"Gravity": Bullocks Überlebenskampf-Ballett

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Alfonso Cuaróns 3-D-Weltraumfilm besticht durch unerreichten Realismus, erzeugt mit fast völlig künstlichen Mitteln. Eine atemberaubende Erfahrung. Ab Freitag im Kino.

To boldly go where no man has gone before“: Der berühmte Satz aus dem Vorspann der originalen „Star Trek“-Serie könnte auch als Motto der Weltraummission des mexikanischen Regisseurs Alfonso Cuarón dienen. In Interviews hat er das Ziel seines Films „Gravity“ so erklärt: Er solle wirken wie eine Discovery-Channel-Dokumentation, bei der plötzlich etwas schiefgeht. Die atemberaubende erste Einstellung seines Abenteuers im All führt in 13 Minuten ohne Schnitt von einer Routine-Reparatur im Weltraum zur Katastrophe: Drei Astronauten gleiten um das Hubble-Teleskop, die Kamera durchmisst in verblüffenden, entfesselten Kreiseln die unendlichen Weiten zwischen menschlichen und Himmelskörpern.

Es ist die erste Mission der Ingenieurin Ryan Stone (Sandra Bullock) – und die letzte des Veteranen Matt Kowalsky (George Clooney), der anfangs noch sorglos scherzt. Doch den dritten Astronauten wird man nur mehr als Leiche zu sehen bekommen: Während Stone an der defekten Apparatur hantiert, kommt eine Alarmmeldung: Die Trümmer eines Satelliten rasen auf das Team zu, zerstören dessen Shuttle sowie das Teleskop und unterbrechen den Kontakt zur Erde. Durch ein Kabel zusammengehalten – die Nabelschnur des Überlebens – versuchen die beiden Überlebenden zur nahen Internationalen Raumstation (ISS) zu gelangen.

Die paradoxe und aufregende Sensation von „Gravity“ verdankt sich einem unerreichten Realismus, der mit fast völlig künstlichen Mitteln erzielt wurde. Cuarón und sein Kameramann Emmanuel Lubezki verblüfften schon 2006 beim (sehr irdischen) Science-Fiction-Film „Children of Men“ mit außergewöhnlich langen, beeindruckend choreografierten Kameraeinstellungen. Sieben Jahre mussten sie warten, bis die Digitaltechnik reif für dieses Projekt war, um ein glaubhaftes Weltall zu animieren, in das die Darsteller anschließend eingefügt wurden: Der Mangel an Gewicht, der bei computergenerierten Bildern oft spürbar ist, erweist sich dabei als ideal für die Darstellung eines schwerelosen Raums. Der unaufdringliche, effektive Einsatz von 3-D macht „Gravity“ zudem zu einem des halben Dutzends an Digitalfilmen, bei denen sich die dritte Dimension auch lohnt.

Eigentlich kein Science-Fiction-Film

„Gravity“ mischt zwar souverän Science und Fiction, ist aber eigentlich kein Science-Fiction-Film – er gehört zu einem kleinen, faszinierenden Subgenre des Weltraumkinos, das hauptsächlich aus historischen Raumfahrtprogramm-Abenteuern wie „Apollo 13“ und „Der Stoff aus dem die Helden sind“ besteht. (Ed Harris, ein Hauptdarsteller beider Filme, leiht bei Cuarón als Tribut Mission Control in Houston die Stimme.) Der nächste Verwandte von „Gravity“ ist John Sturges' Film „Verschollen im Weltraum“ von 1969, der die Apollo-13-Rettungsaktion vorwegnahm.

Auch Cuarón setzt auf quasidokumentarischen Hintergrund, erst die Glaubhaftigkeit und Gegenwärtigkeit der wissenschaftlichen und technischen Details verankert das mitreißende, teils extravagante Überlebenskampf-Ballett: Einmal schlüpft die schwerelose Kamera in den Helm der Astronautin, nimmt kurz ihre Perspektive ein und treibt wieder hinaus – wieder ohne Schnitt. Fast ohne Atempause wird die unerfahrene Heldin mit Herausforderungen konfrontiert: Bullock darf in einer ungewöhnlichen und ungewöhnlich herausfordernden Rolle brillieren, während Clooney eher sein übliches Cooler-Schorsch-Ding durchzieht – insofern vielleicht ein Vorteil, dass er hauptsächlich auf der Tonspur via Funksager agiert.

Anders als Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ – der Markstein-Film für Weltraum-Realismus, den Cuarón hier in vieler Hinsicht erfolgreich zu übertreffen sucht – verzichtet „Gravity“ auf philosophische oder gar metaphysische Spekulationen. Wie in Andrei Tarkowskis Science-Fiction-Meilenstein „Solaris“ gibt es aber ein Gespür für symbolische Bilder: von der Nabelschnur bis zu Stones Fötalposition in einem ersten, trügerischen Moment der Ruhe. Außer einer überfrachteten Vorgeschichte zu Stones Motivation setzt Cuarón auf eine elegant verknappte Dramaturgie, die ständige Spannung erzeugt und nebenbei auch etwas ganz Ungewöhnliches ist im heutigen Hollywood-Kino: ein Arbeitsplatz-Film. Vom Überleben– das macht „Gravity“ sehr zeitgemäß. Und dass die verdichtete Geschichte eine Laufzeit von nur 90 Minuten beansprucht, gibt Cuaróns Film in der Ära überlanger Blockbuster doch die Aura eines utopischen Vorschlags.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2013)

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