"Das große Heft": Kinder, Krieg, Kunsthandwerk

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Trotz Handlungstreue scheitert die Verfilmung von Ágota Kristófs Buch: Ihr meisterhaft reduzierter Stil eignet sich nicht für konventionelle Dramatisierung. Im Kino.

Zwei Kinder im Krieg: Die Bomben fallen auf die Städte, die Mutter bringt ihre Zwillinge zur Großmutter an die Grenze auf das Land. Die einsame alte Frau wird im Dorf nur „die Hexe“ genannt, sie nennt ihre Enkel „Hundesöhne“ und zwingt sie zur Arbeit auf ihrem Bauernhof. „Lernen fürs Leben“ hat man ihnen in der Schule noch beigebracht, aber die wurde geschlossen, als die Bomben kamen. Die Zwillinge beherzigen die Devise jedoch weiterhin: Was sie erleben, schreiben sie auf, möglichst objektiv – so mitleidlos wie die Welt, in der sie leben, und in der Tod und Grausamkeit und Perversion regieren. Moral ist keine Kategorie mehr. „Um zu entscheiden, ob es ,Gut‘ oder ,Nicht gut‘ ist, haben wir eine sehr einfache Regel: Der Aufsatz muss wahr sein. Wir müssen beschreiben, was ist, was wir sehen, was wir hören, was wir machen“, schreiben die beiden Buben in ihr großes Heft.

„Das große Heft“ hieß auch der Roman, mit dem die aus Ungarn stammende Autorin Ágota Kristóf (1935–2011) schlagartig berühmt wurde. 1956 war sie aus ihrem Land geflohen – wie die Zwillinge ihres Buchs hatte sie dort das Kriegsende bei ihrer Großmutter erlebt. Sie fand eine neue Heimat in der französischsprachigen Schweiz (und schrieb auf Französisch). Das Genie ihres Romandebüts „Das große Heft“ lag im Stil: Er blieb konsequent lapidar, egal, wie schrecklich die Dinge waren, die geschildert wurden – die knappen Kapitel gaben sich als die Aufsätze zu erkennen, die von den Zwillingen in ihr großes Heft geschrieben wurden.

Erinnert an Hanekes „Weißes Band“

„Übungen zur Abhärtung des Körpers“ heißt ein frühes Kapitel: Da schlagen sich die Buben gegenseitig, um Angst und Schmerz zu überwinden und der brutalen Welt gewachsen zu sein. Dieselbe Härte prägt das Buch, weil es kommentarlos registriert: das trockene Protokoll einer Verrohung, dem aber bewegenderweise nichts (Un-)Menschliches fremd ist. Kristóf vollendete den „behavioristischen“ Stil, mit dem ab den Zwischenkriegsjahren die großen Krimis von Dashiell Hammet und anderen die Korruption der Gesellschaft abbildeten – noch reduzierter und aus (unheimlicher) Kinderperspektive.

Das schreit in seiner Klarheit zugleich nach einer Verfilmung – jede Szene des Textes ersteht fotografisch vor den Augen des Lesers – und sperrt sich doch dagegen: Denn für eine entsprechend reduzierte, objektive Bildsprache bräuchte es einen Meisterasketen wie Robert Bresson. Der Ungar János Szász, der nun „Das große Heft“ (mit Austro-Beteiligung) verfilmt hat, geht dagegen konventionell vor: Er hält sich zwar eng an die Vorlage, aber dramatisiert die Ereignisse (es gibt sogar ein paar barocke Stilschnörkel wie Animationen des Heftes).

Das kann man als Kunsthandwerk schätzen – als eine Art Erweiterung von Hanekes Seelenvergiftungsstudie „Das weiße Band“, mit noch mehr Determinismus und in Farbe. Die kunstvoll komponierende Kamera führte auch wieder der Österreicher Christian Berger. Doch an Kristófs Roman ist Szász dabei völlig gescheitert: Dessen Kunst war es, ganz spezifisch und zugleich universal zu sein. Im Film ist das Schicksal der Zwillinge einfach eines unter vielen – und weniger zwingend als erzwungen. Der nächste Adaptionsanlauf kommt am 14.3.: Da gibt es „Das große Heft“ als Tanzstück im Burgtheater-Kasino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2014)

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