Wiener Festwochen: Ach, wie hübsch ist Jean Genet

WIENER FESTWOCHEN / FOTOPROBE: ´DIE NEGER´
WIENER FESTWOCHEN / FOTOPROBE: ´DIE NEGER´(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Genets „Die Neger“, ästhetisiert bis zur Unkenntlichkeit: Johan Simons hat dem Stück alles ausgetrieben, was uns aufregen könnte. Sehr zimperlich.

Ach, wie schön. Wie wunderhübsch das alles! Hinter edlen Bahnen aus weißem Stoff rezitiert Félicité (Bettina Stucky) ihre Zeilen, man sieht sie nicht, man sieht nur den Schatten, den sie wirft, und der ist nicht schwarz, oh nein: Er schillert rosa und blau und grün. „Zu Hilfe“, ruft sie zaghaft, „ihr Neger aus allen Teilen der Welt! Kommt her! Tretet ein! Dringt ein, wo ihr wollt: durch den Mund, durch das Ohr oder durch meine Nasenlöcher. Nüstern, riesige Muscheln. Als Riesin mit rücklings liegendem Kopf erwarte ich euch.“

So spricht also ein Schatten über den Körper, eine bunt Schillernde über die „Neger“. So siegt die Ästhetisierung. Was derb und widersprüchlich war, ist bei den Wiener Festwochen vor allem hübsch anzusehen. Regisseur Johan Simons hat dem Stück von Jean Genet so ziemlich alles ausgetrieben, was uns auf die eine oder andere Weise aufregen könnte.

Das ist denn doch erstaunlich, immerhin hat allein die Ankündigung, der Intendant der Münchner Kammerspiele werde sich für die Festwochen dieser 1959 uraufgeführten „Clownerie“ annehmen, für allerlei Erregung gesorgt: Den Anfang machte eine Facebook-Gruppe, die gegen den Titel des Stückes protestierte und gegen das „Blackfacing“ auf den Plakaten, also die schwarz angemalten weißen Gesichter. In der Folge traten Autoren auf den Plan, die uns warnten, die Freiheit der Künste sei in Gefahr. Schließlich brach einmal mehr eine Debatte über Political Correctness los, wobei gar nicht mehr beachtet wurde, dass die Facebook-Gruppe längst verstummt war. Sie meldete sich auch zur Premiere nicht mehr zu Wort.

Warum auch?

Das Stück ist nicht rassistisch. Und in Wirklichkeit geht es nicht einmal um „Die Neger“, sondern um „Die Bleichen“. Um jene, deren Haut aussieht wie „das, was der Hintern eines Mannes lässt, der Gelbsucht hat“. Um uns. Jean Genet schmeißt uns in diesem Stück, das so ziseliert ist wie grob, das die schönste Poesie für die tiefste Gemeinheit aufbewahrt, unsere Vorurteile um die Ohren. Er spielt mit den Ängsten der Weißen und lacht: über die Vorstellungen vom edlen Wilden, vom wilden Wilden, vom Wilden als Kind, das belehrt werden muss, vom Schwarzen, dem die braven weißen Frauen verfallen, bis keine mehr übrig bleibt für den weißen Mann. Sie alle treten auf.

Eigentlich.

Ein Traum, nur ein Traum

Die Distanzierung vom Stück, das Johan Simons ansonst überraschend sauber vom Blatt spielt, ist im Theater Akzent allerorten sichtbar: Vielleicht auch, um nicht des Blackfacings verdächtigt zu werden, hat er die Schauspieler – bis auf einen – nicht anmalen lassen, sondern ihnen weiße und schwarze gesichtslose Masken aufgesetzt. Das sorgt für den einen oder anderen hübschen Effekt, vor allem der Kopfschmuck der weiß maskierten Truppe ist fantasievoll ausgefallen – aber es entrückt die Handlung. Die schillernden Licht- und Schattenspiele tun ein Übriges. Außer Benny Claessens' Village kommt einem keiner nahe.

Dann hat Simons dem Stück noch eine zusätzliche Ebene verpasst, als hätte es nicht schon Ebenen genug, als sei es nicht verwirrend genug, als müsste man das Spiel im Spiel über den Tod der Weißen noch einmal rahmen: Die Hauptfigur wurde doppelt besetzt. Der Archibald des – schwarzen – Felix Burleson sieht also dem Archibald des – weißen – Stefan Hunstein dabei zu, wie er dieses grausam-komische Stück leitet. Es handle sich, so die Erklärung, um einen Traum. Doch: Warum soll ein Schwarzer davon albträumen, was sich ein Weißer so zusammenfantasiert, wenn er an Schwarze denkt? Was haben die Ängste und Begierden der Weißen in den Träumen eines Schwarzen verloren?

„Die Neger“, natürlich, hätte ein Aufreger werden können, wenn auch anders als gedacht. Aber vielleicht war die Angst vor Missverständnissen zu groß, vielleicht wollte Simons seinen Genet intellektuell erhöhen, ihn für uns zurechtrücken, erklären. Doch wo Genet derb ist, ist Simons sich zu fein, wo Genet ein „Rumms“ schreibt, inszeniert Johan Simons ein „Hach“. Sehr zimperlich.

Theater Akzent, Wien 4, Theresianumgasse 18, weitere Aufführungen: 5. bis 7. Juni. Publikumsgespräche im Anschluss an die Vorstellung. www.festwochen.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2014)

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