"Shine a light": Die Stones-Maschine

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Martin Scorseses Rolling-Stones-Film kommt nächste Woche auch in Österreichs Kinos. Der „Presse“ erklärte der Regisseur, was er an Mick Jagger & Co. so mag – und was sie mit Dionysos zu tun haben.

Die Presse: Wann haben Sie denn die Rolling Stones zum ersten Mal live gesehen?

Martin Scorsese: Ich glaube, das war Anfang der Siebzigerjahre.

Sie können sich also gar nicht mehr genau daran erinnern?

Scorsese: Ich glaube, es war die 72er-Tour, die auch Robert Frank begleitete. Für mich persönlich wurde ja alle Arbeit schon in den 60ern erledigt: Alles was ich damals hörte – auch Musik aus den 30ern, 40ern und 50ern – fütterte ich in meine Filmemacher-Maschine. Das ist der Brunnen, zu dem ich immer wieder zurückkehre. Als ich zum ersten Mal meine Hände an einen Film legte, wollte ich keine Kompromisse eingehen. Daraus wurde Mean Streets; die Musik der Rolling Stones ist darin überall spürbar. Ich wollte mehrere von ihren Songs haben, aber damals konnte ich es mir nicht leisten.

Können Sie sich Ihre Besessenheit von den Stones irgendwie erklären?

Scorsese: Ihre Musik basiert auf dem Blues. Und den liebe ich einfach. Mein Vater und mein Bruder spielten Saiteninstrumente; die Musik von Django Reinhardt ist die erste, an die ich mich wirklich erinnern kann. Die Stones haben Kanten, ihre Texte sind hart und respektlos. Das hat mich an die Gesinnung der Dreigroschenoper von Weill und Brecht erinnert. Ich bin in einem Viertel aufgewachsen, das der Dreigroschenoper sehr ähnlich war.

Die Stones haben ja auch den Ehrgeiz, bestehende Moralvorstellungen herauszufordern.

Scorsese: Ja. Und Sie sind hervorragende Beobachter von Alltagskultur. Wie sie etwa in „Mother's Little Helper“ (1966) davon erzählen, wie all diese Mittelklasse-Vorstadtmütter tablettensüchtig werden. Heutzutage sieht man die Werbung für diese Pillen ganztags im TV, man sieht, wie Schmetterlinge zu einem ins Bett geflogen kommen.

Bevorzugen Sie die Stones oder die Beatles?

Scorsese: Ich kann da keine Vorlieben nennen. Aber ein Großteil der Musik der Stones spricht mich sehr persönlich an. Nicht so sehr Songs wie „Street Fighting Man“, aber definitiv „Tell Me“ und „Jumpin' Jack Flash“. Diese selbstzerstörerische Kraft, das Angeberische und die Trotzigkeit, das mag ich. Das bringt Leben in die Dinge. Und „Sympathy for the Devil“ wird für mich eine ewige Inspiration bleiben.

Haben Sie je überlegt, eine eher klassische Doku über die Rolling Stones zu inszenieren?

Scorsese: Die Geschichte der Rolling Stones zu erzählen würde über fünf Stunden dauern. Und selber würde ich letztlich auch lieber den Auftritt als eine Dokumentation sehen – und damit das, was sie so besonders macht. Das hat eine unheimliche Kraft, und ich bin sehr interessiert am Wesen von Gestaltwandlern, an Leuten, die im Moment auf der Bühne etwas Einzigartiges erschaffen. Das ist überwältigend und ekstatisch. Es führt uns direkt zu unseren Wurzeln, versetzt uns in einen urkräftigen Zustand und führt zu einer urwüchsigen Reaktion. Das schließt an die Antike, an Griechenland und an Dionysos an; ich glaube, durch den Schnitt des Films wird das auch spürbar. Jemand hat einmal gesagt, dass Alexander der Große eine Kombination aus einem großen Staatsmann und Mick Jagger gewesen sei. Der Typ hat ein gewaltiges Charisma.

War das auch eine Herausforderung für Sie als Filmemacher?

Scorsese: Ja. Ein Freund sagte, es sei mein euphorischster Film. Freute mich. Ich war von den Shows so überzeugt! Ich sehe die Stones ja oft auf der Bühne, da Mick und ich schon länger an einem Projekt arbeiten.

Geht es darin um die Band?

Scorsese: Nein, um die Musikindustrie. Die ist rücksichtslos und hart. Sie wird geführt wie eine Regierung oder eher wie eine Mafiafamilie.

Darf man sich so etwas wie „Goodfellas“ in der Musikindustrie vorstellen?

Scorsese: Ja, gewissermaßen. Es wird eine historische Perspektive geben: Wie all diese Burschen plötzlich Platten produzierten und verkauften. Sie schnappten sich zwei Typen, sagten ihnen, dass sie im Keller etwas aufnehmen sollen, gaben denen zwei Dollar – und verdienten 200.

Wird die Arbeit daran einfacher werden als die an „Shine a Light“?

Scorsese: Nein, schwieriger. Ich kann Ihnen mein Herzklopfen während des zweistündigen Konzerts kaum beschreiben – also ab dem Moment, als unsere „Maschinen“, die Stones-Maschine und die Filmmaschine, zusammenarbeiteten. Der ganze Auftritt dauerte für mich eine gefühlte Minute. Es war, als hätte ein Wirbelwind die Bühne erfasst. Ein absolut schreckliches Vergnügen für mich.

Besuchen Sie privat Rockkonzerte?

Scorsese: Nein. Aber Bruce Springsteen habe ich in Madrid gesehen. Unglaublich!

Waren Sie wie die Stones früher trotziger?

Scorsese: Ich glaube nicht, dass „The Departed“ so soft war, oder?

Vielleicht nicht als Regisseur, sondern als Person?

Scorsese: Ich bin sicher gemäßigter, wenn es um meinen Geduldsfaden geht. Wenn man sich aufregt, verpufft sehr viel Energie. Man muss den Zorn kontrollieren, obwohl er auch sehr wichtig sein kann. Vor allem beim Filmemachen.

Was sind Ihre nächsten Musikprojekte?

Scorsese: Eben habe ich zwölf Stunden Material zu den Anfängen der Beatles und George Harrison gesichtet. Nigel Sinclair und Anthony Wall, die Produzenten meines Bob-Dylan-Films, haben Olivia Harrison zu mir geschickt. Sie hat mich gebeten, das Material in den Archiven ihres Mannes zu erforschen und einen Film über ihn zu gestalten.

Welche Musik hören Sie zu Hause?

Scorsese: Es ist gar nicht so einfach, Musik zu hören, wenn man eine achtjährige Tochter zu Hause hat. Üblicherweise mag ich jedoch die älteren Sachen: die Stones, Eric Clapton, Bob Dylan. Gerade höre ich aber erstaunlich viel Barockmusik, vor allem Lully und Purcell. Und am Morgen höre ich ein wenig Bach.

KURZBIO: Der Regisseur

Martin (Marcantonio Luciano) Scorsese,geboren 1942 in Queens, N. Y., Enkel von Immigranten aus Italien. Wollte Priester werden, wurde dann Filmemacher (mit Hang zu katholischer Thematik). Prägte das US-Kino mit Filmen wie „Taxi Driver“ (1976) oder „Goodfellas“ (1990), erhielt für seinen vorigen Film „The Departed“ (2006) endlich den Oscar. Gerade sein Einsatz von Musik – oft von den Rolling Stones – war stilbildend. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2008)

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