Kurt Palm: "Die Wirklichkeit ist immer schlimmer"

Die Presse (Fabry)
  • Drucken

Diese Woche läuft die Verfilmung von "Bad Fucking" an. Kurt Palm erzählt über die Wurzeln seines preisgekrönten Buchs – im oberösterreichischen Biotop und als (abgelehnte) ORF-Serie. Dass sein anarchistischer Krimi voller Austriazismen auch in Deutschland so erfolgreich war, überrascht den Autor selbst.

Ihr Buch „Bad Fucking“ spielt an einem fiktiven Ort, aber die oberösterreichische Inspiration dafür ist offensichtlich. Als gebürtigen Hausruckviertler freut es mich, dass Sie offenbar auf einer Mission sind, jene drei Orte zu würdigen, die das sogenannte „oberösterreichische Schamdreieck“ bilden: Mösendorf kam ja in Ihrem Mozart-Film „Der Wadenmesser“ prominent vor, nun haben Sie Fucking die Ehre erwiesen. Folgt jetzt noch ein Projekt zur dritten Gemeinde mit dem schönen Namen Petting?

Kurt Palm: Das wäre natürlich die Krönung! Und es gibt noch Orte wie Weibern und Zipf, da ist noch einiges aufzuholen. Aber im Prinzip passt das so jetzt. Bis auf Weiteres natürlich... Aber mein Roman ist schon eine genuin oberösterreichische Geschichte. Ohne dieses Biotop, aus dem ich komme, hätte ich das nie schreiben können. Als Wiener wäre so etwas nicht gegangen.

Wie kamen Sie überhaupt darauf, einen Krimi zu schreiben? Das hätte man von Kurt Palm ja nicht unbedingt erwartet...

Das war so gar nicht mein Konzept, mir gefällt auch die Lösung bei der Rowohlt-Taschenbuchausgabe, wo „Kein Alpen-Krimi“ draufsteht. Beim Lesen fragt man sich ab einem bestimmten Zeitpunkt schon: Wo ist da der Krimi?

Ja, es beginnt zwar mit einer Leiche, aber dieser Mord rückt in den Hintergrund.

Das war schon Absicht: Dass sich der Krimi selber auffrisst und ad absurdum führt. Am Schluss ist dieser Mord nicht wirklich aufgelöst. Auch ein wenig als Hohn auf den klassischen Krimi, wo ein Mord passiert und aufgeklärt wird.

Die Spannungssteigerung funktioniert aber in Thrillermanier, mit vielen Figuren und Handlungssträngen, angefangen oben beim Bürgermeister, der das Gemeindegeld verspekuliert hat. Aber eigentlich geht es darum, wie alles im Sumpf der Körpersäfte versinkt – bis zur Apokalypse!

Tatsächlich habe ich diesen Stoff schon Ende der 1990er-Jahre entwickelt, als Serie für den ORF, der aber damit nichts anfangen konnte – einer von vielen Fällen, wo ich beim ORF auf Ablehnung gestoßen bin, was irgendwie ja auch kein Wunder ist. Darum gibt es diese Massen von Charakteren im Roman. Eine Inspiration damals war die Lektüre von Hans Leberts „Die Wolfshaut“: So ein abgeschiedener Ort...

An dem sich alles Schreckliche verdichtet?

Genau! Und mit einem sprechenden Namen: Schweigen bei Lebert, bei mir eben Bad Fucking, ein ehemaliger Kur- und Tourismusort. Das reale Vorbild war Bad Gastein, da war ich viele Jahre vorher. Diese heruntergekommenen Hotels, wo man schon merkte, welche kriminellen Energien dort herrschten! Es gab einen kürzlich verstorbenen Immobilienhai, der dort Dutzende Objekte gekauft hat und verfallen hat lassen. So absurd diese Geschichten klingen mögen – auch die Nebenhandlung um die Innenministerin und Bauunternehmerin: Die sind schon sehr nahe an der Realität. Und wie wir wissen ist die Wirklichkeit immer schlimmer als alle Übertreibungen der Literatur!

Die offensichtlich an Maria Fekter angelehnte Innenministerin kann aber erst später dazugekommen sein. Warum hat es überhaupt bis 2010 gedauert, dass Sie aus dem Stoff ein Buch gemacht haben?

