Filmfestival Locarno: Land der Berge, Land des Horrors

(c) Nadja Klier für Majestic Filmverleih
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„März“, das Langfilm-Debüt des Dramatikers Händl Klaus; ein Horrorthriller; das Bergdrama „Nordwand“.

"How bizarre...“: das Pop-Lied aus dem Radio kommentiert die gespenstische Stille nach dem Schluss. Drei Studenten aus einem Südtiroler Dorf haben sich das Leben genommen; die Hinterbliebenen und ihre Ohnmacht sind Mittelpunkt von März, dem Langfilmdebüt des österreichischen Dramatikers Händl Klaus. Der Ansatz ist spannend – Laienspiel im Dialekt, entschleunigte Beobachtung, Vermeiden herkömmlicher dramaturgischer Pfade –, Händls Buch ist es nicht: Aus (zu) vielen Einzelgeschichten baut sich ein Portfolio von Trauerstrategien auf, nicht selten rutscht das ab in triviale Bilder. Etwa wenn ein Vater heulend im Wald zusammenbricht, wenn eine junge Frau ihre Hand in den Kiesel eines Grabs schiebt. März ist trotz seiner passend unterspielten Inszenierung, vor allem wegen der gestelzten Dialoge weit entfernt vom organisch wirkenden Naturalismus etwa einer Valeska Grisebach. Ihm fehlt schlicht die Glaubwürdigkeit. Im bisher schwachen Internationalen Wettbewerb von Locarno könnte März dennoch florieren.

Österreichs Film ist heuer ohnehin stark präsent in Locarno. Auf der 8000 Zuseher fassenden Piazza Grande feierte am Sonntag Andreas Prochaskas Schlitzerfilm-Fortsetzung In 3 Tagen bist du tot 2 seine Weltpremiere, bestätigte damit die erfreuliche internationale Resonanz auf die erste hausgemachte Horror-Reihe Österreichs.

Am Abend zuvor lief bereits die deutsch-österreichisch-schweizerische Ko-Produktion Nordwand. Regisseur Philipp Stölzl inszeniert damit ein Spektakel, nicht nur über die versuchte Erstbesteigung der Eiger-Nordwand durch die deutschen Gebirgsjäger Toni Kurz und Andi Hinterstoisser, sondern auch über die Zeit des Geschehens (Untertitel: „Eine wahre Geschichte“).

1936 galt die Kalkstein-Formation im Berner Oberland noch als „letztes Problem der Alpen“, die Nationalsozialisten gierten nach einem deutschen Gipfelsieg, einem Triumph für Goebbels' Propagandamaschine. Stölzl baut seinen Bergfilm – als Genre vor allem in den 1920ern bedeutend – auf sicherem Boden, beantwortet die Frage nach der ideologischen Gesinnung von Kurz und Hinterstoisser mit einem kurzen „Servus“, das die beiden Bergsteiger den zahlreichen „Heil-Hitler“-Grüßern entgegen raunzen. Stramme Nazis (etwa Ulrich Tukurs Berliner Journalist) und die am Fuß des Eiger im Luxushotel logierende sensationsgeile Bourgeoisie (als Paar: Petra Morzé und Erwin Steinhauer) werden karikiert, ernsthaft bleiben soll nur die aufrichtige Liebe zwischen Luise (Johanna Wokalek) und Toni Kurz.

Die Diktion der politischen Korrektheit, die in Nordwand so schmuck befolgt wird, liegt dem französischen Skandal-Romancier Michel Houellebecq bekanntlich fern. Nicht ohne Grund ist die erste Regiearbeit des Filmschulabbrechers eine Adaption seines Buchs „Die Möglichkeit einer Insel“, in Locarno im hinterletzten Winkel der Nebenschiene „Play Forward“ zu finden.

Houellebecq hat sich selbst verfilmt

Seinen bekannt nüchternen Erzählstil formt er für die Leinwand in glasklare, sterile Bilder – darunter eine von Star-Architekt Rem Kohlhaas entworfene Megalopolis – um: die Sekte der Elohimiten (angelehnt an die Raelianer) lockt mit dem Versprechen des ewigen Lebens, durch Verschränkung von Spiritualität und Wissenschaft sollen Menschenklone die Erfahrungen des Originals einverleibt bekommen. Houellebecq inszeniert seine Science-fiction bildgewaltig und pompös orchestriert, schafft aber im Medium Film keinen Einschnitt wie in der Literatur. Die Möglichkeit einer Insel bleibt modernistischer Standard.

Jedenfalls nicht so gefällig wie Choke, die Verfilmung von Chuck Palahniuks gleichnamigem Roman: dessen zeitgeistigen Wert (erzählt wird von Gefühlsbankrott und Sexsucht) münzt Regisseur Clark Gregg um in eine formelhafte Verlierer-Komödie, immerhin glänzend besetzt mit Sam Rockwell und Anjelica Huston. Kurz: Locarno 2008 lässt sich nicht gut an. Zwischen dem Pomp der Piazza Grande und den (zu) betont schwierigen Kunstfilmen der Nebenschienen vermisst man momentan vor allem das Gefühl, auch das für den guten Film. How bizarre!

„GOLDENER LEOPARD“

Das Filmfestival von Locarno fand 1946zum ersten Mal statt, hinter Cannes, Venedig und Berlin – und neben San Sebastian – hat es einen der wichtigsten Filmwettbewerbe. Um den „Goldenen Leoparden“ konkurrieren heuer 18 Filme, aus Österreich dabei ist das Regiedebüt des Schriftstellers Händl Klaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2008)

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