Wiener Festwochen: Jelinek lässt Geld verbrennen

Wiener Festwochen Jelinek laesst
Wiener Festwochen Jelinek laesst(c) EPA (RAINER JENSEN)
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Im Finale punkten die Wiener Festwochen mit einer Wirtschaftskomödie der Nobelpreisträgerin. "Die Kontrakte des Kaufmanns" dreht sich um den Kapitalismus. Nicolas Stemann gibt sie recht billig.

Thomas Manns monumentaler Roman „Die Buddenbrooks“ (1901), der die Dekadenz einer Großbürgerfamilie und den Verfall ihrer Gesellschaft schildert, endet auf Seite 758 mit der großen Geste einer braven Lehrerin: „Es ist so!“, sagt Sesemi Weichbrodt, „bebend vor Überzeugung, eine kleine, strafende, begeisterte Prophetin.“ Auch Elfriede Jelinek scheint in ihrem monumentalen Theatertext „Die Kontrakte des Kaufmanns“ eine bebende Prophetin zu sein. Ihr strafender Befund des Turbokapitalismus endet aber nicht optimistisch, sondern so pessimistisch, dass sogar Schopenhauer erblasst wäre. Wenn nach gut vier Stunden die spekulierenden Kleinanleger tatsächlich alles an die gar nicht spekulierenden, sondern berechnenden Banken verloren haben, „dann gehört Ihnen nichts, nichts mehr, nichts mehr. Gar nichts mehr. Nichts.“

Bawag, Meinl, Grasser

Diese „Wirtschaftskomödie“ hat die österreichische Nobelpreisträgerin für Literatur unmittelbar vor dem großen Crash 2008 geschrieben, als Reaktion auf die Bawag- und Meinl-Skandale. Im April 2009 wurde das Stück unter der Regie von Nicolas Stemann am Schauspiel Köln uraufgeführt. Inzwischen wurde der Text aktualisiert, wuchs auf auf rund 200 Seiten, wurde wieder gestrafft.

Bei den Wiener Festwochen, die diese Inszenierung am Donnerstag im Museumsquartier brachten (ohne Pause, das Publikum durfte sich frei bewegen), gab es also auch eine brandneue Textfassung. Sogar US-Präsident Barack Obama spielt per Videoscreen in einem Cartoon über die Erdölkatastrophe im Golf von Mexiko eine kleine Nebenrolle. Wie schon in Köln und Hamburg wird ein Countdown von 99 Seiten gezeigt. Die Schauspieler werfen die verbrauchten Seiten auf den Boden. Am Schluss der Börsenparty bedecken sie die Bühne wie wertlose Börsenpapiere.

Die gnadenlose Sprache der Werbung

Jelineks Text aber ist kein Junk-Bond, sondern eine köstliche Parodie auf den Jargon der freien – nein, enthemmten! – Wirtschaft. Mit Lust drechselt sie aus dieser Werbesprache einen gnadenlosen Enthüllungstext. Ein altes Paar (Therese Dürrenberger, Ralf Harster) stimmt auf der großen Bühne (ein später einstürzender Altbau, von Katrin Nottrodt präzis mit Sofa, Tisch, Lampe, Teppich und Klavier möbliert) eine Klage an, die im Chor der Kleinaktionäre mündet. Die Musik – ein Lamento, ein vielstimmiger Gesang – wird von Sebastian Vogel und Thomas Kürstner einfühlsam beigesteuert. Die Alten waren zu naiv, haben böse spekuliert. Es dauert nicht lange, schon trägt man ihnen schweigend das letzte Möbelstück weg, rollt den Teppich ein, schafft sie auf Rollstühlen beiseite. Bühne frei für die Sirenen der Anlageberatung (Maria Schrader, Patrycia Ziolkowska, Franziska Hartmann). Sie erklären, wie logisch der Raubzug war.

Diese erste Stunde, mit dem dichten, sarkastischen Text immer im Fokus, ist neben dem grausamen Finale das Beste an diesem Abend, Welttheater. Dazwischen aber ergeht sich der Regisseur allzu oft in Klamauk. Der ist zwar streckenweise köstlich, sogar abwechslungsreich (etwa wenn Stemann Falcos „Jeanny“ singt, in einer „Julius“-Version) und voller sinnlicher Bilder mit wandelnden Steinen und Engeln der Gerechtigkeit, phasenweise aber auch allzu billig. Die Anspielungen auf Meinl, Ex-Finanzminister Grasser und Bawag-Bonzen als Freibeuter des Kapitals sind bloß Klamotte, die Interaktion mit dem Publikum ist etwas müde. Und die Gags ziehen sich, auch wenn es noch immer wirksam ist, wenn auf der Bühne Geld verbrannt wird. Die Banker (Sebastian Rudolph, Daniel Lommatzsch) benehmen sich dabei wie albanische Hütchen-Spieler. Symbolbeladen wird es, wenn eine Zauberfee sich riesige Münzen und Scheine um den Hals hängt. Da geht es ihr wie König Midas; sie droht zu verdursten.

Der mörderisch gescheiterte Kapitalist

Am Schluss wird es noch einmal ganz dicht und richtig böse. Ein Mann, heißt es, tötet mit einer Axt seine Familie, weil er 300.000 Euro an der Börse verloren hat. Solch ein Fall hat sich unlängst in Wien ereignet, der gescheiterte Kapitalist mutiert zum Raubtier. Dieser Mörder-Kapitalist hat dann die Freiheit, wie Stemann in einem Video suggeriert, seinen Kopf auf die Schienen zu legen. Damit endlich Schluss ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2010)

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