Das ist eben eines der Mysterien der künstlerischen Produktion. Beim Entwerfen der Serie habe ich komischerweise nie daran gedacht, dass das als Roman funktionieren könnte und habe es weggelegt. Aber vor vier, fünf Jahren kam der Lektor des Residenz-Verlags zu mir und fragte, ob ich nicht eine Grillparzer-Biografie schreiben möchte. Ich meinte nur: „Das interessiert mich überhaupt nicht!“ Aber ich schlug vor, ich könnte einen Krimi schreiben, über Bad Fucking, da hätte ich noch was. Im Grunde habe ich es dann aber neu geschrieben, das sieht man an Aktualisierungen wie der Innenministerin und anderen Gags wie dem Festival namens „Prölliade“.

Es gibt ja eine Krimitradition, in der gesellschaftssatirische Aspekte wichtig sind. Und eine anarchistische Linie, für die etwa er Franzose Jean-Patrick Manchette steht. Ist „Bad Fucking“ Ihr kommunistischer Krimi?

Nein, es gibt vielleicht ein paar Anklänge. Aber anarchistisch ist er schon! Auch eben in der Auflösung. Ob so was dann funktioniert, weiß man aber immer erst am Ende. Der Verkaufserfolg des Buchs hat mich doch überrascht.

Steckbrief

1955 kommt Kurt Palm im oberösterreichischen Vöcklabruck zur Welt.
1981 schließt Palm sein Germanistikstudium mit einer Dissertation über Brecht und Österreich ab. Im Jahr darauf beginnt er seine Karriere als „Autor, Regisseur und Volksbildner“.
1984 Erste Inszenierung in der Szene Salzburg: „Ella“ von Herbert Achternbusch.
1989 Palms Theatergruppe „Sparverein Die Unzertrennlichen“ wird in Wien gegründet und tritt eine Dekade lang regelmäßig auf.
1994 Mit „Phettbergs nette Leit Show“ produziert Palm zwei Jahre lang eine TV-Kultsendung.
1997 Palms erste Filmregie: „In Schwimmen-Zwei-Vögel“ nach Flann O'Brien. Bis 2007 folgen Filme über Stifter, Mozart und Phettberg. Ein Kafka-Film kommt 2014.
2011 Palm erhält den Friedrich-Glauser-Preis für seinen Krimi „Bad Fucking“. Er hat auch originelle Bücher u. a. über James Joyce, Mozart oder das Spiel Österreich-Schweiz 1954 verfasst.

Auch, dass Sie die renommierteste Krimi-Auszeichnung im deutschen Sprachraum erhalten haben? Den Friedrich-Glauser-Preis?

Total! „Bad Fucking“ enthält ja so viele Austriazismen, das versteht doch in Deutschland kein Mensch!

Dort empfindet man das dann vielleicht einfach als reizvollen Sprachbarock.

Beim Rowohlt-Verlag sagte ich auch: „Das versteht doch bei euch keiner!“ Aber es hieß: „Darum geht's nicht!“ Denn man versteht die Typen. Bei der „Prölliade“ weiß man dann trotzdem, worum es geht, auch wenn einem der Begriff nichts sagt. Interessanterweise hat sich das Buch vor allem im ehemaligen Ostdeutschland sehr gut verkauft, das hat auch Rowohlt überrascht. Auf vielen Lesetouren durch Deutschland hab' ich immer ein bisschen was erklärt. Wie die Romanfigur namens Besamer: In Oberösterreich weiß jeder, das kommt von Asamer. Aber in Deutschland? Die betonen Besamer ja auf der zweiten Silbe, da sind wir gleich bei Besamungsstationen für die Viecher, wie bei der Einfahrt nach Ried, da ist gleich ein Schild: „Besamungsstation“. Wenn man so etwas erklärt, freun sich die Leut. Das hat mich sehr bestätigt in meiner Arbeit. Beim Schreiben habe ich ja an Deutschland keinen Gedanken verschwendet, ich meinte, das wird nur was für Österreich und Bayern. In der Glauser-Preisrede habe ich gesagt: „Hätte ich daran gedacht, dass ich für diesen Preis nominiert werden könnte, dann hätte ich vielleicht die Austriazismen herausgenommen oder abgemildert – aber dann wäre ich nicht nominiert worden!“ Da darf man sich nicht zu sehr um den Markt und diese Mechanismen kümmern...

Ihr Ort Bad Fucking steckt in einer Art Zeitloch: Es gibt sogar noch die Gendarmerie und einen Laden der A&O-Kette – aber keinen Empfang für Handy und Internet!

