"Timbuktu": Islamisten, als menschlich entlarvt

MOROCCO MARRAKECH FILM FESTIVAL
MOROCCO MARRAKECH FILM FESTIVAL(c) APA/EPA/ABDELHAK SENNA (ABDELHAK SENNA)
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„Timbuktu“ zeigt die Beherrschung einer Stadt in Mali durch Jihadisten: Der Film besticht durch schöne Bilder, großen Ernst und leisen Humor.

"Timbuktu“ gehört zu den Filmen, in die man die Zuschauer als Kritiker am liebsten ohne Vorbereitung schicken würde. Einfach hinsetzen und staunen. Nicht, dass man die Handlung groß „spoilern“ könnte. Es passiert nichts Überraschendes; die Überraschung ist der Film selbst – in seiner ganzen majestätischen Schönheit, seinem großen Ernst und seinem leisen Humor. Denn man muss unbedingt betonen, noch bevor man davon erzählt, worum es im neuen Film des afrikanischen Regisseurs Abderrahmane Sissako geht: Es ist ein ästhetischer Genuss, ihn anzuschauen. Und etwas zu lachen gibt es auch. Das alles sei vorausgeschickt, denn es steht zu befürchten, dass die Menschen diesen Film nicht mehr sehen wollen, wenn sie erfahren, was er – angelehnt an reale Ereignisse in Mali 2012 – zeigt: wie islamistische Krieger in dem von ihnen eroberten Landstrich Scharia-Gesetze durchsetzen wollen. Sind die Nachrichten, aus Syrien etwa, nicht schon schrecklich genug? Braucht man das noch als Spielfilm?

Aber wer sich auf den Film auch nur für eine Minute einlässt, wird verführt. Etwa von Szenen wie diesen: Da spielen ein paar Burschen Fußball, doch etwas stimmt nicht. Sie jagen über den sandigen Platz, sie dribbeln, sie spielen sich zu, ihre Blicke verfolgen das Fliegen des Balls – aber: Es gibt gar keinen Ball. Eine beunruhigende Melancholie geht von diesen Bildern aus, Filmfans fühlen sich an die Tennis-Pantomime aus Michelangelo Antonionis Film „Blow-up“ erinnert, der bekanntlich im aufrührerischen „Swinging London“ spielte. Und tatsächlich ist auch das pantomimische Fußballspiel hier Ausdruck eines Protests, der Regeln infrage stellt. Im Fall von „Timbuktu“ sind es die Regeln, die das neue Regime durchzusetzen versucht. Denn die militanten Islamisten, die die titelgebende Stadt und ihre Umgebung in ihre Gewalt gebracht haben, halten die Bevölkerung dazu an, nach ihrer Interpretation der Gesetze zu leben. Fußballspielen ist verboten, genauso wie Alkohol, Rauchen, Gitarrenmusik oder das unbeaufsichtigte Zusammensein von unverheirateten Männern und Frauen. Das bevorzugte Mittel der Durchsetzung ist die drakonische Strafe, bis hin zur Steinigung.

Beduinen als Opfer der Gotteskrieger

Der in Mauretanien geborene und in Mali aufgewachsene Regisseur Abderrahmane Sissako erregte 2006 mit seinem eigenwilligen Film über die Praktiken der Weltbank, „Bamako“, bereits Aufsehen. Sein neuer Film „Timbuktu“ fällt in die Rubrik „brennend aktuelles Zeitthema“ und liefert gleichzeitig viel mehr, als das Etikett erwarten lässt. Was Sissako hier schildert, ist nicht die bloße fiktive Ausgestaltung dessen, was die Nachrichten uns täglich über IS, al-Qaida oder Boko Haram berichten. Seine Bilder zeigen reale, mit Atmosphäre aufgeladene Orte (allerdings war es zu gefährlich, an Originalschauplätzen zu drehen), die die konkrete Vielgestaltigkeit von Landschaft und Bevölkerung vor Augen führen und sie zugleich poetisch überhöhen.

Zu Sissakos Hauptprotagonisten zählt eine Beduinenfamilie, die in schönster, unberührter Natur zu leben scheint. Um sie herum haben andere Beduinen bereits ihre Zelte abgebrochen, nur sie harren noch aus auf den weichen Sanddünen eines mäandernden Flusstals. Fast sieht es danach aus, als ob ihnen die neuen Herren nichts anhaben könnten, aber dann werden sie schließlich auf tragische Weise doch noch zu deren Opfern. Vom Stadtleben erzählt Sissako in Episoden, die in ihrer Skurrilität so lange belustigen, bis man sich der grausamen Konsequenzen gewahr wird. Da will etwa ein Krieger ein junges Mädchen zur Frau nehmen und braucht für das Gespräch mit der Mutter gleich zwei Zwischenübersetzer und das ungeliebte Englisch als Relaissprache, so weit ist man sprachlich voneinander entfernt. Als die Verhandlungen zu kompliziert werden, deutet er an, er könne das Mädchen ja auch gleich vergewaltigen.

Dennoch ist es nicht das Thema „Islamismus“, sondern es sind die Bilder, die hier in den Bann ziehen: Die Wüste, das Beduinenleben, die orientalische Stadt – Sissako siedelt seine episodische Erzählung einer Machtergreifung inmitten von berückender Schönheit an. Die Grausamkeitsexzesse des neuen Regimes – ein Paar wird gesteinigt – zeigt er dezent und deutlich zugleich. Es kommt ihm sichtlich nicht auf den Schock an. Stattdessen besticht der Film durch seinen fast irritierend zu nennenden Unterton von Ironie, der gerade den „Bösen“, den militanten Islamisten, ein menschliches Gesicht lässt. Diese haben es gewissermaßen auch nicht leicht: Sie verbieten das Fußballspiel, aber die Frage, ob Messi oder Zidane der größere Fußballer ist, erregt auch ihre Gemüter. Mit solchen Details gelingt es Sissako, die Islamisten zu entdämonisieren, sie als menschlich zu entlarven – ohne ihre Untaten zu verharmlosen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2015)

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