Party, Party, Party bis zum Umfallen – New York feiert den Untergang

F. Scott Fitzgeralds Roman „The Great Gatsby“ ist ein Klassiker der Moderne geworden. Wer aber den Gipfel der Dekadenz erklimmen will, lese das „Satyricon“ des Petronius.

Ernest Hemingway, der lakonische Kraftlackel, aber auch T. S. Eliot, der feinsinnig wortgewandte Poet, zwei große US-Autoren des 20.Jahrhunderts also, waren anders als die meisten Kritiker hellauf begeistert, als 1925 „The Great Gatsby“ erschien, dieses schmale, als Roman bezeichnete Werk ihres Landsmanns Francis Scott Fitzgerald. Hemingway beschloss nach der Lektüre, „The Sun Also Rises“ zu schreiben. Eliot las das Buch gleich dreimal und stellte in einem Brief an Fitzgerald diesen auf eine Stufe mit Henry James.

Die Euphoriker haben sich durchgesetzt: „The Great Gatsby“ schafft es in Umfragen literarischer Gazetten immer wieder an die Spitze der amerikanischen Romane und unter die wichtigsten literarischen Werke des 20.Jahrhunderts überhaupt. Das Buch ist nicht nur in den Vereinigten Staaten Schullektüre geworden. Es wurde mehrfach verfilmt, wie soeben wieder durch den Australier Baz Luhrmann, mit Leo DiCaprio in der Rolle des Selfmademans, der während der Prohibition durch Alkohol reich wurde, den aber seine große Liebe zerstört. Was macht den Reiz von Gatsby aus, dieses Buches mit Suchtgefahr?

Die Handlung kann es nicht sein, denn die ist billig wie in Groschenromanen. Ein junger Offizier, James Gatz aus Dakota, verliebt sich in Daisy Fay aus Kentucky, Tochter aus reichem Hause. Doch er muss in den Krieg. Als Gatz zurückkommt, ist sie bereits vergeben. Sie heiratet den Sporthelden Tom Buchanan aus Chicago. All diese Leute aus der Landesmitte, aus der auch Erzähler Nick Carraway stammt, treffen sich in New York wieder. Der geschilderte fiktive Ort erinnert an das reale reiche Great Neck auf Long Island: Auf einer Seite der Bucht, in West Egg, hat Gatz alias „Gatsby“ seine riesige Villa, auf der anderen, in East Egg, wohnen die Buchanans. Der Versuch, Daisy wiederzugewinnen, scheitert: Unfall, Mord, Selbstmord. Es gibt keine zweite Chance. Die Geschichte, die im Rückblick 1924 erzählt wird, geht böse aus, ernüchtert kehrt Carraway der elektrisierenden Metropole den Rücken. Der Rest ist Nostalgie.

Die elegante Erzählweise mit ihrem Weltschmerz ist es auch, die noch immer fasziniert an dieser seltsamen Fabel über Verrat. In einem Film kann man ihr wahrscheinlich kaum so nahe kommen wie in der intensiven szenischen Lesung, die die New Yorker Theatergruppe Elevator Repair Service aus dem Roman machte. Bei den Wiener Festwochen war dieser Marathon 2007 zu sehen – bis zur Erschöpfung.

Vom Buch bleiben vor allem Szenen mit neureichen Partys hängen, für die sich Fitzgerald das „Satyricon“ zum Vorbild nahm. Das „Gastmahl des Trimalchio“ in diesem Fragment ist schwarze Satire – im antiken Rom ahnte der Autor Titus Petronius bereits kurz nach der Zeitenwende den Untergang des Reiches 400 Jahre später.

Das ist der Kern. Auch Carraway weiß, dass die Party bald zu Ende sein wird. Dieser Mann vom Land empfindet Hassliebe zur dekadenten Großstadt. Er lässt den Leser spüren, wie es ist, wenn man eigentlich nicht dazugehört zu „all that jazz“. Was aber tun, im amerikanischen Albtraum? Noch eine Fete? Ein letztes Glas vor der Flucht?

Weiter feiern oder abhauen? Das ist hier die Frage. Im Roman verabschiedet sich der Erzähler mit einem schwankenden Bild der Vergänglichkeit. Am Ende, man spürt bereits die Große Depression, bleibt nur die Erinnerung an einstigen falschen Glanz.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2013)

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