksenden Sounds tänzelten vom Griffbrett seiner Gitarre. Mit langen Improvisationen würzte er den glühenden Opener „Bright Lights“. Wüste Rumpler wie „Shake“ kamen ebenso gut an wie „When My Train Pulls In“, eine wehe Ballade, die klang, als stamme sie aus der goldenen Backhendlzeit des Blues.
Fast noch schöner war die Performance von Jesper Munk, der mit seinen 24 Jahren klang wie ein weltmüder Mississippi-Blueser. Soulige Songs wie „Shakespeare & Heartbreak“ und „The Parched Well“ faszinierten durch raffinierte Melodieführung bei bewahrter Erdigkeit. Wie Clark Jr. ist Munk ein graziler Vorturner des Scheiterns. Nur dieses schenkt nämlich die tiefen Emotionen, die die beiden in ihrer Musik so inniglich feiern.
Später, lange nach Einbruch der Dunkelheit, hupte eine störrische Bassklarinette, geblasen vom lang verstorbenen Jazzer Eric Dolphy. Sie diente als Auftakt für das herrlich sperrige „Intro-Jam“ der Red Hot Chili Peppers. Danach zogen diese viel zu schnell in ihr Hit-Wunderland, in dem alles laid-back ist. Auf ihrem neuen Album, „The Getaway“, hören sie sich an wie Beatles auf LSD. So ausgefranst wollten sie beim wertkonservativen Nova-Rock-Festival wohl nicht tönen, also kamen zunächst schlampig gespielte Gassenhauer wie „Dani California“ und „Scar Tissue“. Mit dem verschummerten „We Turn Red“ dann ein erstes neues Stück, später noch „The Getaway“ und „Dark Necessities“. Die Subtilität der Studioversionen erreichten sie live aber nicht einmal in Ansätzen. Der prinzipiell erfreuliche funky Bass von Flea feuerte insgesamt viel zu viele Noten ab. Von Gitarrist Josh Klinghoffer gesungene Coverversionen wie „Rain“ (Beatles) und „Tonight“ (David Bowie) lockerten den allzu routinierten Auftritt auf, im Finale wurden pflichtschuldig Hits wie „Under The Bridge“ und „Give It Away“ serviert. Die danach einsetzende Stille nach vier Tagen Lautstärke auf offenem Feld war schwer verdient.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2016)