"Locke": 85 Minuten allein im Auto, besessen vom Beton

NO TURNING BACK
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Kontakt zur Außenwelt hat er nur über die Freisprechanlage: Im Thriller „No Turning Back“ regiert der britische Tour-de-Force-Schauspieler Tom Hardy die Leinwand. Allein.

Die Entscheidung, die sein Leben verändern wird, trifft Ivan Locke nachts an einer roten Ampel. Erst blinkt er links, doch als die Ampel auf Grün schaltet, biegt er doch rechts ab. Zuvor ist er an einer gigantischen Baustelle in das Auto gestiegen, hat Bauhelm und Baustellenschuhe abgestreift. Es ist das einzige Mal, dass „No Turning Back“ die Hauptfigur außerhalb ihres Fahrzeuges zeigt, zumindest ihren Körper. Das Gesicht, das diesen Film dominiert, taucht erst hinterm Lenkrad auf. Ein Auto, teures deutsches Fabrikat und damit Hinweis auf den finanzstarken Mittelstand, ist Schauplatz des Films von Autor und Regisseur Steven Knight („Eastern Promises“). 85 Minuten dauert er, eine Fahrt von Birmingham nach London unter dem gelblichen Licht städtischer Autobahnen, der Film zeigt das fast in Echtzeit.

Alleine im Wagen hält Locke mittels der in kühlem Blau schimmernden Freisprechanlage Kontakt zur Außenwelt. Die anderen Figuren hört man nur. Seinen Chef, seinen Mitarbeiter, seine Ehefrau, seine Söhne und eine Frau in Nöten. Über diese Gespräche erfährt man langsam vom Dilemma, in dem der Familienvater und erfolgreiche Bauleiter steckt.

So reduziert wie das Setting ist auch die Geschichte. Es gilt nicht, die Welt zu retten, sondern nur seine Welt. Seine Existenz und ein Betonfundament. „Locke“ heißt der Film folgerichtig im Original, benannt nach dem Nachnamen der Hauptfigur.

Das Konzept eines Kammerspiels auf engstem Raum ist nicht neu. Der Klassiker stammt von Alfred Hitchcock, „Das Fenster zum Hof“ (1954) zeigt nur Jeffs (James Stewart) Wohnzimmer – und natürlich dessen Aussicht. Joel Schumachers „Nicht auflegen“ (2002) spielt in einer Telefonzelle, die Colin Farrell unter Todesdrohung nicht verlassen darf. Den Albtraum einer Handlung auf engstem Raum zeigte „Buried“ (2010): Ryan Reynolds ist lebendig begraben, immerhin ausgestattet mit einer Taschenlampe und einem Handy.

Dagegen wirkt „No Turning Back“ nicht klaustrophobisch, die Bilder (Kamera: Haris Zambarloukos) zeigen die Szenerie von außen und von innen, kommen näher und ganz nahe, brechen die Hauptfigur in Scheiben und Spiegeln.

Es liegt aber vor allem an Tom Hardy, dass man nicht wegschauen kann oder will. Der britische Tour-de-Force-Schauspieler, Bösewicht im bisher letzten Batman-Film und Englands Mann für wuchtige, zerrissene Charaktere, regiert die Leinwand in diesem Thriller, der sich auch als Charakterstudie eines Arbeitstieres verstehen lässt. Er verhandelt, umschmeichelt, kommandiert und bettelt (im Original mit musikalischem walisischen Akzent), um die Kontrolle wiederzuerlangen. Er möchte so sein wie guter Beton: verlässlich, solide, ein Fundament, auf das man bauen kann. Aber er weiß auch, Beton ist „empfindlich wie Blut“, wie er einmal sagt. Falsch abgemischt lässt er Gebäude in sich zusammenbrechen, wie das Leben dieses von Beton Besessenen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)

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