David Cronenberg: Zufriedene Mafiosi

ap
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Im Thriller „Tödliche Versprechen“ wendet sich David Cronenberg, kanadischer Meisterregisseur mit Hang zum Ungewöhnlichen, Londons Russenmafia zu: Ein Gespräch über (s)eine Art von Weihnachtsfilm.

Mangel an Originalität und Wagemut war noch nie das Problem des Regisseurs David Cronenberg, auch wenn der stets korrekte Kanadier auf den ersten Blick eher wie ein Facharzt wirken mag. Seine Karriere hingegen mutet auf den ersten Blick eigenwillig und unklassifizierbar an, aber bei aller Unterschiedlichkeit der Sujets ist seine Handschrift unverwechselbar geblieben. Als Stilist neigt Cronenberg zum kühlen, fast wissenschaftlichen Blick, dennoch eignet seinen Bildern stets etwas Unheimliches, Unwirkliches an – ein intensives Verstörungspotenzial: Das gilt für seine frühen, prägenden Horrorfilme von mutierenden Körpern und Seelen in den 1970ern und 80ern (Shivers, Scanners, Videodrome, Die Fliege, Dead Ringers) ebenso wie für die ungewöhnlichen Literaturadaptionen der 90er (Naked Lunch, Crash). Zuletzt überraschte der 64-Jährige mit intelligent doppelbödigen Mainstream-Genrefilmen.

Im ambivalenten Actionthriller A History of Violence inszenierte Cronenberg 2005 Viggo Mortensen als US-Normalbürger, der in idyllischer Provinz von der verdrängten Mordvergangenheit eingeholt wird. Der seelenverwandte London-Krimi Tödliche Versprechen führt das Erfolgsduo wieder zusammen: Gemäß dem ironischen Originaltitel Eastern Promises geht die Reise diesmal zur Russenmafia. Das Tagebuch einer Toten führt eine Hebamme (Naomi Watts) zu Weihnachten in ein kriminelles Zwischenreich: Die Plüschfassade eines russischen Restaurants verbirgt das Hauptquartier der russischen Gangster-Bruderschaft vory v zakone, der joviale Lokalbesitzer (Armin Müller-Stahl) betreibt auch Mädchenhandel. Ihm und seinem unnützen Sohn (Vincent Cassel) dient die Schlüsselfigur des Films als rechte Hand: Viggo Mortensens mysteriöses Faktotum hat einiges zu verbergen – auch wenn die Tätowierungen auf seinem Körper nach Bruderschaftssitte seine ganz persönliche history of violence erzählen.

Gutes Kino-Karma. Diese Tätowierungen wirken wie erfunden vom einstigen Pionier des Body Horror-Genres, aber Cronenberg winkt lächelnd ab: Er suche seine Stoffe doch nicht danach aus, ob sie ins Gesamtwerk passen. In der ersten Drehbuchfassung wurden die Tattoos nur am Rande erwähnt, erst bei der Recherche ergab sich mehr: „Wenn man gutes Kino-Karma hat, fliegt einem so etwas zu. Viggo brachte diese fantastische ,Russian Criminal Tattoo Encyclopedia‘ und wir entdeckten den Dokumentarfilm The Mark of Cain über diese Tätowierungs-Subkultur, die sich seit der Zarenzeit in russischen Gefängnissen entwickelte: Dein Tattoo ist wie ein in den Körper eingeschriebener Pass, und dient zur Identifikation von Freund und Feind.“

Die Intimität der Messerstecherei

So einfache Einteilungen gibt es bei Cronenberg nicht: Doppelbödigkeit ist sein Metier. Den Namen von Mortensens Figur hat er, wie es sich für einen Literaturliebhaber geziemt, beim Schachspielerroman „Lushins Verteidigung“ von Vladimir Nabokov geborgt: „Da bediene ich mich bei seinem wunderbaren Wortspiel: Luzhin auf Englisch klingt ja fast wie Illusion, das betont nochmal das Ungreifbare der Figur.“ Deren (Weihnachts-)Geschichte hat einerseits starke Parallelen zur Passion – „die Resonanz ist da“, sagt Cronenberg, „aber es bleibt in der Schwebe“; andererseits liefert sich Luzhin in einer der besten Actionszenen der letzten Jahre eine brutale Messerstecherei im Türkischen Bad. „Die blutüberströmten Tattoos betonen den rituellen Aspekt. Mit dem Eintritt in die Bruderschaft hat er ja sein ganzes bisheriges Leben hinter sich gelassen, Land und Familie: Das hat religiöse Obertöne und viel Emotion. Aber der Alltag des Verbrecherlebens hat nichts mit dieser Spiritualität zu tun: Er ist körperlich, gewalttätig, sehr strapaziös. Und intim! Es ist doch sehr intim, jemand mit dem Messer umzubringen. Die Szene ist wohl deshalb so stark, weil der Kontrast zwischen krimineller Wirklichkeit und den spirituellen Ideen am heftigsten hervortritt.“

Tipp

Die kriminelle Wirklichkeit habe man gut getroffen, merkt Cronenberg noch befriedigt an, bevor er sich zu einem nahezu nostalgischen Nachsatz hinreißen lässt: „Freunde, die einschlägige Chat Rooms frequentieren, haben mir ausgerichtet, dass die russischen Mafiosi sehr zufrieden damit sind, wie wir sie darstellen: Die legen Wert auf Akkuratesse, und haben vor allem gelobt, dass wir die Tätowierungen korrekt zeigen. Damit auch eine aussterbende Kultur: Die vory v zakone-Bruderschaft wird ja von der neuen Welle russischer Krimineller verdrängt, die sind vom postsowjetischen Kapitalismus geprägt und pfeifen auf den alten Ehrenkodex. In The Mark of Cain erzählt ein 70-Jähriger, der den Großteil seines Lebens im Gefängnis verbrachte, dass er die Gefangenen nicht versteht, die sich nur aus Modegründen tätowieren lassen, ohne die Tattoos verdient und ihre Bedeutung erlernt zu haben: Da klagt eine Generation über ihr Verschwinden.“ Tödliche Versprechen – Eastern Promises ab 27.12. im Kino

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