Neu im Kino: "[Rec]" und die Architektur der Angst

(c) 3L Filmverleih
  • Drucken

Der Routineeinsatz als Höllenritt: Der klaustrophobische katalanische Schocker „[Rec]“ von Jaume Balagueró und Paco Plaza ist ein Meisterwerk des modernen Horrorfilms.

Kamera an: Moderatorin Ángela (Manuela Velasco) begleitet für ihre Sendung „Während du schläfst“ eine Feuerwehrtruppe beim Routineeinsatz. Eine alte Frau hat sich in ihrer Wohnung eingeschlossen, die Nachbarn berichten von eigenartigen Geräuschen. Die Männer brechen die Tür auf. Vor ihnen liegt ein enger, dunkler Flur, der sich in die Tiefe streckt. An seinem Ende brechen Lichtstrahlen durch die Fenster: Die Alte trägt ein weißes, blutbesudeltes Nachthemd. Sie wimmert, stöhnt und macht einen verwirrten Eindruck. Hat sie sich geschnitten? Ist sie gestürzt oder überfallen worden? Die Helfer nähern sich ihr an. Plötzlich packt sie zu, beißt einem der Männer ein großes Stück Fleisch aus dem Hals. Jetzt weiß man: Das Blut an ihrer Kleidung stammt nicht von ihr.

Kamera aus: Die erste Schlüsselszene des katalanischen Schockers [Rec] kommt nach etwa fünfzehn Minuten als Entrée eines Meisterwerks des modernen Horrorfilms. Der Grund für dessen durchschlagende Kraft ist ein vermeintlich simpler: Die Regisseure Jaume Balagueró und Paco Plaza verstehen sich auf die Architektur der Angst. Denn fantastisches Kino ist stärker als andere Erzählgattungen an den konkreten Raum gebunden: Über das Setzen des Lichts oder die Positionierung der Kamera wird ein Flur zum Tunnel, wird ein altes Wohnhaus mitten in Barcelona ein Spielplatz für archaische Ängste.

Die findigen Katalanen schleusen den Zuschauer über eine Reality-Show ein: Den Schmäh des „Nah-dran-Seins“, die Geilheit auf das Unerwartete, das möglicherweise „live“ zu sehen sein wird, machen sie sich für ihren Film zunutze. Aus der Perspektive des Kameramanns Pablo, die bis zum Ende des Films beibehalten wird, steigt der Zuschauer vom Bekannten (der ewiggleichen Dramaturgie von TV-Sendungen) hinauf – oder hinab? – ins Unbekannte (das Geheimnis des Kinos): Das Fernsehformat wuchert auf der großen Leinwand zum Ungeheuer heran.

Stockwerk um Stockwerk

Nicht einmal die Wackelbilder sind in [Rec] bloßes Stilmittel oder oberflächliches Geplänkel mit neuen medialen Realitäten wie eben im Monsterfilmunglück Cloverfield. Jaume Balagueró hat sich schon bisher als versierter Genreregisseur bewiesen. Was in seinem Spukhausfilm Fragile noch in neoklassizistischer Schauergrandeur formuliert wurde, entfaltet sich in [Rec] eben via Handkamera: Der Horror räumlicher Beengtheit, angetrieben von einer übernatürlichen Bedrohung. Stockwerk um Stockwerk arbeiten sich die Überlebenden zum Geheimnis des Hauses vor: die Wurzel allen Übels, in einer verschlossenen Wohnung unter dem Dachboden.

[Rec] impft dem Horrorfilm frisches Blut ein, weil er nicht den zeitgeistigen Weg geht: Wo Hollywood mit digitaler Farbkorrektur und Schnittgewittern das Grauen vergraut (da es nicht mehr fühlbar ist), zielen Balagueró und Plaza direkt auf den Körper des Zuschauers. Von der ersten Minute an ist man in die Geisterbahn gespannt: Hinter jeder Ecke, in jedem Schattenwurf könnte sich etwas verbergen. Aussteigen ist unmöglich.

Dass dieser Höllenritt überhaupt in die österreichischen Kinos kommt, grenzt an ein Wunder: Die meisten europäischen Genreproduktionen landen gleich im DVD-Regal, da sie sich an den Kinokassen nur schwer gegen die von Marketing-Bombast gestützten US-Konkurrenten durchsetzen können. Die Malaise verschlimmert, dass die Traumfabrik viele junge Euro-Horror-Regisseure als Rohstoff ankauft, dann mit dem Inszenieren von Standardware beauftragt. Balagueró und Plaza sind dieser Gefahr geschickt aus dem Weg gegangen: Im Herbst gibt es ein US-Remake von [Rec] namens Quarantine, dafür haben sie zwar das Buch verfasst, sich dann aber gleich wieder abgesetzt, um am nächsten Projekt zu werkeln: an ihrer Fortsetzung zu [Rec] – und damit irgendwie auch am Erfolg des europäischen Genrefilms.

DIE REGISSEURE

Jaume Balagueró (*1968 im katalanischen Lleida) und Paco Plaza (*1973, València) sind zwei Schlüsselfiguren der florierenden spanischen Horrorfilmszene, die um die erfolgreiche Produktionsfirma „Filmax“ tätig ist. Beide debütierten mit fantastischen Kurzfilmen in den 1990ern, Balagueró etablierte sich mit Gruselerfolgen wie „Darkness“ (2002) auch schnell international.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.