Filmvestival Venedig: Sex, Krieg und der Idioten-Wind

Filmfest
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„I'm Not There“: ein Film über Bob Dylan, der dem Meister gerecht wird. Dazu aufregende Alterswerke von Julio Bressane und Claude Chabrol.

Ob seiner angegriffenen Gesundheit könne er leider nicht kommen, um seinen Wettbewerbsfilm L'amours d'Astrée et Céladon vorzustellen, bedauert der französische Regie-Altmeister Eric Rohmer in einem Brief an Filmmostra-Direktor Marco Müller. Aber er habe ja ohnehin in Venedig schon so viele Preise bekommen, dass man glauben könnte, er wolle Löwenzüchter werden. Aber vielleicht würde man am Lido den Wind spüren, den er, Rohmer, voller Bewunderung gefilmt habe...

Tatsächlich waren schon viele Winde zu spüren hier: ganz buchstäblich das tosende Unwetter, das in der Nacht auf Dienstag seine Spuren am Festivalgelände hinterlassen hat, aber auch Stürme der Wut, etwa in Brian De Palmas Irak-Attacke Redacted.

Auch im (nach den Arbeiten von Ang Lee, De Palma und Rohmer) vierten herausragenden Wettbewerbsfilm wird vom Wind gesungen: dem, der die Antworten verweht, und dem, der die Idioten bläht. Todd Haynes nähert sich mit I'm Not There der Legende Bob Dylan. Seine Collage versucht erst gar nicht, den Sänger biografisch aufzuschlüsseln oder gar zu erklären, benutzt vielmehr Elemente aus Dylans Leben und Werk für ein Kunstfiguren-Kaleidoskop, in dem sich Historie und Haltungen des 20.Jahrhunderts spiegeln. (Vor dem Krieg gibt es auch hier kein Entkommen, selbst als die Protestsong-Phase längst verlassen ist: Vietnam läuft immer im TV.)

Woody, Billy (the Kid), (Mighty) Quinn

Ganz im Sinne des Titelsongs – eines der geheimnisvollsten Werke Dylans, nie offiziell erschienen, mit seinen unfertig wirkenden Textzeilen weniger ein Song als ein Sog: Dylans Essenz in hypnotischer Trance – ist Dylan hier nie ganz zu fassen und nicht einer, sondern viele. Etwa ein elfjähriger schwarzer Junge, der sich nach seinem Idol Woody Guthrie nennt. Oder ein Star der Frühsechziger-Folkszene namens Jack Rollins, der untertaucht und nach anderthalb Dekaden als Rockprediger Pastor John wiederkehrt. Oder ein ganz aus der Welt geflohener, in eine Halloween-Westernstadt namens Riddle) abgetauchter Westernheld namens Billy (the Kid), gespielt von Richard Gere.

Den größten Teil bestreitet Cate Blanchett mit wirrer Frisur und brillant gesetzten Affektierungen: Ihr mächtige(r) Quinn ist der (am ehesten „wirklich“ verankerte) Dylan der Don't-Look-Back-Phase, dessen „Verrat“ am Folkethos mit elektrifizierter Gitarre beim Newport-Festival-Auftritt durch ein blitzartiges Auftreten mit Maschinengewehren symbolisiert wird („This Guitar Kills Fascists“ stand auf Woody Guthries Instrumentenkoffer). Bald danach sagt sie den Beatles leise Sayonara und wirft massig Tabletten ein sowie verblüfften Journalisten nihilistische Wortspiele um die Ohren.

Mit den Dylan-Interpretationen mutiert bei Haynes auch immer wieder die Form seines Films, der von unbändigem Ideenreichtum vorwärtsgetrieben wird: Wie Dylan selbst suggeriert Haynes und springt von Witz zu Wahn, von Politik und Gesellschaft zu Poesie und Geniekult, alles mehrfach gebrochen, kritisch und ironisch – ein epischer Entwurf, der seines Subjekts würdig ist. Das taucht zuletzt doch noch höchstpersönlich auf, in Großaufnahme: Dokumentarbilder eines Mundharmonikasolos, verklingend.

Bressane: Cleopatra im Fiebertraum

So viel Freiheit und Einfallsreichtum zeigen in Venedig derzeit nur die Altmeister – in einer Sektion außer Konkurrenz. Allen voran der brasilianische Experimentator Julio Bressane mit Cléopatra, einer irisierenden Interpretation der Mythen um die ägyptische Königin, in der jeder Schnitt die Gewalt eines Naturereignisses hat. Auch Bressane arbeitet mit einer poetischen Collagetechnik, aber – im Gegensatz zu Haynes – mit geringsten finanziellen Mitteln: Es genügt für einen kulturhistorischen Fiebertraum vor wild wogender Meeresbrandung, in oft psychedelisch ausgeleuchteten, knappen Palastdekors, mit portugiesischen Wortkaskaden und an alte Kunstwerke angelehnte Figurentableaus. Und auch hier wieder die großen Themen, die das heurige Festival prägen: Sex und Krieg.

Sex ist auch die Triebfeder von Claude Chabrols Krimisatire La fille coupée en deux – für das Bekriegen sorgt die Bourgeoisie bei ihm ohnehin von selbst, bis in den quietschvergnügten Untergang: Dem großen alten Spitzbuben ist sein bestes Schelmenstück seit Jahren gelungen. Ludivine Sagnier gibt die Titelheldin, entzweigeschnitten zwischen jungem Schnösel (Benoît Magimel) und Lebemann (François Berléand), der sie mit Altherren-Zynismus sexuell korrumpiert. Chabrol inszeniert die luxuriösen Abgründe mit genießerischer Detailfreude, in herrlichem Gegensatz zu seiner Verachtung für die Großkotzigkeit und den Kleinmut der Figuren. Das selbst ein wenig perverse Vergnügen eines Freigeists – Dylans Hohnlied vom „Idiot Wind“ gar nicht so fern. Siehe „Im Sucher“, S. 35

GALAS: Pitt lacht, Scott flucht

„Brad you're the greatest“, stand auf den Pappschildern, mit der sich schon frühmorgens Buben für die Abendgala des Westerns „The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford“ vor dem Filmpalast am Lido aufstellten. Dessen Star Brad Pitt zeigte sich dann nicht nur am roten Teppich bester Dinge. Sein Koprodu- zent Ridley Scott, der auch einen „Final Cut“ seines „Blade Runner“ vorstellte, fluchte dagegen wegen Hollywood: „Früher war das Verhältnis zwischen guten und blöden Filmen 50:50, jetzt sind 97% dumm.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2007)

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