"X-Men": Weil der Mensch - und Mutant - zählt

X-Men
X-Men(c) 20th Century Fox
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„Zukunft ist Vergangenheit“: In Bryan Singers Comicverfilmung soll Hugh Jackman alias Wolverine die Welt vor einem düsteren Schicksal bewahren. Klingt komplex und ernst, ist aber nahezu perfektes Popcorn-Kino.

Wer dem Subgenre Comicfilm nicht unbedingt wohlgesonnen ist, könnte angesichts des Kinostarts von Bryan Singers „X-Men: Days of Future Past“ (auf Deutsch: „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit) beginnen, mit den Augen zu rollen: Bitte nicht noch ein Superhelden-Blockbuster! Aficionados der übermenschlichen Science-Fiction-Geschichten aus dem Hause Marvel haben sich auf das neueste Kinoabenteuer aber wohl gefreut wie selten zuvor: Schließlich wird mit „Days of Future Past“ eine der populärsten Graphic Novels der Mutanten-Reihe von Stan Lee und Jack Kirby auf die große Leinwand gebracht.

Der Film zeichnet, wie der gleichnamige Comic, ein dystopisches Zukunftsbild der Welt im Jahr 2023: Eine schier unzerstörbare Roboterart, die Sentinels, löscht nach und nach Mutanten, aber auch die menschliche Intelligenz aus. Um den Untergang zu verhindern, schicken die Mutanten-Anführer Professor X (Patrick Stewart) und Magneto (Ian McKellen) den physisch stärksten Mutanten Wolverine (Hugh Jackman) auf eine gedankliche Zeitreise ins Jahr 1973.

Fiktive Roboter, realer Krieg

Genauer gesagt: Jänner 1973. Weltpolitisch nicht gerade die ruhigste Zeit, es waren die Tage vor dem Pariser Waffenstillstand, mit dem der Abzug der US-Truppen aus Vietnam besiegelt wurde. Vor diesem Hintergrund des langsam endenden Krieges sollen die ungleich egozentrischeren und jüngeren Versionen von Professor X (James McAvoy) und Magneto (Michael Fassbender), die einander spinnefeind sind, wieder versöhnt werden. Zugleich soll der Erschaffer der Roboter, der Militärwissenschaftler Bolivar Trask – Peter Dinklage, bekannt als Tyrion Lannister aus „Game of Thrones“ –, gestoppt werden. Dabei spielt auch Verwandlungskünstlerin Mystique (Jennifer Lawrence) eine tragende Rolle... Viel mehr soll, vor allem für all jene, die nicht mit den Comics vertraut sind, nicht vorweggenommen werden...

Das mag nach einer vertrackten Geschichte für Insider klingen. All zu kompliziert ist der massentaugliche Blockbuster aber dann auch wieder nicht. Eine intensive Auseinandersetzung mit den X-Men lohnt sich auf jeden Fall: Denn die mit den unterschiedlichsten Superkräften ausgestatteten Helden und Heldinnen, die unter der X-Dachmarke vereint sind, sind gesellschaftspolitisch relevant und bergen sogar subversives Potenzial.

Während Helden wie Batman zwar vom Schicksal gebeutelt und frühkindlich traumatisiert sind, handelt es sich bei ihm und beispielsweise auch Iron Man um weiße und heterosexuelle Männer, die tagsüber, in ihrer bürgerlichen Existenz, milliardenschwere Unternehmer sind. Das Schicksal der X-Men ist ein anderes, ein kollektives und mit jenem von realen Minderheiten vergleichbares. Es handelt sich um Bürger mit Migrationshintergrund, religiöse Minderheiten, Homosexuelle und Transgender-Personen oder Menschen mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen. Die Mutation dient also als Metapher für in der Gesellschaft unterrepräsentierte und oft verachtete Gruppen. In den bislang fünf abgedrehten Filmen – darüber hinaus gab es noch zwei „Wolverine“-Spin-offs – zeigen die mutierten Protagonisten unterschiedliche Reaktionen auf die Diskriminierung: Manche entschieden sich für Integration, andere für Assimilation, wieder andere für die völlige Abgrenzung vom Mainstream.

Trauma und Dialog

Diese Lebensentwürfe entzweien die Mutanten. So kann Erik, der später zu Magneto wird, nicht vergessen, dass seine jüdische Mutter im Konzentrationslager von den Nazis getötet wurde (aus dem vorangegangenen „X-Men“-Film „Erste Entscheidung“) – und bricht mit den Menschen. Sein (einstiger) Freund Professor X entscheidet sich hingegen für den Dialog.

Zurück in die Gegenwart, zum neuen „X-Men“-Film. Es wäre kein Blockbuster ohne CGI-Spezialeffekte. Diese sind in Bryan Singers 3-D-Spektakel beeindruckend, vor allem im wuchtigen Showdown, der an eine apokalyptische Tanz-Choreografie erinnert. Auch die Dosis Humor, die Comicfilmen wie zuletzt „Man of Steel“ fehlte, stimmt. So kann man darüber hinwegsehen, dass die Story zwischenzeitlich chaotisch und hanebüchen ist. (War Kennedy gar ein Mutant und wurde deshalb Opfer eines Attentats?) Positiv zu bewerten ist auch der Cast. Dabei sticht ausgerechnet ein Held, der auf der Kinoleinwand debütiert, heraus: Quicksilver (dargestellt von Evan Peters; bekannt aus "American Horror Story") läuft mit Schallgeschwindigkeit – und sieht aus wie Kurt Cobain mit grauem Haar. Und das schon 1973! Zeitlos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2014)

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