Das war mir wichtig: Ich wollte einen Ort schaffen, der einerseits total prototypisch ist, aber andererseits wie aus der Geografie und der Zeit herausgefallen. Und vor allem wollte ich verhindern, dass auf jeder zweiten Seite irgendwer zum Handy greift. Das hasse ich wie die Pest! Nicht nur im alltäglichen Leben, das ist eine andere Geschichte, aber Kommunikation im zeitgenössischen Roman! Nur E-Mails und Handygespräche zu beschreiben... Da dachte ich mir, ich muss eine Möglichkeit finden, das im wahrsten Sinn des Wortes auszuschalten. Und es gibt oder gab jedenfalls Orte, wo man jahrelang keinen Handyempfang hatte.

Jetzt hat Harald Sicheritz Ihren Roman verfilmt. Sie haben ja selbst viel adaptiert: Wie fühlt es sich auf der anderen Seite an?

Ich habe zu Harald Sicheritz gesagt, dass ich nicht dreinreden werde und alles akzeptiere, was er schreibt. Doch ich habe die Drehbuchfassungen gelesen und fand sie okay bis auf einige Einschränkungen, die aber logisch waren. Doch fällt es mir natürlich schwer, objektiv zu urteilen, vor allem, weil ich die Figuren kenne und ihren Werdegang. Ich bin ja keiner dieser Autoren, die einen Roman vorab durchkonzipieren und skizzieren, sondern ich arbeite intuitiv. Ich fange mit ein paar Ideen an und dann treten die Figuren in einen Dialog mit mir: Sie haben Wünsche und wehren sich gegen bestimmte Entwicklungen oder biografische Zuweisungen. Sie führen auch ein Eigenleben. 2011 habe ich aus „Bad Fucking“ ein Theaterstück gemacht, da ist noch ein Schritt dazugekommen: Als ich die Figuren in den Bühnenraum stellte, haben sie sich nochmal verändert. Bei Sicheritz bin ich mit völlig anderen Figuren konfrontiert: Sie kommen aus seinen Ideen und entwickeln wieder ein Eigenleben, auch in der Besetzung etwa mit Adele Neuhauser oder Wolfgang Böck als Bürgermeister – genau der richtige Typ! Aber ich kenne die Figuren, und die Verfilmung ist ja eigentlich vor allem für Leute, die das Buch gar nicht kennen.

Lustig fand ich, dass im Film gleich anfangs die „Bad Fucking“-Ortstafeln von Touristen gestohlen werden. Dass englischsprachige Durchreisende die Fucking-Schilder entwenden, ist ja in Oberösterreich legendär!

Ja, ein Mythos, von dem man gar nicht weiß, wie viel daran stimmt. Insofern finde ich das für den Film okay, für den Roman schien es mir etwas zu plakativ.

Aber ein griffiges Bild. Überhaupt muss extrem viel verdichtet werden, Ihr Buch ist ja eigentlich unverfilmbar. Schon wie Sie so viele Figuren miteinander assoziieren: Da denkt man an Ihre Liebe zu Flann O'Brien.

Und das stimmt schon auch. Leute, die meine Hintergründe kennen, finden in „Bad Fucking“ viel wieder: Adalbert Stifter hab ich ein kleines Denkmal gesetzt, Kafka mit dem „Landarzt“...

Und den Aalen von James Joyce!

Man könnte sich gut einen zweiten Film vorstellen, der nur auf die übergangenen Romanfiguren zurückgreift. Aber nachdem es jetzt das Buch, das Theaterstück und die Verfilmung gibt, wäre mein wahrer Traum natürlich, dass noch eine Oper dazukommt: „Welcome to Bad Fucking“. Und die spielt man dann statt dem Neujahrskonzert im Fernsehen und überträgt sie live überall auf dem Erdball!

Die Verfilmung

Am 20. Dezember startet „Bad Fucking“, die Adaption von Kurt Palms Erfolgskrimi durch Harald Sicheritz, bekannt für „Hinterholz 8“ und viele der Wiener „Tatort“-Episoden.

Die Krimikomödie spielt in Bad Fucking, einem Fremdenverkehrsort, der nach einem Felssturz praktisch von der Außenwelt abgeschnitten ist. Die Souvenirladenbesitzerin (Martina Ebm) will weg – durch Erpressung. Im korrupten Ort nichts Ungewöhnliches: Der Bürgermeister (Wolfgang Böck) hat das Gemeindegeld verspekuliert, zur Rettung plant er mit der Innenministerin (Adele Neuhauser) den Bau eines Asylantenheims. Der Gendarm (Thomas Stipsits, im Bild) erwartet indes die Ankunft der rettenden Aale. Ein großer Sturm zieht auf . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Literatur

Abgeklärte Ermittler beim Tod in der Provinz

Einige der schönsten Fälle in Kriminalromanen ereignen sich in ländlichen Idyllen. Eine kleine Auswahl.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.