Halleluja für einen falschen Engel

(c) Wiener Festwochen
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Die Potsdamer Winteroper begeisterte im Museumsquartier mit ihrem szenischen Gastspiel von Georg Friedrich Händels letztem Oratorium, "Jephtha".

Religionsunterricht? Ethikunterricht? Österreichs dauerheißes Eisen, die Schuldiskussion, bekommt zwei Probestunden bei den Wiener Festwochen. Dort hat man Händels „Jephtha“ eingeladen, in einer Produktion der Potsdamer Winteroper. Es ist Händels letztes Oratorium, ein grandioses Alterswerk, das den alttestamentarischen Stoff um den Feldherrn der Israeliten, Jephtha, behandelt, der seinen Gott um Beistand im Kampf gegen die Ammoniter bittet. Der Preis: Er muss jenen Menschen opfern, der ihm als Erster bei seiner Heimkehr begegnet. Dass dieser Mensch seine Tochter Iphis ist, stürzt den Helden in größte Gewissenspein.

In Potsdam wurde dies in der Friedenskirche von Sanssouci verhandelt. Ein meterlanger Schultisch (Bühne: Elisabeth Vogetseder) stand dort im Kirchenraum, der nun für zwei Aufführungen im Wiener Museumsquartier aufgebaut wurde. Die Zuschauer sitzen auf Tribünen an den Längsseiten ganz nah am Geschehen. Zur Ouvertüre – Konrad Junghänel leitet dafür mit großem Geschmack, schönem Drive und farbenreich die hervorragende Kammerakademie Potsdam – stürmen Schülerinnen und Schüler in Uniformen herein. Lachend, aufgekratzt, sich mit zerknüllten Papierstücken und -fliegern bewerfend setzen sie sich auf ihre Bänke um den Tisch. Regisseurin Lydia Steier hat sich für ihre szenische Fassung des auf zwei Stunden gekürzten englischen Oratoriums diese Internatssituation ausgedacht und eine Sprechrolle dazu erfunden, einen Oberlehrer (Christian Ballhaus), der die Lehrstunde leitet. Man erklärt die schrecklichen Menschenopfer, die unter den Ammonitern an Kindern vollzogen werden. Die Schüler dürfen diese Opferung am Modell nachspielen, bis es aus einem der jüngeren Lehrer (Raimund Nolte als Zebul) herausbricht: Die Israeliten sollen ihren Götzendienst beenden, einer soll sich finden, der das Volk gegen die Ammoniter führt.

Wem folgen, Gott oder dem Gewissen?

Es ist sein Kollege, der sich dazu entschließt und so in die Rolle von Jephtha schlüpft. Lothar Odinius steigt kampfbereit auf den Tisch, mit kraftvoll, wunderbar ausdrucksstark geführtem Tenor, dem nur am Ende etwas die Kraft ausgeht, als Jephtha fast seine Tochter opfert und qualvoll zerrissen fragt, ob er Gott oder seinem Gewissen folgen soll. Steier lässt hier die Sache kippen, aus dem Internatsvolk schält sich das Oratorienpersonal heraus. Unter den Schülern findet sich Iphis, die von Katja Stuber mit kräftig hellem Sopran gesungen wird. Ihr gegenüber sitzt Kommilitone Hamor, der ihr versprochen ist. Der junge Magid El-Bushra gibt ihn als braven Schulknaben und schenkt ihm seine warm timbrierte, geschmeidig geführte Countertenorstimme. Auch Jephthas Frau, Storgè, kommt aus dem Lehrkörper: Maria Streijffert schleudert dafür ihre ganz Wut als Mutter auf den zur Opferung entschlossenen Gatten.

Angesichts des zur Tat schreitenden Jephtha hat sich der Jubel der Israeliten, rekrutiert aus der Schülerschar, die vom Chor der Potsdamer Winteroper großartig gesungen und gespielt wird, in Trauer verwandelt. Aber: „What ever is, is right“, lautet die Conclusio, die Chor und Oberlehrer wie einen Merksatz wiederholen: „Was immer geschieht, ist recht!“ Bei Händel wird am Ende die christliche Reißleine gezogen. Ein Engel erscheint, Iphis darf verschont werden.

Doch die Regisseurin misstraut der Frohbotschaft. Ein Kitschengel wird auf einem Wolkenwagen hereingeführt, trällert seine Arie, bis Jephta ihn packt, ihm das Kostüm herunterreißt. Es ist doch nur eine Schülerin, in diesem toll musizierten, geistreichen Anschauungsunterricht, der nur selten dramatisch übertreibt. Am Ende haben alle etwas gelernt. Man verbeugt sich vor dem großen Oberlehrer, und das Volk, wieder ganz Schüler, erkennt: So wird belohnt, wer Gott fürchtet. Amen. Halleluja. Oder doch nicht?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2015)

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