Kino: Woody Allens "Cassandras Traum"

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Die fatale Familie im schlingernden Boot. Woody Allens neuer Film läuft ab Freitag in den heimischen Kinos.

Die Welt von Woody Allen ist voller wunderlicher Widersprüche. Als tragikomische Filmfigur wurde der Komiker zur Ikone: New Yorker Stadtneurotiker, kleinwüchsig, bebrillt, verzweifelt witzelnd – ein Markenzeichen, das bescheidenen, aber beständigen Erfolg bei einem Stammpublikum garantierte. Aber seine Auftritte als Akteur im mit ungebrochener Arbeitsfreude absolvierten Spätwerk – mit 72 inszeniert er immer noch einen Film pro Jahr – sind selten geworden. Die Marke Woody-Allen-Film ist dennoch unverwechselbar geblieben: Thematisch ist sein Werk unglaublich konsistent, auch wenn es paradoxerweise inszenatorisch völlig unausgeglichen ist.

Das wird bei Allens drittem London-Film Cassandras Traum besonders deutlich: Denn die Geschichte ist fast identisch mit seinem ersten England-Drama Match Point um einen jungen Mann, der zum Mörder wird, um sich einen Platz in Britanniens besserer Gesellschaft zu sichern.

Mord für die Liebe und den reichen Onkel

Diesmal sind es zwei Brüder, die töten sollen. Der eine, Ian (forsch: Ewan Mc Gregor), ist unzufrieden mit dem jahrelang aus Pflichtgefühl bekleideten Job im väterlichen Restaurant und gibt vor, Großinvestor zu sein, als er sich in eine so schöne wie selbstgefällige Schauspielerin (Hayley Atwell) verliebt. Der andere, Terry (Colin Farrell), führt eine auf den ersten Blick behaglichere Existenz als Automechaniker (Ian borgt sich bei ihm Sportwagen, um Eindruck zu schinden) mit fürsorglicher Freundin – und fatalem Hang zum Spielen. Eingangs kaufen sich die Brüder aus seinen Gewinnen ein Boot: Es hat den unglückverheißenden Namen Cassandra's Dream. Schnell verspielt Terry ein Vielfaches.

Als Deus ex Machina kommt da der sagenhafte reiche Onkel (Tom Wilkinson) aus den USA zu Besuch. (Auch die Umstände seines Reichtums bleiben sagenhaft, haben mit plastischer Chirurgie zu tun: nicht das einzige skizzenhafte Detail eines wenig plastischen Skripts.) Er verspricht den Brüdern Hilfe – wenn sie ihm einen Gefallen tun: Er will einen unliebsamen Exkollegen „loswerden“.

Die Situation lastet insbesondere auf Terry (trotz eintöniger Rolle gelingt Farrell ein kleines Kunststück: Er scheint ständig zu schrumpfen). Aber das zentrale Gewissensdrama bleibt blasse Routine, wie auch die offenbar kathartisch angelegten Appelle des Onkels an unbedingte Familienloyalität. Nur die bemühten Psychologismen sind (unselig) überdeutlich, vom Filmtitel bis zu den selbstreflexiven Kommentaren von Atwells Aktrice über ihr Stück: Sehr pessimistisch geschrieben sei das alles.

Sie ist auch die unsympathischste Figur des Films, ein irritierend misogyner Zug, gerade, da sonst erstmals in Allens London-Trilogie ein Mann als Todesopfer vorgesehen ist: Das komödiantische Zwischenspiel Scoop hatte zuvor die frauenmörderische Konstellation von Match Point wiederholt, ebenfalls ohne an dessen inszenatorische Stärke anzuschließen. Der offensichtliche Verlust an Feinheit in der Milieuzeichnung schien (und scheint auch hier) verzeihlicher: Es lohnt sich festzuhalten, dass schon Match Point nur außerhalb Britanniens als akkurat und außergewöhnlich rezipiert wurde.

Der England-Exkurs hatte jedenfalls Allens Interesse an Privilegien und Klassenfragen revitalisiert, die Filme seither belegen jedoch, dass er sich scheinbar nur mehr einmal pro Dekade zu einer filmemacherisch bemerkenswerten Leistung aufschwingen kann. Doch selbst ein schwächliches Drama wie Cassandras Traum hat einen gewissen, wenn auch schlingernden und schwachen Sog – vielleicht, weil es in seinen thematischen Obsessionen doch eindeutig ein Woody-Allen-Film ist: Der Veteran macht jedenfalls noch immer Autorenkino, auch wenn er dessen Ruf damit nicht unbedingt stärkt. Noch so ein wunderlicher Widerspruch aus Woodys Welt.

WOODYS „LONDON-TRILOGIE“

Europareisender ist die New Yorker Ikone Woody Allen (*1935) geworden, nachdem er 2005 das London-Krimidrama „Match Point“ erstmals ganz außerhalb der USA inszenierte, damit einen Überraschungserfolg feierte. Mit „Cassandra's Dream“ beendete Woody Allen 2007 nach der Komödie „Scoop“ seine „London-Trilogie“. Heuer zeigte Allen in Cannes einen Spanien-Film: „Vicky Cristina Barcelona“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2008)

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