Hexenjagd auf Dr. Reich aus Wien

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"Der Fall Wilhelm Reich" lockt mit großen Schauspielern. Antonin Svoboda nähert sich dem wilden Denker voll Eifer, ohne Ansatz zu kritischer Distanz. Ab 18.1.

Ein älterer Mann mit seinem jungen Sohn in der Wüste: Sie zelten und schauen auf die Sterne. Dann experimentieren die beiden sowie ein Assistent und eine junge Frau mit Rohren aus Metall, die aussehen wie Stalin-Orgeln. Diese „Cloud Buster“ sollen Regen bringen. Ein verschrobenes Idyll? Nein, der Beginn vom Ende eines getriebenen, genialischen Geistes: „Der Fall Wilhelm Reich“, in all der Doppeldeutigkeit dieser Phrase. Es geht um den Schöpfer der Orgasmustheorie, der als junger Mann in Wien nach dem Ersten Weltkrieg der Psychoanalyse starke Impulse gab, der sich mit Massenpsychologie, Soziologie, Krebsforschung und anderen Geheimnissen der Biologie befasste und schließlich auch mit der „Physik des Orgon“. Man muss sich Reich als eine Art rastlosen Faust vorstellen.

Was hat den altösterreichischen Sexualforscher und Erfinder, der mit sechzig Jahren in den USA im Gefängnis starb, der als Scharlatan und Betrüger gebrandmarkt wurde, so verrückt gemacht? Waren es die Behörden (sie wirken wie Nazis), die ihn zwangen, seine energetischen Zauberkisten zu verbrennen, böse Geheimdienste, Albert Einstein oder gar ganz üble Subjekte unter den Psychoanalytikern, wie der Film von Antonin Svoboda insinuiert? Vielleicht aber wurde dieser außergewöhnliche Mensch schon in jüngeren Jahren gebrochen. Es gab für Reich die Zurückweisung durch den einstigen Lehrer Sigmund Freud, den Ausschluss aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 1934, die schlimmen Erfahrungen mit dem Kommunismus, dem er ab 1927 anhing. Diese Niederlagen in den noch formenden und fruchtbaren Jahren kommen in „Der Fall Wilhelm Reich“ nicht vor, denn der Regisseur und Drehbuchautor konzentriert sich (mit Ausnahme weniger Rückblenden) auf die Endphase dieses Charakters, auf höchst spekulative Narreteien, Verurteilung und Gefängnis.

Kalter Krieg gegen einen Ex-Kommunisten

Das aber gerät zum Nachteil für den Film, ihm fehlt die Distanz zum Charakter. Reichs Gegner sind unerbittlich, sogar Einstein, von dem er sich ein positives Gutachten erwartet hat. Er wird beim großen Physiker gar nicht erst vorgelassen. Zum absolut Bösen wird ein hochrangiger Kollege aus der Zunft der Psychoanalyse hochstilisiert. Dr. Cameron (Gary Lewis) gehört zu den Hexenjägern der McCarthy-Ära, während Reich wie ein weiser Alter vom Berg wirkt – ein sehr einfaches Erklärungsmuster für einen heiklen Fall. Ganz Amerika scheint den Kalten Krieg gegen diesen ultraliberalen und zugleich ultralinken Europäer geführt zu haben.

Dennoch ist diese Elegie sehenswert, das liegt an den Schauspielern (nicht aber an ihrem Englisch). Klaus Maria Brandauer ist ein wunderbar versponnener Seelenheiler und Weltenretter, Jeanette Hain als seine Frau Ilse wirkt so verständnisvoll wie verrückt, und Julia Jentsch als dessen Tochter Eva ist ein Seelchen, mindestens so schön wie die junge Maria Schell in den Fünfzigerjahren. Ja, dieser Film ist auch eine Romanze wie aus der guten alten Zeit, und dazu gehört auch das Biest. Birgit Minichmayr gibt es mit viel Subtilität. Allein wie sie sinnend am See vor dem Orgonon-Institut steht und raucht, ist den Kinobesuch wert.

Ein weiterer Star, dessen Wirkung man nicht unterschätzen darf, ist die Landschaft. Spanien bot die Kulisse für die Wüste, das Waldviertel dient als Hinterland der Ostküste, und Wien bleibt Wien mit seinen Hörsälen, die sich erhalten haben, als würde Doktor Freud dort noch heute dozieren. Im Film vollbringt Freuds verstoßener Schüler tatsächlich Wunder. Reich bringt Regen in die Dürre, Unfruchtbare werden fruchtbar. Nur sich selbst kann der Mann nicht retten. Er nimmt das Schicksal auf sich wie Sokrates, wie ein Mensch also, der auch in Gefangenschaft noch genau weiß, was Freiheit heißt.

Von Galizien nach Lewisburg

1897 wurde W. Reich in Dobrzanica als Sohn konvertierter Juden geboren. 1920 trat er in die Wiener Psychoanalytische Gesellschaft ein, promovierte 1922 zum Dr. med. Psychoanalytiker, Sexualforscher, Soziologe. 1927 KPÖ-Mitglied, dann KPD. 1933 Ausschluss. Exil in den USA 1939. Entdeckung des Orgons 1940, die Verbreitung seiner Akkumulatoren wurde 1955 verboten. Wegen Missachtung des Gerichts zwei Jahre Haft in Lewisburg, Pennsylvania. Dort starb Wilhelm Reich 1957.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2013)

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