Berlinale-Eröffnung: Wenn der Mond zur Zunge wird

(c) AP (Kevin Mazur)
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Zum Start am Donnerstag lief Martin Scorseses „Shine a Light“: ein Rolling-Stones-Fanfilm.

"Okay". Gut genug für eine Berlinale-Eröffnung, aber ist das die Reaktion, die man sich von einem Film von Martin Scorsese über die Rolling Stones erhofft? Ein Schulterzucken, ein kleines „Wow“ für die körperliche Verfassung der Altrocker: Genügt das für einen Konzertfilm von einem der prägenden Regisseure des US-Kinos, reicht das für eine Show dieser ikonischen Gruppe? Vielleicht.

Scorsese verstand schon in seinen Spielfilmen immer hervorragend, die Bilder in Rhythmus und Inhalt an Musik zu koppeln (die oft von den Stones kam): Im New-York-Krimi Hexenkessel ließ er Robert DeNiro zu „Jumpin' Jack Flash“ untergehen, im Oscar-gekrönten Epos The Departed marschierte Jack Nicholson zu „Gimme Shelter“ ein.

Mick Jagger droht, Feuer zu fangen

Niemals ist das nur billige Stimmungsmache, immer auch ein Mitverhandeln von Popkultur-Phänomenen: Da passt es, wenn Shine a Light ironisch beginnt. Mick Jagger hockt verwundert, entmachtet vor dem Puppenhausentwurf der bald zu besteigenden Bühne: Scorsese plant den möglichst uneingeschränkten Flug der Kamera. Jagger merkt kurz an, dass doch das Publikum etwas sehen müsse, aber der Regisseur behält die Oberhand. Es geht um Machtkontrolle, um Bilder, Images, Öffentlichkeit, aber vor allem: um einen Film von Martin Scorsese.

Dessen Titel verlangt Mehrfachdeutung. „Shine a Light“ ist ein Song vom erdigen 72er-Stones-Album „Exile on Main Street“, Scorsese hat aber auch über der barock ornamentierten Bühne des New Yorker Beacon Theatre (das gerade ein paar Tausend Leute fasst) gewaltige Scheinwerfer angebracht: Der Inszenator überlässt nichts dem Zufall. Wenn der Scheinwerfer über zwanzig Sekunden auf Mick gelenkt werde, fange der Feuer, sagt ein Techniker. Scorsese: „Das ist schlecht. Ich kann doch die Rolling Stones nicht verbrennen!“ Und lässt weiter leuchten.

Das Resultat ist ein großteils perfekter Konzertfilm von unerhörter Bild- und Tonbrillanz: Jagger, Richards, Watts und Wood surfen viril und lässig durch eine Set-List von „Loving Cup“ (im Duett mit Jack White von The White Stripes) zu „Sympathy for the Devil“. Der Schwerpunkt liegt auf früheren Alben, auch Scorsese kann nicht von der Vergangenheit lassen: Zum Dutzend Kameraleute, das er gleichsam wie ein klassisches Orchester dirigiert, gehört Albert Maysles.

Der dokumentierte (mit Bruder David) 1969 die Stones beim fatalen Hippie-Happening in Altamont für den Konzertfilm-Meilenstein Gimme Shelter. Daneben wirkt Scorseses Arbeit (zu) konventionell, außer in Pro- und Epilog wird nur in der Performance-Ekstase der Band geschwelgt. Am Ende dann wieder ein (von Spezialeffekten gestützter) Scorsese-Schnörkel: Die Kamera rast durch den Backstage-Bereich, stolpert ins Blitzlichtgewitter und fliegt in den Nachthimmel. Dort steht ein unwirklicher Mond, der sich flugs in die Stones-Zunge verwandelt: Shine a Light ist eben ein Fanfilm. Alle anderen werden mit den Schultern zucken und das erwartete „Wow“ durch ein ernüchtertes „Okay“ ersetzen müssen.

BERLINALE: Höhepunkte

Im Berlinale-Wettbewerb sind für das erste Wochenende große Namen anberaumt – etwa: „There Will Be Blood“, Paul Thomas Andersons Oscar-nominiertes Historienepos mit Daniel Day-Lewis, „Julia“, das (englischsprachige) Comeback des Franzosen Eric Zonca mit Tilda Swinton oder die Philip-Roth-Verfilmung „Elegy“ mit Ben Kingsley.

Superstar Madonna und glamouröse Hollywood-Behübschung, etwa durch Natalie Portman oder Scarlett Johansson (zu „The Other Boleyn Girl“), wurden – sowieso außer Konkurrenz – für nächste Woche aufgespart.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2008)

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