"Marlene, vergiss nie, dass ich dich liebe"

Marlene vergiss dass dich
Marlene vergiss dass dich(c) EPA (Str)
  • Drucken

Wenn es um ihre französische Freundin ging, war der "blaue Engel" ein besorgtes Hausmütterchen: Über die Freundschaft von Marlene Dietrich und Édith Piaf, das traurige Ende und die Frage: Waren sie ein Liebespaar?

Edith Piaf sitzt auf der Damentoilette und heult. Heult über die Amerikaner, die ihre Lieder nicht verstehen und sie bei ihrem ersten Konzert haben abblitzen lassen. Da kommt Trost von nebenan – ob sie ein bisschen Toilettenpapier haben dürfe, fragt eine Stimme. Und sie soll sich nicht grämen, „wissen Sie nicht, dass das amerikanische Publikum zu 50 Prozent aus Kindern besteht? Den restlichen 50 Prozent wurde das Gehirn von diesen abscheulichen Klimaanlagen vereist.“

Begann es wirklich an einem stillen Örtchen? Nun, im Zwei-Personen-Stück „Spatz und Engel“, das am 17. September mit Maria Happel und Sona MacDonald im Burgtheater Premiere hat, ist es so. Doch eigentlich dachten sich die Autoren Daniel Große Boymann und Thomas Kahry einfach, dass das bedeutsame erste Aufeinandertreffen von Marlene Dietrich und Édith Piaf nicht auch noch durch eine illustre Szenerie beschwert werden sollte. In ihrer Garderobe sei es gewesen, erzählt die Piaf in ihrer Autobiografie. Da sei sie der schönsten Frau in die Arme gelaufen, die ihr je begegnet sei. Doch Vorsicht auch hier: Die Sängerin hat sich ihre Lebensgeschichte zurechtfantasiert, wie es ihr gerade einfiel.

Eine Französin in New York. Irgendwo in New York beginnt sie jedenfalls, die ganz besondere Geschichte von Édith Piaf und Marlene Dietrich. Die 32-jährige Französin wird in ihrer Heimat vergöttert und singt bereits einige ihrer berühmtesten Lieder, wie „La vie en rose“, „L'accordéoniste“ oder „Les amants de Paris“. Nun schickt sie sich an, Amerika zu erobern (was ihr nach einem glücklosen Anfang auch gelingen wird). Die 14 Jahre ältere Marlene Dietrich hat das längst geschafft. Ihr Durchbruch in Deutschland als Lola in „Der blaue Engel“ liegt zwei Jahrzehnte zurück, mit Filmen wie „Shanghai Express“ hat sie als erster deutscher Filmstar Hollywood erobert. Im Weltkrieg hat sie als Nazi-Gegnerin die US-Truppen unterstützt.

Welch ein Theaterstoff! Zwei der berühmtesten und begehrtesten Frauen ihrer Zeit freunden sich an – oder muss es heißen: verlieben sich? Dass die im Hosenanzug berühmt gewordene Deutsche auch Affären mit Frauen hatte, ist bekannt. In „Spatz und Engel“ ist auch ihre Beziehung zur Piaf erotisch. „Marlene Dietrich hatte bei Frauen eine Vorliebe für solche Typen, die ganz anders waren sie, klein, nicht so hübsch, aber im Gegensatz zu ihr sehr emotional“, sagt Autor Thomas Kahry. Er hat mit Daniel Große Boymann viel recherchiert und sogar noch mit Dietrichs 2011 verstorbener Sekretärin Norma Bosquet gesprochen.

Eine Liebesbeziehung? Es war eine Liebesbeziehung, ist auch die Tochter Marlene Dietrichs, Maria Riva, überzeugt. „Marlene erlag dem Zauber der Piaf“, schreibt sie. „Zum Glück hielten die Bekannten in Paris, die über die Liebesbeziehung der beiden Frauen Bescheid wussten, Gabin gegenüber dicht.“ Jean Gabin, einer der berühmtesten französischen Filmschauspieler, war sieben Jahre lang Dietrichs Geliebter, allerdings war die Beziehung schon am Ende, als die Freundschaft mit Piaf begann. Wie viel soll man der Tochter glauben? „Sie hatte mich gern, vielleicht liebte sie mich“, sagte ihre Mutter über Édith Piaf. „Aber ich glaube, sie konnte nur Männer lieben.“

Erotisch oder nicht, sicher ist, dass Marlene Dietrich ihre stets vom Absturz gefährdete Freundin mit Zuwendungen aller Art überschüttete. Einer ihrer ersten Dienste: Sie coachte Édith Piaf in New York. „Da war diese kleine Frau im schwarzen Kleidchen mit ihrer sehr speziellen Haltung und den Texten, die das amerikanische Publikum nicht verstand“, erzählt Daniel Große Boymann. „Dietrich stellte sich also auf die Bühne und kündigte ihre Freundin an, das war eine großartige Publicity.“

Piaf und Dietrich, schrieb der britische Theaterkritiker Sheridan Morley, gehören „jener exklusiven Gruppe von Sängern an, deren Darbietungen eher theatralisch-schauspielerisch als musikalisch zu werten sind“. Und auch, was er über die Stimme der Dietrich sagt – „Ich kenne keine Stimme, die so augenblicklich erkennbar, so unmittelbar ansprechend und ihrem tiefsten Wesen nach theatralisch ist“ –, kann für die Piaf mindestens genauso gelten.

