„Museum Hours“: Wo ist das Klo im Kunsthistorischen?

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Der sympathische, leise Wien-Film des US-Künstlers Jem Cohen entdeckt die Bedeutung hehrer alter Kunst für das Alltagsleben in der Gegenwart – und die Stadt mit den Augen eines Fremden. Ab Freitag.

Über das Kunsthistorische Museum heißt es in diesem Film einmal: „It's the big old one.“ Die liebevolle Bezeichnung gibt eine gute Vorstellung davon, wie der US-Regisseur Jem Cohen in seinem österreichisch koproduzierten Wien-Film „Museum Hours“ die ehrwürdige Institution angeht: Als geschichtsträchtigen Ort, dessen wahre Bedeutung in seiner Wirkung auf die Gegenwart liegt. Cohens Film ist zugleich essayistisch-intellektuell und beiläufig verspielt: Seinen Charme verdankt er der Unbeschwertheit, mit der er Hochkultur und Alltagsniederungen kombiniert und mit der seine Hauptdarsteller spielen.

Touren durch entlegene Ecken Wiens

Insbesondere der Wiener Laie Bobby Sommer, schon lange ein Mitarbeiter des lokalen Filmfestivals Viennale (wo ihn Cohen zweifelsohne entdeckt hat), verströmt ganz unangestrengt ein Charisma, dem man sich schwer entziehen kann. Dabei spielt er eine Rolle, die man nicht unbedingt mit spürbarer Präsenz assoziiert: Einen Museumswärter im Kunsthistorischen, der sich mit einer Touristin anfreundet, die eine sterbende Verwandte besucht. Gespielt wird die Wien-Reisende von der laut Eigendefinition „undisziplinierten Künstlerin“ Mary Margaret O'Hara: Die Kanadierin ist vor allem für ihre Musik bekannt, hat aber schon kleinere Kinorollen gespielt, etwa in Robert Franks Road Movie „Candy Mountain“.

Die Beziehung, die sich zwischen den beiden auf Touren durch entlegenere Ecken Wiens und – natürlich – das Museum entfaltet, hat seit der Locarno-Premiere des Films zu Vergleichen mit Richard Linklaters Stadt-Liebesfilmen „Before Sunrise“ und „Before Sunset“ geführt. Obwohl auch Cohen zärtlich gedämpfte Töne anschlägt, ist das etwas irreführend: In „Museum Hours“ entwickelt sich „nur“ eine innige Freundschaft, indem man Zugänge zum Leben teilt. Museumswärter Johann ist schwul, wie er in einem seiner Monologe erzählt, zwischen Reminiszenzen über lange Nächte mit Onlinepoker und seine Zeit im Musikgeschäft: Darsteller Bobby Sommers war tatsächlich schon in den 1960ern Roadie für Londoner Rockbands und auch nachher in der Musikszene tätig.

Die Details im Abfall sind wie bei Bruegel

Die Verschränkung von Fiktion und Wirklichkeit ist ein Markenzeichen des Regisseurs und Künstlers Cohen, dessen Werke in renommierten Museumssammlungen wie dem New Yorker Whitney liegen: Im Dokudrama „Chain“ etwa versinnbildlichte Cohen 2004 die Austauschbarkeit der globalisierten Shopping-Mall-Zone, indem er die Handlung scheinbar in einer einzigen Superkonsumlandschaft spielen ließ – obwohl die Szenen rund um die Welt gedreht waren. „Museum Hours“ ist wie ein optimistisches Gegenbild zu dieser deprimierenden Vision eines seelenlosen Niemandslands.

Der auf urbane Studien spezialisierte Filmemacher entdeckt Wien mit dem Blick eines Fremden: Es geht um die fragile Freude an Zufallsbegegnungen, ausgefallenen Orten wie dem Kultlokal „MMM Espresso“ in der Laudongasse und am Blick auf übersehene Details. Auch in einem Haufen von Flohmarktabfällen ist etwas zu entdecken – ganz so wie in den prallvollen Gemälden von Pieter Bruegel dem Älteren, deren schillernde Anhäufungen von Einzelheiten in einer Schlüsselszene bei einer Führung durch das Kunsthistorische ausgiebig debattiert werden. Aber Cohen geht es nicht um eine theoretische Abhandlung, das macht ziemlich bald eine andere museale Erläuterung klar: Die häufigste Frage in seinem Job, erklärt Wärter Johann, sei die nach dem Weg zum Klo. Bloß die ganz unangenehmen Besucher würden dann auf langwierige Umwege geschickt. Das ist typisch für den unterspielten Humor, der an „Museum Hours“ gefällt: Es gibt auch heitere Exkurse zum Wesen von Heavy Metal oder darüber, was am Begriff „Spätkapitalismus“ eigentlich faul ist.

In solchen Momenten blüht der demokratische Gestus des Films auf: Im Alltäglichen und im Zwischenmenschlichen lassen sich die Lektionen der hehren Kunst fruchtbar machen, nicht zuletzt für ein heutiges Verständnis der Kräfte von Geld, Politik, Sex und Klassenunterschieden. Dass Cohen seine eigenen Bilder – digital in Innenszenen, 16-mm-Film für die Außenansichten – implizit in eine Reihe mit der Traditionslinie von Bruegel stellt, klingt pompös, die Umsetzung ist aber eher verhuscht und meditativ. Eitelkeit parodiert Cohen ohnehin: Nachdem das „Fehlen des Schamgefühls“ in Lucas Cranachs Akt von „Adam und Eva“ debattiert worden ist, folgt kurzerhand eine Szene, in der alle Museumsbesucher nackt sind.

Wie erfüllende Kunstbetrachtung

Das kann man etwas überzogen finden, und einige Dinge funktionieren nur konzeptuell, was bei Cohens teils überambitionierten Werken keine Seltenheit ist: Gerade die fiktive Handlung um die sterbende Verwandte sticht als offensichtlicher Kunstgriff heraus, der einem eher essayistischen Kinostück zu konventionellen Einstiegs- und Abschlussmomenten verhilft. Die Künstlichkeit widerspricht eigentlich dem entspannten, manchmal – wie erfüllende Kunstbetrachtung – lethargischen Ton, aber auch das wird thematisiert: Letztlich geht es darum, hinter der Kunstanstrengung zum Leben vorzustoßen. Gewidmet ist der Film rührenderweise dem vor drei Jahren aus dem Leben geschiedenen Singer-Songwriter Vic Chestnutt: Der wusste davon ein Lied zu singen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2012)

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