„Quadratur des Kreises“: Ein Film über Fotos

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Regisseur Wim Wenders hat mit „Das Salz der Erde“ einen berührenden Dokumentarfilm über Werk und Leben des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado gedreht – eine Begegnung zweier Großmeister, denen Pathos nicht fremd ist.

Die Presse: Ihre Filme über Kunst und Künstler sind immer eine große Hommage. Was hat Sie an Salgado fasziniert?

Wim Wenders: Das erste Mal begegnet bin ich seinem Werk in einer kleinen Galerie in Los Angeles. Seine Fotos vom Goldbergwerk in der Serra Pelada waren die Initialzündung. Sie waren von einer Wucht, Wildheit, Genauigkeit und Schönheit, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Ich habe gemerkt: Dieser Fotograf hat eine große Liebe zu den Menschen, er hat eine Mission, er ist anders getrieben als andere. Weil er so lange an einem Ort bleibt, gewinnt er eine andere Beziehung zu den Menschen, ist anders drin im Sujet.


Sie haben den Film mit Salgados Sohn Juliano gemacht, der Meister mit dem Nachwuchsregisseur. Wie hat das funktioniert?

Ich wusste nicht, wie es geht. Juliano schon gar nicht. Wir drehten getrennt: Juliano begleitete seinen Vater auf Reisen. Ich wollte wissen: Wie geht der Fotograf heran? Dafür musste ich nicht mitreisen. Es hat sich mir aus den Bildern und Geschichten erschlossen. Erst im Schneideraum arbeiteten wir zusammen. Eine schwere Zeit! Wir haben lang gebraucht, bis wir uns zusammengerauft haben. Was man gedreht hat, gehört einem ja. Darüber will man selbst entscheiden. Aber wir fühlten: Wenn wir über unsere Schatten springen, können wir einen viel schöneren Film machen. Dazu mussten wir den anderen heranlassen an die eigene Erzählung. Das dann durchwirken und gemeinsam etwas Drittes machen, zu dem wir beide nicht in der Lage gewesen wären. Das war eine wahnsinnige Erfahrung. Für mich als alten Hasen wie für ihn als jungen.


„Das Salz der Erde“ kommt zurückhaltend daher, als hätten Sie sich in Ihrem Ego zurückgenommen.

Das täuscht nicht. Und das hat seine Zeit gebraucht. Man gibt sein Ego nicht am ersten Tag an der Tür ab.

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Wie passen Kino und Fotos zusammen?

Eigentlich kann man über Fotos keinen Film machen. Sie sind zu sperrig, sie genügen sich selbst. Den Mut zum Film fasste ich erst, als ich merkte, was für ein begnadeter Geschichtenerzähler Salgado ist. Dass er zu jedem Bild die Hintergründe erzählen kann. Aus diesen vielen Geschichten wird die große Geschichte seines Lebens. So kann man diese Quadratur des Kreises hinkriegen.


Für wen haben Sie diesen Film gemacht?

Er ist aus einer Begeisterung entstanden, die andere anstecken will. Vor allem jene, die Salgado nicht kennen. Auch „Buenavista Social Club“ war ein Film für Menschen, die noch nie von kubanischer Musik gehört hatten. Oder „Pina“ für solche, die mit Tanz nichts am Hut haben.


Was viele nicht wissen: Sie sind selbst auch ein erfolgreicher Fotograf. Gibt es da Parallelen zu Salgado?

Wir sind völlig andere Fotografen. Ich wollte immer Maler werden. Über die Malerei bin ich zum Filmemachen und zur Landschaftsfotografie gekommen. Salgado kam von der Ökonomie her, vom Wissen über wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge. Das Medium Fotografie spricht darüber eine deutlichere Sprache als Zahlen und Tabellen. Wir kommen also von entgegengesetzten Polen. Ich stehe überwältigt vor diesem Werk, das ganz außerhalb meiner Möglichkeiten ist.


Selbst Salgados Bilder vom Genozid in Ruanda sind wunderschön. Darf Kriegsfotografie so ästhetisch sein?

Die Gegenfrage ist: Wie denn sonst? Wie sonst kann man so einen Horror abbilden? Indem man ihn unschön, unästhetisch fotografiert? Was bringt denn das, wenn ich nur noch die Kamera hochhalte und abdrücke? Nein, die Alternative ist nur: Es nicht zeigen. Wenn man es aber zeigt, muss man den Menschen Respekt erweisen. Und es ist respektvoller, wenn der Fotografierende seinen Gegenstand in ein rechtes Licht rückt und ihm die Ehre antut, so gut wie möglich sichtbar zu sein. Salgado schaut durch den Sucher, fügt seinen Blickwinkel hinzu, seine ästhetische Wahrnehmung. Damit ist zumindest die Möglichkeit offen, dass er den Menschen, die er zeigt, eine Würde zurückgibt, die ihnen soeben genommen wurde, in dieser Hungersnot oder diesem Krieg.


Das Gemetzel in Ruanda stürzte Salgado in eine Lebenskrise. Er wandte sich der unberührten Natur zu und pflanzte Regenwald an. Das beunruhigende Fazit: Der Mensch ist kein Wesen, das mit seinem Ethos den brutalen Überlebenskampf der Natur überwindet. Er ist viel barbarischer als die Natur . . .

Das war keine vorgefasste Aussage. Es hat sich allmählich aus der Biografie ergeben. Dieser Mann war einmal wirklich am Ende. Der Heilungsprozess kam von der Natur. Dass sich diese Tür für ihn aufgestoßen hat, war kein bewusster Vorgang. Das Aufforsten des Regenwalds schien ja anfangs hoffnungslos. Das hatte vor dem lieben Gott noch nie jemand gemacht. Es war ein verzweifelter Akt der Revolte. Ein Jahr später sah er: Die Bäume wachsen. Heute wird es in Brasilien im großen Maßstab gemacht.


Bei den Goldminenfotos glauben viele, dass Salgado Missstände anprangert: Eine Firma beutet Mitarbeiter wie Sklaven aus. Ihr Film klärt auf: Die schürfen auf eigene Faust, kommen aus allen sozialen Schichten. Bleibt so nur die ästhetische Wucht?

Es bleibt auch, dass sie eine wahnsinnig anstrengende Arbeit freiwillig auf sich nehmen, in der verzweifelten Hoffnung, zu denen zu gehören, die auf Goldadern stoßen.


Also eine Kritik an der Gesellschaft?

Das Bergwerk wirkt biblisch, die Szenerie erinnert an den Bau der Pyramiden. Nur dass es dort echte Sklaven waren. Und hier sind es Sklaven des Gedankens, reich werden zu können. Das stellt schon vieles infrage.

Zur Person

Wim Wenders (69) ist ein deutscher Filmregisseur. Er wurde in Düsseldorf geboren, begann als Aquarellmaler und studierte dann in München Film. Der internationale Durchbruch gelang ihm 1984 mit „Paris, Texas“ (Goldene Palme in Cannes). Sein zweiter großer kommerzieller Erfolg war 1987 „Der Himmel über Berlin“. Es folgten unter anderem „Lisbon Story“ (1994) und „The Million Dollar Hotel“ (2000). Ein Welterfolg wurde seine Dokumentation „Buena Vista Social Club“ über die kubanische Son-Musik. Der Tanzfilm „Pina“ (2011) ist eine Hommage an Choreografin Pina Pausch. Wenders ist auch Fotograf und lehrt Film an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2014)

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