Festwochen: Die Porno-Polizistin und der Lehrer

Festwochen PornoPolizistin Lehrer
Festwochen PornoPolizistin Lehrer(c) Wiener Festwochen (Stephen Cummiskey)
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Beeindruckende Erstaufführung von "Wastwater": Autor Simon Stephens und Regisseurin Katie Mitchell bieten feines realistisches Theater aus England.

Lisa, 42, Polizistin, erzählt mitten im neuen Stück des englischen Dramatikers Simon Stephens unvermittelt über längst vergangene Ferien im englischen Lake District, als sie noch ein Kind war. Die Familie sei zum Campen an den Wastwater gefahren, den tiefsten See Englands. Er sehe ganz ruhig aus, sagte damals ihr Vater, aber das sei eine Lüge, man sollte sehen, wie viele Leichen dort unten versteckt seien. Auch die drei Szenen, in denen Stephens jeweils einen Mann und eine Frau miteinander reden lässt, sind an der Oberfläche ruhig, doch die Dialoge haben beunruhigende Unterströmungen. Es geht um Verlust, Grausamkeit und Erniedrigung in diesem Triptychon geheimnisvoller Beziehungen, um Liebe, aber auch um Handel mit Kindern.

Harter Sex mit dem Geliebten

Diese Lisa zum Beispiel (Jo McInnes), die sich mit Mark (Paul Ready), 30, in einem Hotel nahe dem Flughafen Heathrow trifft, führte ein Doppelleben. Sie war heroinsüchtig, machte bei Pornos mit, um sich ihre Sucht finanzieren zu können. Beruflich hat sie mit Missbrauch zu tun. Nun will sie von Mark harten Sex. Mit ihrem Mann hat sie es noch nie getan, gesteht sie. Der sei zum Kuscheln da.

Und Mark, der Kunstlehrer, weiß, dass er bald für ein Jahr ins Ausland geht. Seine Partnerin Clare, die er betrügt, wird zurückbleiben. Eben erst hat er ein Trauma überwunden. Sein bester Student, Gavin, starb bei einem Autounfall. Danach hat sich Mark vier Jahre Auszeit genommen. Die Atmosphäre im Hotelzimmer ist aufgeladen, schlägt ins Bizarre um. Lisa bittet den Mann, sie zu schlagen. Dreimal schlägt er zu, dann weint er. Licht aus.

Feiner Realismus aus England wird in Katie Mitchells Inszenierung geboten, die Samstag bei den Festwochen (in englischer Sprache) Premiere hatte. Die Koproduktion des Royal Court Theatre, die heuer in London uraufgeführt wurde, kennt keine Mätzchen; hervorragende Schauspieler, bei denen jede subtile Pointe sitzt, eindringliche Bilder.

Der Beginn: In einer schwarzen Wand der HalleG des Museumsquartiers geht eine Schiebetür auf und gibt den Blick auf ein altes Farmhouse frei, das für eine dritte Landebahn in Heathrow weichen soll. Lizzie Clachan hat Bühne und Kostüme unaufdringlich alltäglich gestaltet, nichts außer dem Flugzeuglärm soll von den Dialogen ablenken, die nur einen Bruchteil ganzer Schicksale freigeben.

Leise Trennung, latente Gewalt

Ganz diskret sind drei unterschiedliche Geschichten miteinander verbunden, über ein Lied aus „Carmen“ zum Beispiel, über Nebenfiguren, Nebensätze. In der ersten Szene sehen wir Harry (Tom Sturridge), 22, der sich auf der Farm von seiner Pflegemutter verabschiedet. Er wird nach Vancouver ziehen. Leise trennt er sich von Frieda (Linda Bassett), 60. Sie mögen sich. Er leidet noch immer unter einem tödlichen Verkehrsunfall, bei dem sein Freund Gavin starb. Sieht man hier aber eine Beziehung von Mutter und Sohn, oder verrät sich gar Abgründiges? Harry will Frieda umarmen. Es wird dunkel.

Die „Habanera“ singt auch Sian (Amanda Hale), 25, die ebenfalls ein Pflegekind Friedas war. Sie handelt offenbar mit Kindern, lässt ihren Kunden einen absurden Fragebogen beantworten. Dieser Jonathan (Angus Wright), 43, war Lehrer, der wegen Harry aus Szene eins entlassen wurde. Warum will er ein kleines Mädchen aus der Dritten Welt kaufen? Missbrauch? Adoption? Er nimmt das Kind in Empfang, es weicht zurück. Es wird dunkel.

Die Szenen mit ihrer latenten Gewalt und traurigen Passivität bleiben zweideutig. Die hohe Kunst von Simon Stephens besteht darin, dass er immer nur schmale Ausschnitte zeigt, die viel offenlassen. Da werden große Fragen gestellt. Wastwater ist ein unergründlicher See. Was ist der Mensch? Wo geht er hin? In einer leeren Lagerhalle steht verloren ein kleines Mädchen. Sie sagt kein Wort zu dem Fremden, der ihr alles mögliche verspricht und schließlich, ehe es dunkel wird, eingesteht: „Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll.“ Die Schiebetür geht zu, sie geht auf, das Lager ist leer. So endet nach hundert Minuten eine eindrucksvolle Vorstellung.

16.+17.5., 20.30, MQW, Halle G

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2011)

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