„Macondo“: Nicht Niemandsland, aber nah dran

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Zwischen Großkläranlage und Autobahn: Sudabeh Mortezai schildert in ihrem ersten Spielfilm „Macondo“ eine Flüchtlingssiedlung in Wien-Simmering. Ohne Mitgefühlsdramaturgie.

Der Baggerspielplatz als Sehnsuchtsort: Kinder hocken in Baufahrzeugen, graben um und haben Spaß. Ramasan und seine Kumpels können nur durch den Maschendrahtzaun lugen. Ihre Familien leben in Macondo, einer Flüchtlingssiedlung im Wiener Stadtteil Simmering: Das wenige Geld wird für das Notwendigste verwendet. Der Baggerspielplatz gehört nicht dazu.

„Macondo“ ist das Spielfilmdebüt von Sudabeh Mortezai, Österreicherin mit iranischen Wurzeln, die mit ihren intelligenten Dokumentationen, zuletzt „Im Bazar der Geschlechter“, bekannt geworden ist. Und auch wenn man das Drehbuch ab und zu rascheln hört, lebt ihre jüngste Produktion von genauen Beobachtungen. Das Drama scheint aus dem Ort herauszuwachsen: Dort, wo sich Großkläranlage und Ostautobahn treffen, leben über 2000 Menschen aus mehr als 20 Nationen auf dem Gelände einer ehemaligen Militärkaserne. Es ist nicht Niemandsland, aber nah dran. Ramasan (fantastisch: Ramasan Minkailov) ist mit seiner Mutter aus Tschetschenien geflohen. Der Vater ist im Krieg gefallen, ein Foto von ihm hängt an der Wand in der kleinen Wohnung. Die stechenden Augen scheinen alles zu überblicken. Ramasan hat kaum mehr Erinnerungen an ihn, in seinem Kopf lebt er dennoch weiter als unfehlbares Vorbild, als Held. Als ein Freund seines Vaters in Macondo ankommt und sich für seine Mutter zu interessieren beginnt, bekommt Ramasans Welt erste Risse.

Fantastische Besetzung

„Macondo“ ist kein Flüchtlingsdrama, sondern ein Drama, das in einer Flüchtlingssiedlung spielt: ein essenzieller Unterschied, da Mortezai das Milieu nicht einer klassischen Mitgefühlsdramaturgie zuführt, sondern ihm auf Augenhöhe begegnet, es leben lässt. Ihre Erzählung öffnet sich dadurch nach vielen Seiten: Es gibt sogar Momente im angrenzenden Waldstück, in dem sich Wölfe tummeln und wo die Betonsiedlung schnell vergessen ist, da riecht und schmeckt dieser Film gar nicht mehr nach Problemthema, sondern wird zum naturmagischen Entwicklungsroman. Und selbst wenn Ramasan und seine Mutter sehr wirkliche Herausforderungen zu meistern haben, etwa bei einem Amtsgespräch, ist Mortezai schlau genug, um die Situation mit einem Schmäh aufzulockern.

All das geht auch aufgrund der fantastischen Besetzung (Casting: Eva Roth) auf: Kheda Gazievas Mutter ist wunderbar unterspielt und voller Nuancen, Ramasan Minkailov ist weit mehr als bloß ein Junge. Hinter seinen Augen schwelen Zorn und Wut, seine Körpersprache ist mal kindlich, mal notgedrungen erwachsen. Alle Hauptdarsteller sind Laien: Mortezai hat ihnen Figuren auf den Leib geschrieben, die Gemeinsamkeiten mit ihren echten Schicksalen haben, aber dennoch merklich verschieden davon sind.

Trotz all der überzeugenden Momente bleibt „Macondo“ auf halbem Weg zwischen Dokumentarfilm und Fiktion stecken: Nicht, dass man sich für eines von beiden entscheiden müsste, aber Mortezais merkbar frei erfundene Passagen harmonieren nur bedingt mit den restlichen Sequenzen und wirken dabei oft grobschlächtig. Dass Ramasan im Schulunterricht Panzer auf ein Blatt Papier zeichnet, geht vielleicht noch als dramaturgischer Notgriff durch, um zu vermitteln, dass das Kind immer noch unter der Vergangenheit leidet. Dass ihm Isa, der Freund seines toten Vaters, dessen Armbanduhr schenkt, die natürlich auch noch stehen geblieben ist, ist aber nur mehr Hollywood-Klischee.

Unterm Strich bleibt ein sehenswerter Film: Macondo, der Ort, mag am Rand von Wien, am Rand des Blickfelds liegen; „Macondo“, der Film, erzählt aber eine allgemein gültige Geschichte, gefasst in präzise Milieubeobachtungen, Baggerspielplatz inklusive.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2014)

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