Anton Tschechows fette Möwe wird hintersinnig totgeschossen

(c) Wiener Festwochen
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Ein Gastspiel aus Zagreb zeigt mit Verve, wie viel selbst in nur 80 Minuten noch an Überraschung drin ist in einem der beliebtesten russischen Meisterdramen: Bobo Jelčićs Inszenierung von "Galeb" reduziert diese böse Komödie der Dekadenz zur Kenntlichkeit.

Wie viel Vergnügen darf Anton Tschechows 1896 uraufgeführte Komödie „Die Möwe“ bereiten, die so lustvoll künstlerischen Weltschmerz bereitet? Massig viel Spaß, wenn es nach dem aus Bosnien-Herzegowina stammenden Regisseur Bobo Jelčić (*1964) geht, der mit „Galeb“ bei den Wiener Festwochen zu Gast ist. Fast nur den ersten und dritten Akt hat die Produktion aus Zagreb auf Kroatisch paraphrasiert. Achtzig Minuten dauert der Zauber, doch alles scheint drin zu sein in dieser Aufführung, die am Samstag im Theater Akzent ihre Premiere im deutschsprachigen Raum hatte. Die Über-Titel auf Deutsch braucht kaum, wer auch nur die Handlung der „Möwe“ kennt. Ihre Atmosphäre fühlt man selbst in der wildesten Verfremdung.

Jelčić hat Rudimente abgewohnten Mobiliars auf die Bühne gestellt. Ein ausgefranster Teppich, eine zerschlissene Sitzgruppe, darauf posiert schweigend, gelangweilt Mascha (Katarina Bistrović-Darvaš). Sie will anfangen, doch auf den Rängen quatschen (scheinbare) Zuseher. Mitarbeiter huschen über die Bühne. Frustriert geht Mascha ab. Der bornierte Lehrer Medwedenko (Pjer Meničanin) tritt auf, merkt, dass seine Kollegin nicht auf dem Sofa sitzt, erschrickt und verschwindet wieder. Zischen aus dem Publikum, quasi um Ruhe bittend, als das Gemurmel auf den Rängen nicht verstummt. Doch wir befinden uns bereits mitten im Spiel im Spiel: Ein junger Dichter möchte in „Die Möwe“ sein erstes Stück vorzeigen, vor gelangweilten Gästen auf dem Gut seines Onkels, und scheitert damit total, will sich umbringen, scheitert – vorerst – auch damit.

Endlich, nach Minuten, die Eröffnungsszene: Mascha sitzt schweigend da, der Lehrer wirbt um sie. Ach! Sie ist in Fast-schon-Poet Konstantin (Krešimir Mikić) verliebt, den Sohn der berühmten und verblühten Schauspielerin Arkadina (Ksenija Marinković). Der wiederum hat ein Verhältnis mit Nina (Jadranka Dokić), die sein kosmisches Stück spielt. Sie sehnt sich bald nach Arkadinas Freund, dem Erfolgsautor Trigorin (Sreten Mokrović). Nina wird dem Abgereisten nach Moskau folgen, Schauspielerin und von ihm verlassen werden. Trotzdem liebt diese Gescheiterte Trigorin weiterhin. Konstantin, inzwischen als Autor erfolgreich, blitzt nach ihrer Rückkehr erneut ab, wie sich im vierten Akt herausstellt, der zwei Jahre später spielt.

Arkadina – ein Albtraum für Künstler

Dieses Finale aber lässt die Inszenierung völlig aus – bis auf den Schuss, der Böses ahnen lässt, nachdem der einsame junge Schriftsteller abgegangen ist. Und siehe da, man braucht es gar nicht, erfährt auch so genug, aus der Fokussierung auf das Stück im Stück, aus dem vergeblichen oder nur sehr beschränkt erfolgreichen Werben der im Grunde unglücklichen oder schlicht ignoranten Figuren. Die füllige Arkadina mit ihrer herrschaftlichen Stimme ist eine Wucht. Solche Zuseher müssen wohl der Albtraum jedes Schauspielers sein, allein ihre Art des Beobachtens und die spitzen kleinen Bemerkungen lösen Lähmungen aus. Aber auch die arme Mascha und ihr biederer Lehrer werden köstlich gespielt, schon ihre Körpersprache wie auch ihre Mienen sagen alles.

Der strebsame Dichter ist reine Satire. Sie bezieht sich sowohl auf das Stürmen und Drängen von einst als auch auf gegenwärtige Eigenarten oder Eskapaden des Theaters. Mikić imitiert auch überspannte Regisseure von heute. Sein stärkstes Symbol: Er schießt eine fette Möwe aus Plastik ab, die hier von der Decke fällt, als man nach einem Schuss um Konstantins Leben fürchtet. Selbst das Publikum wird ins Spiel mit einbezogen, drei Herren räumen auf Bitten einer Assistentin die Möbel um. Selten wird mit so viel Hintersinn die vierte Wand eingerissen. Diese kurzweilige Produktion von Zekaem ist mit Verve gemacht, mit jener treffsicheren Leichtigkeit, die böse Komödien brauchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2015)

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