Gleichzeitig waren sie die denkbar größten Gegensätze: auf der einen Seite der in landläufigem Sinn nicht hübsche, 1,47 m kleine „môme (Spatz) de Paris“, das im Elend und auf der Straße aufgewachsene Kind einer Kaffeehaussängerin und eines Akrobaten; auf der anderen Seite die hochgewachsene preußische Offizierstochter, die einmal Konzertgeigerin werden wollte; auf der einen Seite die unvorstellbar intensive Gefühlsbombe Piaf, auf der anderen Seite die stets überlegen und kontrolliert wirkende Deutsche im Frack.

Als kühle Männerverschlingerin galt die Deutsche in der Öffentlichkeit, die andere Seite freilich kannten Bekannte und Freunde: Marlene Dietrich konnte unglaublich hilfsbereit, fürsorglich, ja hausmütterchenhaft sein. Wenn man die Dietrich finden wolle, müsse man nur fragen, wer gerade krank sei, hieß es in Hollywood über sie. In „Spatz und Engel“ lässt sie Édith zu Hause gleich ein Kräuterbad ein und macht ihr eine „Kraftbrühe“. „Wie immer, wenn sie jemanden liebte, bemutterte sie das Mädchen, überschüttete es mit Geschenken, mit Ratschlägen und mit allen Drogen, nach denen ihre neue Liebe verlangte“, schreibt ihre Tochter. Die „Drogen“ – das war Alkohol, später, nach dem Flugzeugabsturz von Piafs „großer Liebe“, Marcel Cerdan, waren es auch Schmerzmittel.

Die „Kusine vom Land“. Jahrelang versuchte Marlene Dietrich, Édith Piaf vor sich selbst zu schützen. Ausgerechnet der für seine vielen Affären bekannte deutsche Star fühlt sich wie eine „Kusine vom Land“ angesichts von Piafs „Fähigkeit, die Kerze an beiden Enden anzuzünden“ und oft drei Liebhaber zur gleichen Zeit zu lieben. „Ich diente ihr mit allen Eigenschaften, die sie gerade benötigte, zu jeder gegebenen Zeit. Ohne ihr ungeheures Bedürfnis nach Liebe zu verstehen, diente ich ihr trotzdem gut.“

Schließlich sah sie ein, dass ihrer Freundin nicht zu helfen war. „Ich gab sie auf als ein verlorenes Kind – trauerte um sie, behielt sie für immer und ewig eingeschlossen in meinem Herzen.“ 1964, ein Jahr nach Piafs Tod, antwortete Marlene Dietrich auf die Frage, welche zeitgenössischen Sänger sie am meisten schätze: Édith Piaf und Frank Sinatra.


Marlene war Trauzeugin. Und was bedeutete Marlene Dietrich für Édith Piaf? Das goldene Kreuz, das ihr die Freundin schenkte, trug sie viele Jahre, unter anderem bei ihrer ersten Heirat (mit dem Sänger Jacques Pills, Marlene war Trauzeugin). Sie „schenkte“ der Dietrich ihrerseits eines ihrer erfolgreichsten Lieder, „La vie en rose“.

Marlene Dietrich sang es es 1950 im Film „Stage Fright“ („Die rote Lola“), ihrer ersten Zusammenarbeit mit Alfred Hitchcock. Und es zeugt von der unglaublichen Ausstrahlung der Französin, dass dieses Lied nicht wie andere Lieder, die Marlene Dietrich von Künstlerinnen übernahm, als Marlene-Dietrich-Lied in Erinnerung geblieben ist. „La vie en rose“ bleibt bis heute mit dem Namen Édith Piafs verbunden.

Welch ein Theaterstoff! Zumal man ein Stück über die zwei Ikonen mit ihren größten Hits spicken kann. Das passiert natürlich auch bei der szenischen Lesung von „Spatz und Engel“ im Burgtheater. Da wird Sona MacDonald ein „Blaues Engel“-Potpourri, „Frag nicht, warum ich gehe“ oder „Leben ohne Liebe“, singen und Maria Happel „Non, je ne regrette rien“, „Milord“ oder „Chevalier de Paris“.

Auch Dietrich verfiel dem Alkohol. „Uns war wichtig, dass die Informationen in mehreren Quellen aufscheinen und dass sie plausibel sind“, sagt Daniel Große Boymann. „Alles, was wir reingeschrieben haben, halten wir zumindest für möglich.“ Die „ganze Wahrheit“ über die Piaf und die Dietrich findet man in dem soliden Stück also nicht, anderswo allerdings auch nicht. Dazu sind die Erinnerungen der Stars selbst zu unverlässlich.

Edith Piaf wurde 47, Marlene Dietrich 91. Für die Öffentlichkeit war sie schon viel früher gestorben. Jahrelang lebte sie in ihrer Pariser Wohnung wie in einer Gruft, verließ ihr Bett nicht mehr, abhängig wie Piaf von Alkohol und Medikamenten. Bis zuletzt hatte sie einen Zettel bei sich, auf den Piaf gekritzelt hatte: „Marlene, vergiss nie, dass ich dich liebe.“

„Spatz und Engel“: 17., 18. September, 29. Oktober, 20 Uhr, Burgtheater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.