Diagonale: Es darf geweint werden

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Die Austrofilmschau in Graz wird heute mit der Dokumentation „back to africa“ eröffnet. Birgit Flos, scheidende Intendantin, setzt nochmal auf „Fülle“. Hilft das dem heimischen Film in Zeiten symbolischer Politik?

Es darf geweint werden. Das Plakatmotiv der Austrofilmschau Diagonale zeigt einen nackten Mann auf dem Bett, den Tränen nahe. Eine sentimentale Geste zum Abschied von Intendantin Birgit Flos? Oder doch schlicht ein (gut gewählter) Blickfang aus der heimischen Jahresproduktion? Das Bild ist Christian Froschs Tear Works, dessen Diagonale-Uraufführung ist in einem der über ein Dutzend Kurzfilmprogramme versteckt.

Froschs neuer Langfilm, das ambitioniert konfuse Science-Fiction-Melodram Weiße Lilien hat dafür einen prominenten Platz: Wie Götz Spielmanns bei der Berlinale gelobtes Krimidrama Revanche und Karin Bergers Wienerlied-Dokumentation Herzausreißer läuft es am Hauptabend im großen Saal des Schubertkinos, der angestammten Grazer Pole-Position für wichtige Premieren.

Eröffnungsfilm: Heim vom Heller-Zirkus

Das betonte Flos bei der Programmkonferenz noch einmal, vielleicht weil ohne Vorwissen dieser Spitzenplatz kaum noch als solcher zu erkennen ist. Das Festival expandierte unter Flos' Ägide kontinuierlich: Der große Schubertsaal war Flaggschiff, als vier Säle bespielt wurden. Heuer sind es sieben – acht, wenn man die der Diagonale irgendwie als „Festival-im-Festival“ verleibte Reihe „Zustandswechsel Graz“ im Rechbauer mitzählt. Größenmäßig übertreffen einige neue (Multiplex-)Kinos den Schubertsaal locker.

Wirklich herausragend platziert ist nur nur der Eröffnungsfilm in der Helmut Liszt-Halle: Othmar Schmiderers kleine Dokumentation back to africa muss heute Abend dem großen Premierendruck standhalten. Sie zeigt fünf Akrobaten des „Afrika! Afrika!-Riesenzirkus von André Heller auf Reisen heim in den meist kurzen Pausen zwischen den Shows. Die mit intimer Crew in Gambia, Ghana, Kongo, Senegal und der Elfenbeinküste aufgenommenen Impressionen zeigen Privates, dazu viel Musik und Tanz: Eingefangen werden soll offenbar ein Lebensgefühl und der Alltag von Menschen, die fern der Heimat ihr Geld verdienen (müssen).

Aber Schmiderers Film definiert sich eher über das, was er nicht ist: Er hat sympathisch wenig Interesse an Hellers Show; politische Umstände aber werden etwa auch nur insoweit erforscht, als sie ins Private hereinspielen. Garantiert nicht eurozentrisch sei die Perspektive, hat Flos betont. Das stimmt: Manchmal fragt man sich, ob back to africa überhaupt eine Perspektive hat. Schmiderers Film ist gut gemeint, das ist sicher, nur ist oft schwer zu sagen wie.

Feiern statt Fördern: „Oscar“ und Politik

Vielleicht ist er damit idealer Eröffnungsfilm für Flos' Finale als Festivalleiterin: Ihre guten Absichten und ihr Engagement für den österreichischen Film sind unbestreitbar. Aber genügen symbolische Gesten – wie die auf ihren Wunsch im Vorfeld erfolgte Aufführung der vom ORF boykottierten heimischen Dokumentation Artikel 7– Unser Recht! im Landesstudio Graz vor wenigen Besuchern (die „Presse“ berichtete Montag)? Zumal wenn auch die Politik fast nur auf symbolische Gesten setzt, statt wirklich etwas für den notorisch unterbudgetierten österreichischen Film zu tun: Wenn also der Oscar-Erfolg von Die Fälscher zu Festen, Lobreden und Schülervorstellungen führt, die vom preisgekrönten und hofierten Regisseur Stefan Ruzowitzky geforderte Erhöhung der Mittel aber weiter ignoriert wird – der Wiener Gemeindrat etwa prompt gegen eine Erhöhung der Filmförderung stimmt.

Und weniger populäre Leistungen im heimischen Film drohen ganz im quantitativen Überschuss der Diagonale unterzugehen. Flos' Credo: „Ein Festival lebt auch von der Fülle“ ist nicht unbedingt falsch, ein Profil bekommt ein Festival aber erst, indem man Schwerpunkte setzt. Die Vielzahl an Sonderprogrammen zusätzlich zur aktuellen Leistungsschau führen aber ironischerweise zu einem Programmwust, dessen Überschneidungen es unmöglich machen, auch nur zwei große Schwerpunkte zur Gänze zu verfolgen. Das mag bei internationalen Potpourris wie dem „Dialog“ mit dem Festival Sarajewo angehen, trifft aber ausgerechnet die sorgfältig kuratierten Retrospektiven, wo jedes Programm zählt: Die sensationelle historische Schau zum aus Wien stammenden Russenfilmer Gerbert Rappaport und den eigentlich so verdienstvollen Schwerpunkt zum großen heimischen Kino-Einzelgänger Michael Pilz, der einen Transzendenz-Tag lang zur dokumentarischen Versenkung in die „Erotik der Leere“ einlädt.

Und bei den Aktualitäten muss man in der „Fülle“ – die mit Heinz Emigholz' parallel in Wien anlaufender Architekturstudie Schindlers Häuser einen der avanciertesten Austro-Filme des Vorjahres ignoriert – wesentliche Werke erst finden (können): Pilz meditativer neuer Tagebuchfilm a prima vista etwa, oder Gurbet – In der Fremde, ein Porträt der ersten Generation türkischer Gastarbeiter, mit dem Nachtreise-Regisseur Kenan Kilic (s)ein Projekt eines echten Immigranten-Kinos weiterführt. (Nicht nur) da ist etwas Besonderes am Werden.

Bis Sonntag wird sich zeigen, ob das die Diagonale ausstellen kann. Eingestimmt wird bei der Eröffnung auch auf eine enorme Fülle an Auszeichnungen, mit der Vergabe des neuen Diagonale-Schauspielerpreis. Freilich: Schon 1999 gab es einmalig einen Darstellerpreis, die Vergabe an Roland Düringer führte zum Eklat: Der widmete sein Preisgeld prompt „einem karitativen Zweck“, nämlich „der österreichischen Filmförderung“, und zog über ein (Austro-)Kino her, das „eine Klomuschel in 27 Einstellungen filmt“. Vielleicht kann man also schon heute Abend sehen, ob die Diagonale zum Lachen oder zum Weinen wird.

ÖSTERREICHS KINO-SCHAU

Die Diagonale findet zum elften Mal in Graz statt: Bis 6. April zeigt man über 300 Filme in über 150 Programmen, neben aktuellen Austro-Produktionen laufen viele Sonderprogramme. Intendantin Birgit Flos geht, Barbara Pichler ist ihre Nachfolgerin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2008)

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