Kritik Film: Die wieder gefundene Erinnerung

Ein ernsthafter Agententhriller als hyperaktiver Action-Wettlauf: "The Bourne Supremacy", einer der besseren Genre-Filme des Jahres.

Es geht einfach los, mittendrin; die Bilder des Spezialeinsatzes sind ver wackelt, Überblendungen verleihen ihnen einen (alp)traumgleichen Charakter, eine herrische Stimme wiederholt: "This is not a drill, soldier! This is a live project! The drill is over!" The Bourne Supremacy beginnt mit einem Ernstfall, das ist nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist, dass sich der Film durchwegs diesem dringlichen Ernst verschreibt. Sogar die action bleibt frei vom vorherrschenden Zwang zum Digitalen, man hat es, mittlerweile selten genug, im eigentlichen Wortsinn mit Handlungen zu tun, mit spürbar handgreiflichen Taten, die unmittelbare Konsequenzen zeitigen, nicht mit digitalisierten Schatten, die durch Computersimulationen huschen. Ein live project, wortwörtlich.

Die Fortsetzung von The Bourne Identity verliert keine Zeit mit unnötigen Erklärungen, widmet sich den Dingen in medias res (insofern ist es auch völlig egal, ob man den Vorgängerfilm kennt): Jason Bourne (Matt Damon), ehemaliger CIA-Elite-Söldner mit Amnesie und dem eigenen Geheimdienst auf den Fersen, wird in seinem Zufluchtsort Goa aufgespürt. Beim Anschlag, der ihm gilt, wird seine Begleiterin (Franka Potente) ausgeschaltet, ihm bleibt nur die Rückkehr in ein unwirtliches, graues Europa, wo wieder ein undurchsichtiges Katz-und-Maus-Spiel zwischen Agenten und Killern abläuft.

Dabei wird zwar nichts verhandelt, was man nicht schon aus den Romanen John Le Carr©s zur Genüge kennen würde (insbesondere Brian Cox als zwielichtige CIA-Größe verleiht seiner Figur ein Schillern, das den psychologischen Entwürfen des britischen Schriftstellers nahe kommt), aber im derzeitigen Mainstream-Film ist das Beharren auf effektiver Charakter-Stenografie und jeglicher Redundanz entledigter Handlungsführung, gebunden an ein schnörkelloses, packendes Inszenierungskonzept, eine höchst willkommene Ausnahme.

Paul Greengrass, der den Regiestuhl von Doug Liman übernommen hat, war zuletzt mit Bloody Sunday, der bei den Filmfestspielen Berlin 2002 mit dem "Goldenen Bären ausgezeichneten" v©rit©-Reinszenierung eines Nordirland-Massakers, aufgefallen: In The Bourne Supremacy greift er wieder auf deren kantigen, atemlosen Handkamera-Stil zurück. Der Schnitt ist zwar, recht zeitgemäß, etwas zu hyperaktiv geraten, aber die Handlungsabläufe und Schauplätze bleiben dennoch gut fassbar, auch wenn sie von einem nervösen Puls durchdrungen werden: Greengrass gelingt es damit, die (genretypisch) konstruierteren Volten und überhöhten Aktionen des Drehbuchs erstaunlich bodenständig umzusetzen. (Nicht nur) eine lange Verfolgungsjagd durch Berlin mit eiligen S-Bahn-Wechsel-Täuschungsmanövern, dafür ohne unnötige verbale Ausführungen, ist ein Musterbeispiel an filmischer Exposition.

Die formalen Qualitäten des Films sind unabdingbar für das Funktionieren seiner kaum originellen, aber einnehmend knapp und sicher ausgeführten Themenpalette: Geheimdienste sind ein schmutziges Geschäft (die Gewalt hier ist roh, schäbig und glaubwürdig, die Charaktere sind korrumpiert, aber sie besitzen tatsächliche Ambivalenz), Moral ist ein Luxus und die wiedergefundene Erinnerung bietet nicht notwendigerweise die Erlösung, die man sich erhofft. Das enorme, gehetzte Tempo des Films ist sein eigentliches Thema: Bournes Persönlichkeit definiert sich mangels einer greifbarer Vergangenheit nur über seine Handlungen, die meistens auf eine pure (Flucht-)Bewegung hinauslaufen. Bourne sieht, folgert und agiert. Und dann ist der Film plötzlich aus, fast noch mittendrin.

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